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In Freiburg im Breisgau, wo er am 18. Januar
1889 geboren und von Heinrich Hansjakob in der
altehrwürdigen Martinskirche getauft wurde, hat
Franz Schneller als Gymnasiast, Romandichter,
Dramaturg, Büchereidirektor, Radioplauderer,
Feuilletonist und Stadtrat gelebt, gearbeitet, gedichtet
— und dichtet er noch. Hier in der Mitte
des alemannischen Landes hat er die Dinge und
die Menschen, die Strömungen der Landschaftsund
der Volksseele ausgelotet, durchdrungen,
gedeutet, im dichterischen Wort dargestellt und
nebenbei die heimischen Leckereien und Weine
gekostet.
Man könnte nun diesem randvollen und vielseitigen
Leben, Schaffen und Schöpfen mit schönen
Worten wie „Mit schauenden Augen und erkennendem
Geist, mit empfindenden Nerven . . "
usw. ein Gloria anstimmen. Doch, wären das
nicht Gemeinpläze, konventionelle Phrasen, die
nichts aussagen, weil sie auf jeden Dichter zutreffen
? Auch löst es in mir immer ein Kopfschütteln
aus, wenn ich bei der Charakterisierung
und Würdigung eines dem Wort Verpflichteten
sein Können, seinen Fleiß, sein „profundes Wissen
", seine erdkundlichen oder geschichtlichen
Kenntnisse, seine „glänzend aufgezeigten und
gemeisterten Probleme" angeführt, seine vielen
Bücher aufgezählt finde. Sprachlosigkeit aber
überfällt mich jedesmal, wenn ich seine „hohe
Geistigkeit", seine Wahrhaftigkeit, seine menschliche
Wärme, seine Vorbildung, seine Abstammung
, die manchmal bis zu einem frühen geistigen
oder fürstlichen Heros nachgewiesen wird,
rühmend aufgetischt sehe. Solche menschlichen
Eigenschaften sind zwar für den Bürger anerkennenswert
und bedeutungsvoll; aber für den
Dichter? Nicht einmal der Umfang seines Werkes
ist entscheidend. Seltsame Züge, gewisse
eigentümliche, übernatürliche Anrufe und Befehle
machen erst das Wesen eines Dichters aus.
Ein Dichter ist meines Erachtens derjenige, der
von einem Strahl aus dem Ewigen, Unerklärlichen
in Brand gesetzt ist, sich von diesem Feuer
erlösen muß, indem er den Stoff mit seiner unge-
minderten Glut in die gemäße Form gießt. Zwei
Dinge machen somit den Dichter aus: er muß
brennen, und er muß gestalten. Nun brennt und
gestaltet jeder Dichter auf seine ihm besondere,
adäquate Weise. Ihn bewegen seine Beobachtungen
und Erkenntnisse, und er sucht und ringt
nach der ihm eigenen, zu seinem Stoff, zu seinen
Gedanken und Empfindungen passenden
Form. Je vollkommener ihm die Erlösung gelingt
und je harmonischer Stoff und Form sich verbrüdern
, umso überzeugender wirkt das Werk
und umso mehr Menschen erkennen und finden
sich in ihm.
Franz Schneller erfüllt diese beiden Bedingungen
, die man an den Dichter stellen muß.
Seine vielen Bücher sind mit Glut und Formwillen
geschrieben. Die entscheidende und
schwierige Frage ist die: Welcher Brennstoff
ernährt sein Feuer, und wie gestaltet er auf
seine besondere, einmalige Weise? Die folgenden
Feststellungen und Erwägungen, aus seinen
Büchern und Feuilletonarbeiten gewonnen, erheben
nicht den Anspruch einer endgültigen
Antwort. Sie sind ein Wagnis und ein Versuch,
zu dem ich kurzfristig aufgefordert wurde.
Das erste Buch, das ich vor etwa 40 Jahren
von Franz Schneller in die Hände bekam, „Die
Jahreszeiten eines Einsamen", las ich fast ohne
Unterbrechung und dann nie wieder. Ich kenne
aber heute noch den Inhalt und sehe die Bilder,
die es in mir hervorrief. Ein junger Mann, tatsächlich
einsam unter den Menschen, findet sich
schwer im Leben zurecht; er ringt hart und gewissenhaft
mit sich, mit den Fragen des Alltags
und des Ewigen; Funken schlägt er aus Steinen.
Ich erinnere mich, wie das Land um ihn farbig,
verdichtet und vergeistigt geschildert wird, wie
beispielsweise Breisach mit seinen ehrwürdigen
Mauern und Wacken, den alten Gassen und dem
hochgelegenen, kunsterfüllten Dom wie phantastische
Riesenbilder an mir vorüberzogen. Wie
ein Märchen aus uralten Zeiten schweben sie,
geheimniserfüllt, unzerstörbar und unüberhörbar
mir durch den Sinn. Eine ähnliche erregende
Ausdruckskraft erfüllt alle Romane Schnellers.
Ein Buch kann nur dann eine solche nachhaltige
, jahrzehntelange, viele andere Bücher
überleuchtende Wirkung ausüben, wenn es aus
einem mit Leidenschaft ausgeführten, echten
dichterischen Auftrag lebt, wenn es aus einem
Strahl aus dem Ewigen entzündet wurde. Denn
nur von Feuer vermag Feuer auf den Leser
überzuspringen. Heute indessen, da man das
schöpferische, dichterische Werk Schnellers überblicken
kann, erkenne ich erst, daß jenes Buch
symptomatischen Wert hat, daß es die Melodie
eines Gesamtwerkes schon in sich barg. Zwei
Dinge stellt es dar, die immerzu bis zur jüngsten
feuilletonistischen Arbeit wiederkehren: Den
Menschen und die Landschaft unserer Heimat.
Schnellers Schriften sind eine einzige Aussprache
mit den Menschen und dem Land seiner
Geburt. Der Alemanne und sein Wohngebiet sind
des Dichters Ausgang und Ziel, Aufbruch und
Ankunft, Erwachen und Einschlafen, Leidenschaft
und Liebe; sie sind die Scheite im Feuer.
Der Philosoph Unamuno hat einmal gemeint,
auf dem Grunde eines jeden Menschen ruhe ein
mittelalterliches Städtchen; bei Franz Schneller
dürfte dort ein alemannisches Dorf liegen. Er ist
der berufene Dichter der Heimat. Von der Heimat
bedichtet er alles und jedes, das Kleine wie
das Überragende bespiegelnd und widerspiegelnd
, sinnenfroh, vergeistigend, beseelend, bis
das Gültige und Bleibende darin zutage tritt.
Auch das Alltägliche! Es ist nicht des Erwähnens
wert, wenn jemand inmitten des Schwarzwaldes
von der uferlosen Fülle und Erhabenheit
der Berge, oder im Glanz und Schimmer, im
Meer der blühenden Obstbäume des lenzlichen
Kaiserstuhles, oder vor dem Münster in Freiburg
, dem beseeltesten Turm der Erde, enthu-
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