Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1959-03/0005
nes und der Büßerin Magdalena. Furchtbar zerteilt
das Kreuz mit dem riesigen Körper des
Gekreuzigten das Bild. Ragend, aber doch kleiner
in den Maßen, die Gestalt Johannes des
Täufers, kleiner noch die Gruppe Maria und
Johannes und am kleinsten die Figur der knienden
und verzweifelten Büßerin Magdalena.

Was ist das für ein Christus, der hier ans
Kreuz genagelt ist?! Unter der Last seines Körpers
, der überbedeckt ist mit Wunden von der
Geißelung, biegen sich die rohen Querbalken des
Kreuzes. Das Haupt, mit der Dornenkrone bedeckt
, hat sich schon zur Seite geneigt, der Mund
ist geöffnet, die Lippen violett gefärbt, grünliche
Todesfarbe bedeckt den ganzen Körper, die Hände
dringen wie ein fast nicht mehr zu ertragender
Marterschrei über die Kreuzesbalken in die
tiefe Finsternis des Hintergrundes, in dem alles
Dunkle dieser Welt gesammelt erscheint. Welch
ein Mensch, dieser Christus, welch eine Qual
zuckt hier im Todeskampf noch einmal auf und
erstirbt! Welch eine Scham aber auch predigt
diese Kreuzigung, die von keinem Maler vorher
und keinem nachher in all ihren entsetzlichen
Bezügen, in Leid und Schmerz der Erde und des
Himmels so grauenvoll und so an unsere Existenz
greifend, wirklich Himmel und Erde ergreifend,
gemalt worden ist. Da ist, stellvertretend für
das Menschengeschlecht, die Gruppe mit Maria,
Johannes und der Büßerin. Maria, von Johannes
in tiefem Schmerz und Mitleid gehalten, in ein
starres weißes Gewand gehüllt, droht umzusinken
. Totenblässe bedeckt ihr Gesicht. Selbst die
Hände, die sich zum Kreuze strecken, sind erstarrt
. Dem Kreuz am nächsten kniet Magdalena.
Auch ihre Arme strecken sich verzweiflungsvoll
zum Kreuze aus. Sie ringt ihre Hände zum Erbarmen
. Drüben aber steht der letzte Prophet
des Alten Testamentes. Er allein steht ruhig und
sicher da. Unter der auf den Hintergrund gemalten
Schrift: „Jener muß wachsen, ich aber kleiner
werden" weist er mit langem Arm und gestrecktem
Zeigefinger auf Christus, den Sohn
Gottes, den Erlöser der Welt. Zu seinen Füßen
das Symbol Christi: das Osterlamm, dessen Blut
in den Kelch des Heiles fließt. Es ist makellos
weiß und von vollkommener Unschuld. Jener
muß wachsen, so endet diese Predigt. In uns,
wollen der Künstler und der Prophet sagen.
Wachsen muß die Hingabe an das Kreuz dieser
Welt. Wachsen die Demut vor dem, der als Mann
der Schmerzen, als Gottes Sohn, den schmählichen
Tod am Kreuz für Magdalena, für Heiden,
Juden und Christen gestorben ist. Der überdimensionale
Zeigefinger des Propheten Johanneis
weist auf das Wesentliche unserer christlichen
Existenz: auf die Erlösung am Kreuz.
Keine Zeichnung, keine Beschreibung ist imstande
, die Kraft der Farben dieses Werkes
spüren zu lassen: das chaotische Schwarz des
Hintergrundes, die ganz dem Totenreich angehörende
grünliche Körperfarbe des Gekreuzigten,
das brennende Rot des Mantels, den der Prophet
über einem armseligen Kamelhaargewand trägt,
das starre Weiß des Gewandes der Maria, das
bewegte Rot, in dem das Gewand des Lieblingsjüngers
gehalten ist. Und schließlich das makellose
Weiß des Osterlammes. Ecce homo! Aber
auch: wie tief ist menschliche Schuld und wie
groß die Liebe Gottes! In der Predella, zu Füßen
der Kreuzigung, die majestätische Darstellung
der Grablegung Christi, von verhaltenem
Schmerz, schwermütig, trostlos. Die Tränen fließen
still aus den Augen der Maria; Magdalena
erhebt noch die Hände in unvorstellbarem
Schmerz, Johannes aber hält den toten Christus
in seinen Armen, dessen Haupt auf die Brust
gesunken ist und dessen Körper, ausgeblutet und
ausgelitten, in sich zusammensinkt.

Wer von diesem Bild weg und vor den Seitenflügel
der zweiten Altarverwandlung hintritt,
erlebt nicht nur die ungeheure Spannung dieses
Kunstwerkes des Isenheimer Altars, sondern die
ganze Spannung des christlichen Glaubens: als
eine strahlende Sonnenerscheinung erhebt sich
Christus aus Tod und Grab zur Auferstehung.
Von einer Helligkeit ohnegleichen wird der Besucher
geblendet, von der gleichen Helligkeit,
von der die Grabeswächter zu Boden geschleudert
werden, nicht nur die Grabeswächter, sondern
die, die nicht glauben wollen. Christus aber
steigt mit flatternden Gewändern und erhobenen
Armen gen Himmel. Seine Hände sind nach
außen gekehrt und zeigen die Wundmale. Er ist
der Sieger über Tod und Hölle. Ruhig blickt er
aus überirdisch reinem Gesicht. Es ist ein Oster-
morgen, wie ihn noch kein anderer Künstler gemalt
hat. Ist nicht das Glück dieser Welt gesammelt
in den Regenbogenfarben der großen
Aureole, die den Auferstandenen umgibt? Reißt
nicht Christus die ganze Menschheit in den Sieg
des Lichtes über die äußerste Finsternis mit?
Es ist hier die höchste Farbwirkung des Isenheimer
Altares erreicht. Die Farben, von Gold
und Orange, Rot und Purpur, Violett, Blau und
Weiß strahlen und weben ineinander, leuchten
und jubilieren, wie es kaum ein anderes Kunstwerk
aufzubieten vermag.

Und was bedeutet für uns Heutige die Predigt
des Meisters Mathis in diesem Osterbild?
Doch wohl dies: Auch du wirst auferstehen im
Zeichen des Kreuzes, im Zeichen Christi, der
über jeden Tod gesiegt hat, über den Tod am
Kreuze, über den in den Bombennächten und
über den von Hiroshima und Nagasaki, über den
einsamen Tod in sibirischen Baracken, über deinen
und meinen Tod, wie immer er auch sei.

„Die Markgrafschaft4'

Monatszeitschrift des Hebelbundes

stellt die Verbindung zwischen den Hebelfreunden in der
Heimat und in der Ferne dar. Wer sie abonniert, hilft
dem Hebelbund bei der Erfüllung seiner vielen und
schönen Aufgaben.

Einzelheft.......DM -.50

Halb Jahresabonnement = 6 Hefte DM 3.—

Jahresabonnement für 12 Hefte . DM 6.—

Bestellungen nach auswärts oder
ins Ausland Porto zusätzlich.

Bestellungen nimmt jederzeit entgegen:

Hebelbund Müllheim (Baden)

3


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1959-03/0005