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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1959-03/0004
Leopold Börsig:

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Mathias Grünewalds Kreuzigung und Auferstehung auf dem Isenheimer Altar

Die religiöse Kunst des Mittelalters bis in das
16. Jahrhundert hinein hat nicht zu einem geringen
Teil den Auftrag der Verkündigung der
christlichen Botschaft übersetzt. Die Masse des
Volkes, das im allgemeinen des Lesens und
Schreibens unkundig war, sollte durch die darstellende
Kunst im Bilde nachlesen, was Evangelium
und Predigt durch das Wort mitteilten.
Man wird versucht sein, die Frage zu stellen, ob
Kunst hier nicht auf das Gebiet der Illustration
abgedrängt worden ist. Sicher, in manchen Darstellungen
sieht es so aus, als ob ein von außen
gestellter Auftrag dem Künstler nicht immer gut
bekommt. Aber man kann auch getrost behaupten
, daß Namen wie Martin Schongauer, Veit
Stoß, oder gar Mathias Grünewald mit ihrem
Werk überzeugend beweisen, daß sich dem äußeren
Auftrag zumeist der innere hinzugesellte.
Gepackt und geschüttelt von Entsetzlichem und
Erhabenem, gelang es den großen Meistern des
Mittelalters und der Übergangszeit zu Neuem
(am Ausgang des Mittelalters), ihr eigenes religiöses
Empfinden umzusetzen in die sichtbare
Darstellung. Eines der größten Zeugnisse dieser
Kunst ist uns am Oberrhein erhalten geblieben:
der Isenheimer Altar von Meister Mathis Gotthart
oder Mathias Grünewald, wie er (wahrscheinlich
fälschlich) genannt worden ist. Mit diesem dreifältigen
Verwandlungs - Altar, der ursprünglich
für das Antoniterkloster in Isenheim im Oberelsaß
geschaffen wurde und heute im Kreuzgang
des Dominikanerinnenklosters in Colmar, dem
jetzigen Museum Unterlinden, aufgestellt ist,
wollen wir uns hier etwas beschäftigen. Dabei
geht es uns nicht um eine kunsthistorische Würdigung
des Altars, sondern um die großartige,
erschütternde Aussage der ersten Schauseite, der
Kreuzigung, und um den strahlenden Glanz der
Auferstehung auf der linken Seite der zweiten
Altarverwandlung.

Zuvor nur einige wenige Hinweise, die von
geschichtlicher Bedeutung für Meister und Werk
sind. Mathias Grünewald ist in manchen Aspekten
, trotz umfangreicher wissenschaftlicher Untersuchungen
, heute noch von Geheimnis umwittert
. In Würzburg geboren, vermutlich um
1460, erscheint er (nach den Feststellungen K. W.
Zülchs) als Meister Mathis von 1486 bis 1489
in Aschaffenburg, wo er einige Aufträge ausführte
. Es folgen Arbeiten in Seligenstadt, dann
in Aschaffenburg (im Dienste des Erzbischofs
Uriel von Gemmingen), in Isenheim, später nach
dem unglücklichen Bauernaufstand in den Jahren
1526 und 1527 lebte er als Hersteller einer Heilseife
in Frankfurt, dann als Wasserkunstmacher
in Halle, wo er am 31. August oder am 1. September
1528 starb.

So vieles ist ungewiß, wie es allerdings auch
gewiß ist, daß Meister Mathis ein ungewöhnlicher
Mensch war: ein Grübler mitten im Aufbruch
und Umbruch einer Zeit, deren politische,
soziale und religiöse Spannungen ihn erregten.

Als Künstler setzt er diese Spannungen auf eine
großartige Weise um. Glühend sind seine Farben,
von barocker Bewegtheit seine Formen, völlig
eigenständig und mit zeitgenössischen Strömungen
schwer vergleichbar seine Konzeption.
Mathis, der Maler, hat letztlich aus einer großen
Einsamkeit geschaffen, und Lucien Sittler, einer
der besten Kenner des Isenheimer Altares, hat
nicht unrecht, wenn er Grünewald in diesem
Bezug mit Michelangelo und Beethoven vergleicht
.

Streifen wir noch kurz die Entstehungsgeschichte
des Isenheimer Altares, zu dem Mathias
Grünewald den Auftrag von dem Isenheimer
Antoniterkloster erhielt. Die Antoniter, ein Orden
des Mittelalters, der sich um die am „Antoniusfeuer
" (eine damals schlimme, durch den Mutterkornpilz
hervorgerufene Seuche) Erkrankten,
aber auch um andere Hautkranke annahm, hatten
schon in Johannes von Orliaco einen kunstverständigen
Präzeptor, der von 1460 bis 1490 die
Geschicke des Isenheimer Klosters leitete und
der bereits den Bildhauer für den Altar und die
Skulpturen bestellte. Genaues ist jedoch auch
darüber nicht festzustellen. Die Skulpturen werden
für ein Werk des Straßburger Meisters Nikolaus
Hagenower gehalten, und man nimmt an,
daß die Bildhauerarbeiten um 1505, die Malerei
des Altares aber zwischen 1510 und 1515 entstanden
sind. Feststeht andererseits, daß der
Nachfolger des Präzeptors von Orliaco, der hervorragende
Kunstmäzen Guido Guersi, der aus
Sizilien kam, den Meister Mathis für das große
Werk gerufen hat.

Wenden wir uns nun unserer eigentlichen
Betrachtung des Wandelaltars zu, der auf der
ersten Schauseite die Kreuzigung mit Antonius
und Sebastianus zeigt, auf der zweiten das Weihnachtsbild
mit dem Engelskonzert und auf den
Seitenflügeln die Verkündigung und Auferstehung
, auf der dritten Seite in der Mitte eine
Skulpturengruppe und auf den Flügeln den Besuch
des Antonius beim Einsiedler Paulus und
die Versuchung des Antonius.

Wir haben eingangs davon gesprochen, daß
die religiöse Kunst des Mittelalters bildliche
Übersetzung der christlichen Botschaft sein
wollte. Die Analphabeten sollten in den Darstellungen
der bildenden Kunst lesen. Uns scheint
heute, die wir lesen und schreiben können, daß*
wir manchmal doch nicht zu lesen vermögen,
was wir sollten. Lassen wir uns deshalb auch vor
das Werk des Meisters Mathis führen, um seine
erschütternde und gewaltige Übersetzung der
Kreuzigung und der Auferstehung zu lesen, oder
wenn man so will, seine einmalige, nicht aus dem
Ohr zu bringende Predigt zu hören.

Vor einem abgrundtiefen, schwarzen Hintergrund
ragt, ganz in den Vordergrund gerückt,
das Kreuz auf mit dem sterbenden Christus.
Vom Altar her gesehen links Johannes der Täufer
, rechts Maria mit dem Lieblings jünger Johan-

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