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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1959-02/0011
Vom Ende Oktober an schnuppert er beim Aufwachen
, ob die Luft nach Schnee riecht. Beim
Verlassen des Hauses sucht sein Blick den ersten
beschneiten Langholzwagen aus dem Höllental.
Trägt gar der „Gerstenhalm" eine weiße Hemdenbrust
, sind die Rosetten des Münsterturms
diskret überzuckert, gilt ihm dies mehr als
Unterpfand des nahen Winters als die Birn-
wecken und Brotmännle mit dem Rosinennabel
im Schaufenster des Bäckerladens.

Ob mild, ob kalt, auf den Bänken um das
Münster hocken die Marktfrauen der Rheinebene
schwesterlich neben denen des Schwarzwaldes.
Die vom Wald tragen oft die Tracht und kommen
durch das Schwabentor im Bernerwägele
angefahren, dem ein gedrungener, kräftiger
Fuchs vorgespannt ist, wie sie in den Roßgärten
oben bei St. Peter und St. Märgen gezüchtet werden
. Der Winter kann so raubauzig auftrumpfen,
wie er will, die Marktweiber weichen ihm nicht.
Sie tragen dann eben einige Unterröcke mehr.
Sie stört es ja nicht, wenn die Röcke um die
Hüften herum auftragen. Jede von ihnen hat
ihren Stammplatz; die mit dem Kuhkäsle, den
Wacholder-, Preißelbeeren, den Pilzen, Eiern,
dem Geflügel und Bibeleskäs besetzen die weiträumige
Kaufhauslaube und die Ecke beim Wen-
zingerhaus.

Solange der Markt wimmelt und unter den
Bänken die Bauernhähne aus gespannten Hälsen
krähen, sitzen die Domtauben auf den Köpfen
der Apostel, auf der Harfe des Königs David und
auf den Wasserspeiern. Auch dies ist südlich, daß
die Tauben um das Münster herum sich nach
Belieben bewegen und vermehren dürfen. Südlich
muten die vielen Gärten mit seltenen Baumbeständen
an, Gärten mit Zedern, Gingko, Mammutbäumen
, Pawlownien, Magnolien, Tulpenbäumen
und üppigen Platanen. Die Tanne verträgt
sich mit ihnen allen. Sie macht sich sowieso
nicht viel aus dem Aufenthalt in der Stadt. Ihr
Platz ist dort, wo frei die Winde wehen, wo der
Biß des Weideviehs schon das Leben des Tänn-
chens gefährdet. Es wurmt den Freiburger, eingestehen
zu müssen, daß die eigentliche Altstadt
wenig umfangreich ist, und es wundert ihn, daß
Goethe, der hier im „Mohren" abstieg und von
der Ecke des Platzes aus den Turmriesen sicherlich
öfter betrachtete, es nicht fertig brachte,
einen entsprechenden Eintrag in sein Tagebuch
zu machen. So berufen sie sich gern auf die
Worte des Altmeisters Hans Thoma, der als
Maler ja auch etwas von schönen Sachen verstanden
hat, und auf eine mittelalterliche Weltbeschreibung
, die versichert, die Alten hätten das
Münster wohl den Weltwundern zugezählt, hätten
sie es nur schon gekannt.

Das Münster. Es ist Fleisch vom Fleisch der
heimischen Berge. Es ist die große Stimmgabel
in der Hand einer überpersönlichen Macht, magischer
Besitz der Nachkommen von Kathedralenmenschen
und bestimmt das Seelenklima des
Freiburgers. Weit ins Land blitzt seine Kreuzblume
, goldene Zierat der Turmhelmspitze. Der
Mann, der alljährlich einmal an den Turmrosetten
hochklettert, um Stern und Halbmond blank

zu putzen, wird von den Freiburger Buben von
allen Männern am meisten bewundert. Der vorletzte
in der Reihe dieser Heroen hatte das Pech,
auf der Treppe seines Häuschens am Münsterplatz
das Genick zu brechen. Man hat diese Tatsache
den Kindern verheimlicht aus dem Instinkt
heraus, daß es gesünder ist, die Jugend Götterdämmerungen
überschlafen zu lassen.

Der Spitzname der Freiburger „Bobbele" wird
von ihnen am meisten angewendet. Ärgert sich
einer über die Kleinlichkeit oder Verzagtheit des
andern, schleudert er ihm ein „Du bisch halt ä
Bobbele" ins Gesicht. „Wir Bobbele" sagen sie
andererseits manchmal von sich, um damit eine
Art selbstzufriedener Kleinbürgerlichkeit zu
unterstreichen. Der Bürgermeister, der zur Zeit
der Inflation bei einer öffentlichen Sitzung des
Stadtparlaments auf die Frage, wie er sich die
weitere Gestaltung des Haushaltes vorstelle, zur
Antwort gab: „Es wird halt weitergewurstelt",
eroberte mit diesem einen Satz das Herz des
echten Bobbele!

Unvergeßlich als Freiheitsheld ist dem Freiburger
der Metzger Hauri, der dem Bischof von
Straßburg halbwegs Betzenhausen sein Schlächtermesser
ins Herz stieß, als der seinem gräflichen
Schwager zu Hilfe eilen wollte. Dies war
zur Zeit einer Fehde zwischen Stadt und Landesherren
im 13. Jahrhundert. Unvergeßlich bleibt
ihm auch der treue Ritter Malterer, der in der
Schlacht von Sempach, mit eigenem Leib seinen
herzoglichen Herrn schützend, von Schwyzer
Bauern erschlagen wurde. Stolz ist man in
der Schwarzwaldstadt auf den Mönch Bertold
Schwarz. Sein Denkmal steht vor dem Kreuzgang
des ehemaligen Franziskanerklosters, und
der Witz ist nicht ganz neu, der auf die Frage,
warum Bertold mit Front zum Rathaus aufgestellt
ist, die Antwort gibt: man habe eben die
im Rathaus daran erinnern wollen, daß glücklicherweise
ein anderer das Pulver erfunden
habe! Allerdings bleibt zu sagen, daß Bertold
ursprünglich zu einem Laboratorium der alten
Universität hinüberblickte. Also zwei Fliegen
mit einem Schlag!

Der Freiburger singt gern und „schmettert"
gern ein Viertele. Die Zähringer, die ob der Stadt
saßen, hielten es ebenso. Der Letzte von ihnen
las in seinem Schloß bei Becherklang den Getreuen
sein Alexanderlied vor und lachte mit
ihnen über die Welt zu seinen Füßen, wo Acht
und Bann noch ernst genommen wurden. Unter
den Herren Freiburgs gab es welche mit einem
Stich ins Geniale und mit leichtem Herzen, unter
dem Adel tolle Burschen, die sich nicht damit
begnügten, die braunen Zipfel der röschgebacke-
nen Kipfel in Wein zu tunken. Vom bodenständigen
Adel haben sich noch die Kageneck, die
Böcklin, Andlaw und wenige andere erhalten.
Die Sickingen Panaschieren das Grün bürgerlicher
Zweige. Zu hohem Ansehen brachten es
die Falkenstein, Roggenbach, die Thurner und
Woleb. Das Silber des „Erzkastens" (Schauinsland
), das ihre Säckel füllte, ermöglichte auch
den Dombau.

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