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er sieht darin mehr und bekennt: „Er war unser
geheimer, seelischer Gradhalter in Stunden innerer
Bedrängnis. Durch ihn erfuhren wir, daß
durch Vernunft allein nichts Großes zu erreichen
ist. Denn die Vernunft trocknet das Herz aus,
erzeugt Mittelmäßigkeiten, macht gar zu leicht
den einen dem andern aufsässig. Nur Vernünftige
bauen keine Dome". Welch eine tiefe,
menschliche Wahrheit! Viel zu wenig wird
Schnellers kosmopolitische Seite, seine Weltweite
beachtet! Hier liegen auch die Berührungsflächen
mit unsern großen und größten alemannischen
Dichtern: Gottheit, C. F. Meyer, Hansjakob
, Huggenberger, Burte u. a., deren Reihe
er zugeordnet werden muß.
Welches ist nun die einmalige, besondere
Form, in der Schneller sich zu erlösen versucht?
Drei Kunstformen der Dichtung liegen ihm: der
Roman, die Landschaftsbeschreibung und der
Essay. Er zieht die schlichte, volksnahe Prosa
und zwar die gestaltende wie die reflektierende
vor. Der Musengott Apoll scheint ihn nur gestreift
, dagegen die herbere, den Wissenschaften
geneigte Göttin Pallas Athene geküßt zu haben.
Die Lyrik, die für viele etwas Pathetisches, Unehrliches
, Gezwungenes in sich trägt, finden wir
bei ihm nicht. Er ist a-musisch wie die meisten
Alemannen; er denkt und sinnt viel. Er erobert
die Welt und ihre Weistümer in hartem, unermüdlichem
Ringen; er hat wenig Witz und
Esprit, wohl aber Humor, Humor als grundsätzliche
Lebenshaltung. Vielleicht hat Schneller sich
ein wenig an das Wort gehalten, das Faust seinem
Wagner zuruft:
„Such er den redlichen Gewinn
sei er kein schellenlauter Tor,
es trägt Verstand und rechter Sinn
mit wenig Kunst sich selber vor",
wobei hier unter Kunst soviel wie Künstelei zu
verstehen ist.
Was nun die Satzform, den Duktus seiner
Sprache, seinen eigentlichen Stil betrifft, so
kann man leicht auf jeder Seite seines Werkes
feststellen, daß er flüssig, klar, wortgewandt,
gelegentlich eigenmächtig und hart, aber auch
gerade so oft liebenswürdig, launig, köstlich,
farbig und mit vielen Eigenheiten dahinzieht.
Ein ihm besonders zusagender Schmuck findet
sich in den Titeln seiner Bücher, gewissermaßen
als Rose an der Pforte des Werkes, eine Metapher
, die Kurzform eines Vergleiches, bestehend
aus zwei Hauptwörtern, das erste als Satzgegenstand
, das zweite als seine Ergänzung im zweiten
Fall, also „Brevier einer Landschaft", „Blaubuch
eines Herzens", „Jahreszeiten eines Einsamen"
usw. Diese Metapher ist dem Deutschen seit
Schillers „Glocke" geläufig, wo wir lesen „Auge
des Gesetzes" für Polizist, „Nachbarin des Donners
" für Glocke, „Reich des Klanges" für Luft
usw. Sie fand ihre hohe Steigerung in der
Lauretanischen Litanei.
Eine weitere Stileigenheit ist diese: Schneller
berichtet irgendein Geschehen, einen Vorgang
von vordergründigem, realen Inhalt, und plötzlich
biegt er mit einem kurzen Satzteil, einer
leichten Bemerkung, rechtwinklig ins Irreale ab.
Beispiele: Da wird einmal ein Mann beim Kramen
auf dem Speicher geschildert; die Bündel
türmen sich um ihn herum. Dann fährt er so
fort: „Das Zeitbewußtsein hatte sich unmerklich
verloren. Die Uhr lief, aber ohne Zeiger". Der
sinnenfälligen Tatsache einer laufenden Uhr folgt
der Sprung ins Irreale die kleine Bemerkung
„aber ohne Zeiger". Oder: Die Stadt Freiburg
wird beschrieben. Dann liest man wörtlich: „Die
Altstadt erhebt sich über einem mächtigen Weinkeller
. Auch dies erklärt manche Wesenszüge des
Freiburgers. Seine Gemütlichkeit vor allem und
das Sich-Zeit-lassen zum Ausreifen von Plänen.
Das Konservative auch". Mit diesem Satzbruch
„Das Konservative auch" wird wiederum der
Leser ins Irreale gestoßen oder, genauer ausgedrückt
„geschnellt". Solche kurzen, heftigen
Wendungen, die manchmal auch als Sätzlein
zwischen zwei Punkten auftauchen, finden sich
vielfach. Sie sind typisch und wirken, als würde
ein Vorhang um einen Spalt gezogen und man
sähe in den Hintergrund, ins Hintergründige.
Bei solch raschen Wendungen erinnert man sich
an den Namen des Autors „Schneller", der nicht
die zweite Steigerungsform von schnell sein
kann. (Ursprünglich, zur Zeit der Annahme der
Familiennamen, fand sich das Beiwort „schnell"
nicht oder kaum im Alemannischen. Im Gotischen
fehlte es völlig. Man verwendete ehedem für das
aussterbende „husli", das mit dem verloren gegangenen
Zeitwort „hussen", verwandt mit
„hetzen", zusammenhängt und das heute noch
in mundarttreuen Gegenden in Gebrauch ist.)
Schneller stammt wahrscheinlich von dem Zeitwort
„schnellen", so daß Schneller soviel wie der
„Schnellende" bedeutet. Das Wort „schnellen"
war ehedem viel mehr im Gebrauch, ja, man
sagte einst „ein snellin snellen" und meinte damit
„ein Schnippchen schlagen". Mir scheint,
nebenbei leise bemerkt, daß unser Autor in seinem
persönlichen Leben oft auch ein Schnellender
ist. Jedenfalls drückt sich hier im Schreibstil
ein Charakterzug aus.
Eine weitere, besonders auffallende Stileigenheit
ist die Angewohnheit, dem rückbezüglichen
Bindewort der, die, das einen verkürzten Nebensatz
, einen Ausruf oder eine Apposition beizufügen
. Beispiele: „Er ist eben langsam, wird die
Eierschalen nicht los, die, um es derb zu sagen,
ihm „am Hintern" hängen". — „Es gibt stets
merkwürdige Zeugnisse schriftlicher Art, die,
fast unbemerkt, schon Dingen sprechen..." —
„die, ganz unsentimental, Bestandsaufnahme
vornehmen..." usw. (Diese drei Beispiele stammen
aus einem einzigen, kleinen Essay.) Bei den
Radiovorträgen hebt der Autor dieses Relativpronomen
die durch Betonung und anschließende
Staupause regelmäßig und beträchtlich
hervor. Es wird dann zu einem der auffallendsten
Erkennungszeichen dafür, daß „Franz Schneller
plaudert".
Eine weitere stilistische Eigenheit: Vischer
hat einmal festgestellt, die französische Sprache
gleiche dem Likör, das Italienische dem Rotwein,
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