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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1959-06/0018
und wir können uns sein verblüfftes, ja vielleicht
wütendes Gesicht lebhaft vorstellen. Aber hatte
denn der Junge nicht recht? Mit der steigenden
Zahl der Kurgäste mußten auch mehr Eselinnen
für die Milchkuren und auch mehr Esel für die
Reitunternehmungen gehalten werden. Und da
die Esel aus Badenweiler nicht ausreichten, wurden
sie auch aus den Nachbarorten geholt.

Eselzucht war damit ein Gebot der Stunde.
Und wenn man einen guten Eselbestand haben
will, muß man auch für Blutauffrischung sorgen.
Bedenklich betrachten die Eselhalter in Badenweiler
die von Jahr zu Jahr kümmerlicher werdenden
Tiere. Eines Tages reisen zwei verständige
Männer nach Savoyen, jener Gebirgslandschaft
südlich des Genfer Sees, wo die großen,
kräftigen, sogenannten Steinesel daheim sind. In
Anbetracht der Wichtigkeit dieses Unternehmens
für den Kurbetrieb übernimmt die Staatskasse
die Reisekosten für die beiden Abgesandten unseres
Ortes sowie die Transportkosten für die
angekauften Tiere. Fünf prächtige Stuten und
ein stattlicher Hengst gelangen so nach Badenweiler
. Sie werden der Ausgangspunkt für gar
manche zünftige Eselgeneration, die ihren Teil
zum Rufe Badenweilers beigetragen hat.

Natürlich verführten diese Tiere die jungen
Leute jener Zeit zu allerhand Unfug, wie ja die
Grenze zwischen sinnvoller und unsinniger Anwendung
von Transportmitteln stets ein messerscharfer
Grat ist und bleiben wird. Kommen da
also vor vielen Jahren ein paar junge Männer

Der Suff

Schlimm isch's mit alle Liideschafte,
der Suff stoht aber vornedra;
de, wo die Duucht nit cha verchrafte,
het bal die schönste Zyte gha.

Wer lumpe will, dem mag's nit tage,

kei Uhre schlat die rechti Stund;

er cha kei Werchtig meh vertrage,

un 's gruust-em, wenn der Sunntig chunnt.

Vo alle guete Geister gschiede
stellt er sy Sach in liichte Sand;
er isch mit nüt un nieme zfriede,
lebt numme no sym Glust un Brand.

Un wenn er nüt meh het zuem Huuse
un d'Lumperei het alles gschluckt,
d'Not luegt zue alle Fenstren use,
un d'Schulde hän sy Gerstli gschluckt,

No chan-er gmaihti Matte grase
un bettle goh an fremde Tisch,
un merkt, aß für sy roti Nase
jetz niene nüt meh übrig isch.

Das will e menge nit bedenke,
aß hintrem Suffe 's Elend stoht. —
Wer 's Lebe deweg cha verschenke,
mueß wisse, aß er untergoht.

Fritz Wolfsberger

abends nach „Dienstschluß" in ein Wirtshaus der
Umgebung. Der Wein ist gut und die Laune
auch. Nur der arme Esel muß draußen stehen.
Mitleid zielt in die weinfrohe Seele eines der
Burschen ein. Er holt den Langohr zum allgemeinen
Gaudium in die Wirtsstube und bindet
ihn hinter dem Ofen an. Kaum hat sich die
Heiterkeit etwas gelegt und man hat sich an den
neuen Tischgenossen gewöhnt, da kommt den
Zechkumpanen ein neuer Gedanke: soll der treue
Vierbeiner allein dem feuchtfröhlichen Gelage
zusehen? „Frau Wirtin! Eine Scheibe Brot und
ein Viertel Wein, bitte!" dröhnt es zum Schanktisch
hinüber. Ahnungslos bringt sie das Gewünschte
. Und kaum hat sie den Rücken gekehrt,
da wird das Brot von dem Tierfreund in mundgerechte
Bissen geteilt, mit Wein getränkt und
— dem Esel ins Maul geschoben. Erst mag das
ungewohnte Futter etwas mißtrauisch beschnuppert
worden sein. Aber der Appetit kommt mit
dem Fressen. Immer zutraulicher streckt der
Grauschimmel seine Schnauze zum Tisch. Ein
zweites Viertel und eine zweite Scheibe Brot
werden gebraucht, um den Hunger zu stillen. —
Kein Wort wurde je berichtet, wie die Gesellschaft
mit ihrem Esel heimgekommen ist. Zum
Glück gab's damals noch keine Motorfahrzeuge
und — keine Alkoholprobe!

*

Hätte Hebel noch gelebt, als jene „Eselindustrie
" in Badenweiler blühte, so hätte er
wohl seinem Gedicht vom „Schwarzwälder im
Breisgau" auch vielleicht die Strophe eingefügt,
die zu erfinden dann dem Volksmund vorbehalten
blieb: ,,Z' Badewyler, lueg, Esel hän si gnueg!"

Und wir wissen nun, daß der Vers durchaus
nicht zweitdeutig gemeint war, sondern eben
dem Kurleben jener Zeit entsproß. Sollte jemand,
der diese Zeile heute hört, sie ernster nehmen,
als sie gemeint ist, würde das soviel bedeuten,
als wolle man die Eseleien von damals fortsetzen.

In dieser Werkeltagswelt kann man freilich
nicht alles beisammen haben, und jeder muß
schon mit seinem Los zufrieden sein, denn mit
Murren und Knurren bringt's niemand um ein
Haar weiter, und das Schicksal dreht seine
Maschine, ob wir lachen oder greinen. Darum
wollen wir's mit unserem bißchen Leben auch
noch ganz gut betreiben und uns ohne die größte
Not keinen trüben Tag machen.

Es gibt doch viele Freuden in unseres lieben
Herr Gotts seiner Welt! Nur muß man sich auf
Suchen verstehen — sie finden sich gewiß —
und das Kleine ja nicht verschmähen. Wie viele
Freuden werden zertreten, weil die Menschen
meist nur in die Höhe gucken, und was zu ihren
Füßen liegt, nicht achten.

Frau Aja

(Mutter Goethes, Katharina Elisabeth geb. Textor
19. Februar 1731 — 13. September 1808.)

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