http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1959-04/0004
Hanns Bastanier:
3um TLag beö ^aumee 1959
Sind Bäume Rechenexempel?
Kennen Sie Rembrandts berühmte Radierung:
Die Landschaft mit den drei Bäumen? Erinnern
Sie sich vielleicht dunkel daran, wie sie aussieht?
Links ein Blick in eine ganz weite Ebene,
deren Horizontlinie von ein paar Türmen, Windmühlen
und Häusern unterbrochen ist; davor
langgestreckte schmale Felder, wie sie in Flandern
wohl seit Jahrhunderten üblich sind. Rechts
im Mittel- und Vordergrund eine dunkel beschattete
leichte Anhöhe und auf ihr als Mittelpunkt
des Bildes drei große, wuchtige alte Bäume
— man könnte an Pappeln denken — so dicht
nebeneinander stehend, daß ihre Kronen ineinander
übergehen und in einem kraftvollen Gesamtumriß
scheinbar zusammenwachsen. Ganz vorn
ein Wasser, einer der zahlreichen Kanäle dieser
Gegend, oder ein kleiner Teich.
Über alledem wölbt sich ein hoher Himmel
von dramatischer Wucht; links strömender Regen
, dahinter märchenhaft wirkende Wolkenburgen
, die mit riesigen Bögen den Himmel überspannen
und eine Helligkeit einrahmen, die
hinter den Bäumen verheißungsvoll aufleuchtet.
Ganz oben, ganz weit weg eine Schar Krähen,
deren Andeutung den Himmel noch höher erscheinen
läßt...
Weiter nichts! . . .
Ja! „Weiter nichts!" Und doch, oder vielleicht
gerade darum, so unendlich viel! Welche Größe,
welche Wucht! Welcher Szenenwechsel auf kleinstem
Raum! Man fühlt ordentlich das Wehen des
kühlen Nordseewindes, man riecht den Duft der
feuchten Erde und der Wassergräben und empfindet
dabei die eigene Kleinheit gegenüber der
Riesenhaftigkeit dieser Rembrandt'schen Landschaft
, in der der Blick sich an die drei Bäume
heftet, um Halt in dieser fast unendlichen Weite
zu finden.
Wer das Bild dieser drei Baumriesen, die
einsam den Winden der nahen Nordsee trotzen,
einmal in sich aufgenommen hat — wer könnte
dieses Meisterwerk des berühmtesten Radierers
aller Zeiten unbeeindruckt betrachten?! —, der
wird es Zeit seines Lebens nicht wieder ganz
vergessen können, und seine Augen werden geöffnet
werden für die Wirkung von Baumgruppen
in der Landschaft.
Bäume in der Kunst! Welch' interessantes
Thema für einen deutschen Kunsthistoriker, denn
ein nordischer „Waldmensch" müßte der schon
sein, der das umfassend behandeln wollte. Die
Romanen haben an sich schon viel weniger
Bäume in ihren Ländern als wir, aber ihr Verhältnis
zum Baum ist auch ein ganz anderes als
das unsere. Welche Rolle spielt hingegen der
Baum in der nordischen Kunst aller Zeiten! Von
der Weltesche Yggdrasil über den Baum der Erkenntnis
im Paradiese, über die Baumformen der
gotischen Dome, über Luthers „Bäumchen", das er
pflanzen wollte, selbst wenn er wüßte, daß morgen
die Welt unterginge, bis zu Rembrandts drei
Bäumen, Kaspar David Friedrichs Eichen- und
Tannen-Bildern und Hans Thomas Landschaften,
immer ist der große alte zum Himmel strebende
Baum in der Kunst und Literatur das Sinnbild
kämpferischen Leistungslebens und eines heldenhaften
„dennoch"!
Wo so ein Baum steht, bestimmt er die Wirkung
der Landschaft in der Natur und im Bilde
und setzt ihre Akzente, ob unter ihm Reben oder
Haide wachsen und ob über ihm Berge ragen
oder das seidige Blau des Markgräfler Frühlingshimmels
den Blick in liebliche Unendlichkeit
zieht. Man fühlt das auch aus den Bildern berühmter
Maler, aus den Waldbildern von Ruys-
dael, aus den Zeichnungen und Aquarellen von
Wolf Huber und Hirschvogel, aus den Winterlandschaften
der alten Niederländer, auf denen
das Filigran entlaubter Äste fast immer entscheidend
zur Wirkung des Ganzen beiträgt. Ganz zu
schweigen von der Wirkung der Bäume auf vielen
alten Figurenbildern, auf denen sie oft entscheidend
die Geschlossenheit des Bildaufbaues
steigern.
Wer diese Rolle des Baumes in der Kunst erst
einmal bewußt in sich aufgenommen hat, der
wird auch in der natürlichen Landschaft nach
solchen Blick- und Ruhepunkten durch hervorragende
Bäume suchen. Bäume findet er bei uns
genug, kleine und mittelgroße, kleinste mit
stützendem Pfahl, Bäume in vollster wirtschaftlicher
Entfaltung, die das Herz jedes Landmannes
erfreuen, aber wo stehen Bäume, die man nicht
mehr vergißt, Bäume, die die Wirkung der Landschaft
bestimmen, die den Horizont überragen,
die aus der Vergangenheit in unsere von Nützlichkeitserwägungen
bestimmte Zeit hineingewachsen
sind und der Landschaft ihre unverkennbare
Note aufprägen?
Es gibt solche, — aber viel zu wenige! Ich
denke da zum Beispiel an die großartige Eichengruppe
im Müllheimer „Himmelreich" und an
die herrliche Platanen-Allee am Westeingang der
Stadt. Dem Himmel sei Dank, daß das keine
Nuß- oder Obstbäume sind, denn sonst wären sie
längst dem Rechenstift zum Opfer gefallen! Aber
wo stehen an den Hauptstraßen des Landes, an
der Bundesstraße 3, an der südbadischen Weinstraße
, an der Straße nach Badenweiler solche
unvergeßlichen Baum - Persönlichkeiten, die wie
Edelsteine in der Krone des Markgräfler Landes
sitzen und zu einem Erlebnis im Sinne der Rembrandt
'schen drei Bäume werden? Wo sind sie?
Wenn sie jemals da waren — und jeder alte
Markgräfler wird sich an solche erinnern! —,
dann sind sie längst gefällt, zersägt, abgehackt
im besten Baumesalter, als sie sich anschickten
Wetterbäume zu werden; und heute liegen sie
irgendwo an der Eisenbahn und warten auf die
Abholung, um zu Gewehrkolben oder Furnierholz
verarbeitet zu werden. Wo sie einst in den
Himmel ragten, stehen heute Baum - Säuglinge,
sicher sehr gesunde Stücke guter Sorten, aber
doch zunächst mal nur Wechsel auf eine Zukunft
mit 50- bis 80jähriger Laufzeit. Soll auch an
2
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1959-04/0004