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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1959-01/0010
Sprache und in einem Ästhetizismus, von dem
sich aber Burte noch im Wiltfeber selbst lossagte
. Der aus England in sein Vaterland zurückkehrende
junge Wiltfeber beginnt mit hellen das
Reale kühl abschätzenden Augen die Mängel und
Unzulänglichkeiten seines Landes wahrzunehmen
, vor allem den Hochmut und die Beschränktheit
, den kleinlichen Neid und die Engherzigkeit
der Festteilnehmer auf dem Kapf, die Greuel der
Grabsteine auf dem verwilderten Friedhof, die
im „Nutzgarten" verschulte und verwelkende
Kunst; mit all diesen Mißständen geht Wiltfeber
unbarmherzig ins Gericht. Das soziale Problem
findet in den Gesprächen mit dem alten Wittig
und in der Schilderung der Zustände auf dem
verfallenden Greifenhof eine geradezu klassische
Formulierung. Darüber hinaus berührt Burte im
Wiltfeber Probleme, die damals noch sozusagen
in der Luft lagen, heute aber sich zu schweren
Sorgen verdichtet haben. Hören wir, was Wiltfeber
über das, was wir heute Freizeitgestaltung
nennen, sagt: „Und gerade der
Feiertag zeigt, was der Werktag erreicht hat,
nicht das, was einer arbeitet, kennzeichnet ihn,
sondern das, was er mit seiner freien Zeit
anfängt". Auch in Wiltfebers Verhältnis zur
Religion offenbart sich der das Leben
schützende auf Gründung und Aufbau gerichtete
Sinn des Dichters: „Ein Band ist die Religion . . .
Fragt auch ein verständiger Mensch, ob ein
Band wahr ist oder falsch? Ei nein, nur ob es
stark ist oder schwach, das ist die Frage". Mutig
und klar vor welthistorischem Aspekt spricht
Wiltfeber die kontrapunktliche Spannung von
Macht und Geist aus, die allem politischen
Geschehen zugrunde liegt: „Denn der Geist
ist stärker als die Macht..., aber
die Macht ist nötiger als der Geist".
Diese erregende Dissonanz durchklingt Burtes
ganzes Schaffen, bis in seine späten Werke „Das
Heil im Geiste" und „Stirn unter Sternen".

Aber schon im Wiltfeber wendet sich Burtes
Weg „vom Gedankentraum zum Augenschein,
vom Augenschein zur Darstellung". Der Sieg des
Geistes, der Glaube an die Heiligkeit der
Schöpfung, auch wenn sie uns unheilig und
grausam dünkt, der Wunsch nach Schaffung des
Gesunden und Echten und die Ehrfurcht vor dem
Gewachsenen — auf Schritt und Tritt fühlt man,
wie Burte sich dem Schrankenlosen entzieht, sich
selbst Schranken setzt bis zu der aller bewußt
menschlichen Denkungsart schwer abgerungenen
Erkenntnis von der letzten Grenze, die der Tod
allem irdischen Streben setzt. Wiltfeber endet
inmitten der innigsten Liebesumarmung vom
Blitze erschlagen. Das tragische Symbol
richtet sich mächtig auf: die Vernichtung ereilt
das Ideale in dem Augenblick, wo es unmittelbar
leibhaftig werden will. Fünf Männer tragen die
Leichen der beiden Liebenden hinab zur Landstraße
und legen sie auf den rotledernen Sitz des
Wagens. „Und da war der Johannistag herum
und Martin Wiltfebers Prüfung zu Ende".

So nahe zusammen wohnen Zeugung und
Tod. Zwischen beiden Mächten aber wandelt das
Individuum mit seinem Schmerz und seiner Verlassenheit
, mit seinen Niederlagen und der Ungewißheit
seiner Siege. Und doch schaffen der
Glaube und die Hoffnung auf den Triumph des
Geistes immer Freuden; sie sind dem Menschen
an die Hand gegeben, daß er den privaten
Schmerz aufgehen lasse im Eintreten für das
Geistige, für die Formung der Gemeinschaft, für
die Verteidigung der Menschenwürde gegen die
andringende Flut niederziehender Mächte und
Gefühle. Das ist Wiltfebers Botschaft an seine
Zeit. Von fern aber fällt auf ihre Worte ein
Glänzen wie von einer Sonne, die aus dunklen
Bergen kommt: es ist M a d 1 e e .

Sie erschien 1923, am Beginn eines Jahrzehntes
, in dem die zerstörenden Mächte immer
dreister, immer drohender nach den Lebensgrundlagen
nicht nur des deutschen Volkes, sondern
aller europäischen Nationen griffen. Ein
von Macht- und Rachgier diktierter Friede goß
gährenden Giftstoff in die Adern der Welt. Das
Weltfieber aber sammelte sich am Körper
des deutschen Volkes zu jenem Geschwür, das
im zweiten Weltkrieg aufbrach und Deutschland
und die Welt an den Rand der Vernichtung
brachte. Der Existentialismus machte sich auf,

6in Heiner ^cieftüetfjfel

Als mir vor dreieinhalb Jahren als Nachkömmling
noch ein kleines Mägdelein geschenkt
wurde, erhielt es den Namen Madlee, und ich
benachrichtigte Hermann Burte mit folgenden
Versen davon:

„Im Pfaarhuus z'Hauge het myseel
der Storch vom Chilchedach
ne Maidli brocht; er goht nit fehl,
un er verstoht sii Sach.

Zwor menggi schnööre: Nei doch au!

Jetz aber längt's, jowoll!

In sonere Zit! Die armi Frau!

's halb Dotzed henn sie voll.

Lönt mi unkheit! Tauft hemmer hüt
un ihm de Name gee:
Do freut sich au der Burte mit,
das Maidli heißt Madlee!

Prompt kam darauf die entzückende Antwort
Burtes, eigenhändig mit seiner großzügigen
Schrift geschrieben:

Nutzinger, Dichter! Dy Gidicht,
das het mi gfreut, per se!
Es bringt im Burte holde Bricht:
Du daufsch Dy Chind: Madlee!

So hani au e Jungfere dauft,
wo zwüsche Wald und Rhy
bis in die höchste Wulke lauft
in mynere Fantasie!...

Es soll by Liib un Lebe nit
Dy Chind e Vorbild neh
an dere Gstalt, wo's gar nit git,
der dichtete Madlee!

Es soll emol, will's Gott, in d'Eh
un nit in diefe Rhy,
un soll as lebigi Madlee
in Ehre glücklich sy!

Für Nutzinger I Burte.

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