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das Holländische dem Hering, das Deutsche aber
dem Roggenbrot mit Bier, und drückte damit
aus, das Deutsche sei herz- und erdhaft, eine
Eigenart, über die sich Kolbenheyer besonders
freuen würde, denn er schreibt „Alle Beharrlichkeit
und Treue des Volkes liegt in der Erde".
Franz Schneller gelingen erdhafte Bilder in besonderer
Weise. Beispiele: „Die Tante saß in
ihrem Lehnstuhl, eingewickelt in ihr Umschlagtuch
wie die Fledermaus in ihre um den Körper
geschlagenen Flügel". Oder bei der Beschreibung
eines Bildhauers: „Rückwärts, auf der rechten
Hüfte, wo Schnitter den Wetzstein tragen,
steckte..." Hierher gehört auch das schon erwähnte
Bild von den „Eierschalen".
Eine letzte Stileigentümlichkeit: Heinrich
Feder er schrieb: „Französisch ist ein edler Park,
Italienisch ein großer, heller, bunter Wald; aber
Deutsch ist beinahe ein Urwald, dicht und geheimnisvoll
, tausendpfadig". Diesen Möglichkeiten
der Verschachtelungen, Verzweigungen und
Konstruktionen verfällt unser Freiburger Dichter
nicht. Er peilt ein Ziel an und treibt im Stil den
Stoff streng voran. Umwege, Abirrungen, ein
Sich-verlieren kennt er nicht. Diesen Gefahren
Franz Schneller:
Durch Freiburg zieht der 48. Breitengrad.
Gewiß, stofflich genommen, ist er nicht viel
wirklicher als etwa die „Seelenachse" eines Gewehrlaufes
. Für die Freiburger ist er es dennoch.
Sie haben ihn daumendick in ortsüblichem
Schwartenmagen - Mosaik gefaßt. So durchadert
er den Gehweg der Habsburgerstraße. Kein Einheimischer
, der es wagte, auf ihn zu treten, selbst
nicht, wenn Schnee ihn bedeckt. Merkwürdigerweise
ist es nie zur Gründung eines Vereins der
Orte gekommen, die der 48. Breitengrad durchfädelt
. So fehlt jede Kenntnis, ob sich in ihnen
Nord und Süd so harmonisch vermählen wie in
der Schwarzwaldhauptstadt.
Süden. In der Herzgrube Freiburgs blondet
die Rebe des Heiliggeistspitals im Colombischen
Wallgarten. Verständlich, daß man solcherorts
im Herbst plötzlich auftretende Übelkeit mit dem
Ausdruck beschönigt, „das Herzwasser" dränge
hoch! Südlich muten die überall plätschernden
Brunnen an, aus denen auch wirklich getrunken
wird. Einer von ihnen, in dessen Trog einst Nacht
um Nacht ein Student mit innerem Brand sich
bis zum Kinn niederzulassen pflegte, um dann
aus Leibeskräften „Feurio" zu brüllen, trug auf
seinem, Brunnenstock den gewappneten Berthold,
der das Getümmel der Hauptstraße überwachte.
Wasser quecksilbert seit den Gründungstagen in
Bächlein durch die alten Gassen. Es entquillt den
nahen Bergen fast chemisch rein. Süden und
Norden. In der Breisgauer Bucht schneit es von
den blühenden Kirschbäumen schon auf grün-
beflaumte Wiesen, wenn der letzte Neuschnee
seine reine Watte den Bergen, kurz vor den
Osterskiläufen, auflegt. Schon im Februar hocken
die Pflästerer auf ihren einbeinigen Schemeln,
setzen aus bunten Steinen jenen Straßenbelag
erliegen gelegentlich Thomas Mann, Jean Paul
und Hansjakob, dessen „Schlenkerer" oft wichtiger
werden als die eigentliche Linie.
Alle diese Stil- und Kunstmittel, verbunden
mit einigen grammatikalischen Lässigkeiten,
idiomatischen Färbungen und dem unaussprechlich
Persönlichsten ergeben einen Schnellerschen
Stil. Man darf behaupten: Schneller verfügt über
eine persönliche, nur ihm eigene, künstlerische
Schreibweise. Seine Werke tragen Originalität
und Charakter, meiden das • Konventionelle, das
papierene Zeitungsdeutsch, die Gemeinplätze.
Damit ist die Schillersche Forderung an den Stil
in hohem Maße erfüllt, der allerdings bei seiner
Formulierung an die höchsten Zweige am Baum
der Dichtung, an Gedicht und Drama, gedacht
hat. Er verlangte: „In einem wahrhaft schönen
Kunstwerk soll der Inhalt nichs, die Form alles
tun. Das eigentliche Kunstgeheimnis des Meisters
besteht darin, daß er den Stoff durch die
Form verdrängt".
Sind nicht Abertausende von Art, Form und
Fluidum des Schnellerschen Stils entzückt und
sind sie nicht von der ungeminderten Glut des
darin brennenden Stoffes gebannt?
zusammen, der mit den Brezeln und dem Frei-
burge Akkusativ zu den Besonderheiten des
Ortes gehört. Freiburger Akkusativ? Ja, warum
nicht? Man sagt da zum Beispiel beim Auseinandergehen
um die Mittagszeit: „Also adda, und
ein recht guter Appetit!"
Der Gemarkungsboden weist einen Höhenunterschied
von nahezu 900 Metern auf. Wenn
der Einheimische Fremden gegenüber diese Tatsache
erwähnt, stemmt er seine Faust aufs Knie
und blickt ihn von der Seite an, wie um zu fragen
: Wie wird dir, hm? Ihn selbst erstaunt es
am meisten, denn es ist noch nicht lange her, seit
ihm dies klar geworden ist, seit er diese Straße
als Ganzes sieht, die, aus Wiesengelände kommend
, zur Hauptstraße wird, sich durchs Martinstor
zwängt, wieder durch Wiesen Günterstal und
dem Schauinsland zustrebt, wo sie auf Höhe 1286
in Hochfreiburg endigt.
Die Luft der Stadt ist so seidig mild, und die
Menschen hier sind so verträglich, daß ihre
Ahnen im Giebelfeld der Münstervorhalle einen
Teufel darstellten, der für die armen Teufel, die
durch Gottes Richterspruch ihm verfallen sind —
betet! Allerdings ist die Luft nicht immer so.
Wenn der Grobian von Höllentäler abends nach
dem Ausbimmeln des Silberglöckles mit seinem
Wälderbesen durch die Salzgasse wischt oder
wenn ein bissiger Nordwind einen mir nichts dir
nichts auf dem Münsterplatz anfällt, wird einem
halt doch klar, daß dies schon nördliche Halbkugel
ist. Trotzdem, der Freiburger liebt seinen
Höllentäler mehr als die weiche Westluft, den
Schnee der Berge mehr als den zärtlich getönten
Teppich der oberrheinischen Ebene. Er ist ein
leidenschaftlicher Wanderer und Skiläufer, geht
leicht wie ein Älpler und vollendet gleichmäßig
Sceibucg im 3rei'6gcm
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