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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1959-01/0009
Im Wiidebaum e Nachtigall

Singt ihre Liebeslied,

Das isch e Wiis, wo 's Wasser all

Ahn us den Auge zieht:

Wenn so dä Vogel Wunsch un Weh

In wilde Wirble Schlacht,

Fallsch Du mer ii Mareimadlee —

Es bruuscht e Wuehr dur d'Nacht.

Zentane funklet Stärn an Stärn,

Wiißduftig überchuucht,

I lueg duruff un wüßt so gärn,

Wie tief my Blick woll duucht?

Do wüscht e Wulke wiene Schwumm

Eweg die schönsti Pracht,

I star in d'Leeri still un stumm:

Es bruuscht e Wuehr dur d'Nacht.

Jez fahrt e Tropfe Wasser ehalt
Vom Gumpe mir ins Gsicht —
Das trifft mi wiene främdi Gwalt,
I waiß nit, wiemer gschicht —
Wie wemmi Näumis länge wott:
Und in der Seel verwacht
En ander Haimweh, seil no Gott —
E Wuehr bruuscht in der Nacht.

Allred Holler: $0,'^^

Burtes dichterisches Werk ruht in Sinn, Wille
und Ziel auf dem „Wiltfeber", der im Jahre 1912
erschienenen mit dem Kleistpreis ausgezeichneten
Prosadichtung, deren Wesen mit der Bezeichnung
„Roman" nicht ausgeschöpft ist. Eher könnte man
das Werk „Aufruf' oder „Manifest" nennen, denn
es umfaßt Anklage, Mahnung und Prophezeiung,
wobei der Untertitel „Geschichte eines Heimatsuchers
" gewissermaßen nur das epische Gerüst
meint, an dem sich das Lyrisch-Emotionale, Botschaften
Verkündende, Zeichen Setzende und
Zeichen Vernichtende einer unerhört dynamischen
Dichtung emporrankt.

Die Zeit vor 1914 wird heute von mancher
Seite als Deutschlands „gute Zeit" gepriesen, als
eine Art paradiesische Epoche, wo die Welt in
vollkommener Ordnung zu sein schien, wo in
Deutschland selbst eitel Glanz und Wohlstand
herrschte und wo über die moralischen Kategorien
von Gut und Böse kein Zweifel denkbar war.
Die Wilhelminische Epoche strahlte im Glanz
ihrer schimmernden militärischen Wehr und in
der Weltgeltung industriellen Fleißes. Daß dieser
Glanz nur Oberfläche war über absichtlich überhörten
und übersehenen Problemen, war die
heimliche Krankheit dieser Zeit. Die sozusagen
zum öffentlichen guten Ton gehörende Lebensbeschönigung
feierte ihre Triumphe in
Büchern und Zeitschriften im Stile der „Gartenlaube
", dem klassischen Muster der rosaroten
Lebenslüge, wie die Gestalt der „höheren Tochter
" das Produkt einer Erziehung war, die u. a.
über erotische Probleme wie über etwas nicht
Vorhandenes betont hinwegging. Als Ibsens erste
Stücke im Buchhandel erschienen, wurde deren
Aufführung auf der Bühne teils polizeilich
kontingentiert und kontrolliert, teils von autoritativer
Seite in Acht und Bann getan. So erklärte
der Dichter des mit sich selbst und der Welt
zufriedenen Bürgertums, Paul Heyse, zu Ibsens
„Gespenstern": „Solche Bücher schreibt man

I setz mi uf e Welle Wid
Un glaub emol I plär:
Zwe Dropfe hange mir am Lid
Vom Wuehr vom Aug derhär:
Du wunderbare Gott un Heer
Hesch baid mit Wille gmacht,

0 sag mer, wele gilt Dir mehr?

Es bruuscht e Wuehr dur d'Nacht.

1 zittere wie Aespelaub
Un gspür e ghaime Gwalt,
Wenn Alles was I hoff un glaub
E Legi abe fallt —

Wie doch der Mensch in syner Qual
Dem Wasser gliieht! Er schlacht
E Rüngli d'Augen uuf im Strahl —
Un mueß durab in d'Nacht.

Es goht e Luft, es fallt e Dau,

Es lockt e Nachtigall,

E Stärne schießt vom ehalte Blau

Durab in Wasserfall,

Es luegt en Aug, e Hirni weiß,

E Härz im Buese schlacht:

Vor Gott isch Alls in Allem Ais . . .

Es bruuscht e Wuehr dur d'Nacht.

(Aus: Hermann Burte »Madlee«)

sum Hödtfteber

nicht" und errang sich damit den Beifall aller
Tanten und Gouvernanten. Damals war es die
Jugendbewegung, war es vor allem der Wandervogel
, der unter der lastenden und lähmenden
Stickluft der Zeit den dunklen Schrei
nach Wahrhaftigkeit und Echtheit vernahm, und,
müde der sonntäglichen Spaziergänge am Gängelband
einer sich in abgenutzten Wort- und Begriffsschemen
ergehenden Autorität, sich die
Natur eroberte, hinter sich die herabgestimmten
müden Stünden in Familienkreisen, Hörsälen
und Theatern, hinter sich auch die Schmach, mit
der das Gelddenken jedem geistigen Höhenflug
die Flügel beschnitt, vor sich das Morgenrot
und das Abendrot im echten Sinn, und vor allem
die Hoffnung nach der müden Skepsis dieser
Jahre, die Denken und Wollen wie mit einem
Giftstoff durchdrang und damals schon den
Katastrophengeist von 1914 und von 1939 vorbereitete
. Dazu kamen die unterirdischen sozialen
Spannungen, die, als die Massen dem
Christentum entglitten waren, in Form neuer
fanatisch geglaubter und verbreiteter Erlösungslehren
ans Tageslicht traten.

Man muß sich diese kurz skizzierte Lage der
Zeit vor 1914 vor Augen führen, um zu verstehen
, wie die Jugend jener Tage hungrig war
nach Taten, nach guten Botschaften, nach neuen
kraftspendenden Symbolen. „Ich lehre euch den
Übermenschen", rief Nietzsches Zara-
thustra, und Tausende junger Menschen lasen,
ja verschlangen sein Werk verzückt und berauscht
allein schon von der neuen Art des Wortefindens.
„Das Beste in der Welt ist der Befehl" schleuderte
Hermann Burte wie eine Fanfare in
das träge gewordene Spiel der Wort- und Gedankenwerke
, und wieder öffneten sich Ohren und
Herzen der jungen Generation; es war wie die
Sprache des Föhns zu gefrorenem Ackerland.
Eine Zeitlang gehen in dem Buche Nietzsche und
Burte neben- und miteinander im Tonfall der

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