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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1959-09/0005
zerstückeltes Kleinod und eilte damit in den
Pfarrhof. Es heißt zwar ganz bescheiden im
Protokoll, er habe „solche dem Herrn Pfarrer
vorgewiesen, um dafür den Ersatz des Schadens
zu erlangen". Ganz so sanftmütig wird sich aber
die Unterhaltung nicht zugetragen haben, angesichts
der schmerzlichen Trümmer des Flintleins
und in anbetracht der aufbrausenden 20 Jahre
des andern Franz Joseph. Es steckt überhaupt
ein Gerüchlein von Meuterei in der ganzen
Angelegenheit, als wenn ein verfrühter Hahnenschrei
der französischen Revolution zu noch
nächtlicher Morgenfrühe mißtönend laut werden
wolle.

Die heftige Auseinandersetzung rief den Mitbruder
des Pfarrers aus dem Hause herbei, den
späteren Kaplan zu Steinenstadt, Joa Baptist
Beutter, der z. Zt. als Notarius mit „Vetter und
Bäsle" hier wohnte. Der Pfarrhof wird zum
Schlachtfeld. „ ... So seie der andere schwarze
Herr /: den Herrn Beutter vermeinend :/ daher
geloffen; der Herr Pfarrer habe gesagt, wie daß
er den Buben. . . Dauben schießen gesehen, sollten
also beide mit ihrer verbrochenen Flinten
sich gleich fortpacken; Kläger wollte hierauf
noch nicht gehen, wonach Herr Beutter ihm mit
der Hand einen Backenstreich versetzte, der
Herr Pfarrer hingegen mit einem Stecken ihm
über den Rücken so lang darauf hauete, bis er
vor des Pfarrhofs Tor daraußen gewesen. Setzte
hinzu, der Herr Pfarrer hätte ihm mit dem
Stock so harte Streich versetzet, daß ihme das
Schloß am Halskräglein krumb geschlagen gewesen
und er ein solches selbsten nicht mehr
öffnen oder auflösen kunnte."

Wir könnten mit des Dichters Worten schließen
und fortfahren: Dieses ist der erste Streich,
doch der zweite folgt sogleich. Denn es ist leider
erwiesen, daß eine gute Tat viel seltener des
weiteren eine solche nach sich zieht, als dies ein
böser Streich sich fortgebährend tut.

So erschien vor dem langsam erbosenden
Landvogt Elisabetha Brendtlerin, die „ruckgelassene
Wittib" des Franz Müller mit ihren beiden
Söhnen Franz Joseph 20 und Martin Müller
19 Jahre alt.

Zuerst klagt Franz Joseph sein Leid. Ihm
brennt noch seit dem letzten Herbst — wenigstens
moralisch — seine Backe von einer Ohrfeige
, die er vom Herrn Pfarrer erhalten hatte.
Im Herbst hatte er ihm den Pfarrwein in den
Keller geführt und war von den Mägden beschuldigt
worden, von diesem Wein „entfremdet
" zu haben. Der Pfarrer hatte bei seinen
Fässern in einem „kleinen Kübele ohngefähr
einen Schoppen Wein stehend" gefunden und
glaubte, — seine Pappenheimer kennend —
darin eine Bestätigung der Anklage zu haben.
Als der Delinquent sich deswegen im Pfarrhofe
mit den Mägden herumbalgte, erschien der
Pfarrer und sagte zu ihm, er „seye ein curioser
Pursch" und gab ihm „zugleich eine Maultaschen
".

Der 20jährige junge Mann holte seine Mutter
zu Hilfe, wie überhaupt damals ein streitbares

saftiges Frauengeschlecht in Schliengen beheimatet
zu sein scheint. Sie begab sich „alsbalden
mit diesem ihrem Sohn von Haus hinweg, willens
in den Pfarrhof zu gehen". Auf dem Weg
dorthin trafen sie „unter der Gemeindestuben
beim Brunnen" auf den Pfarrer. Wie eine ihre
Küchlein verteidigende Henne stieß das Weib
auf ihn vor und verlangte Rechenschaft für die
Schläge. Nach kurzem Wortwechsel hob der
Pfarrer seinen Stock und zog dem Burschen drei
Streiche über den Arm. Die Mutter sprang abwehrend
dazwischen. Als sich der jüngere Bruder
mit eilfertiger Zunge einmischte mit den
klassischen Worten: „Was wollen die Schwaben-
Ketzeren wissen!", bezog der Pfarrer im Drang
der Geschehnisse diese Worte auf sich, während
der Zwischenrufer, der anscheinend keine
schlimmeren Schimpfworte zur Verfügung hatte
wie Schwabe und Ketzer, damit die denunzierenden
Mägde gemeint hatte. Was will es uns
wundernehmen, als daß der Pfarrer in einem
Aufwaschen den Stock auch gegen ihn hob,
„welchen Streich aber dieser nicht ausgewartet,
sondern davongesprungen seye".

Wer sich als fanatischer Verteidiger des
Rechts in dieser Welt fühlt, mag an deren Ungerechtigkeit
verzweifeln und zu verzweifelten
Mitteln greifen, die ihn in all seinem Rechtsstreben
ins Unrecht setzen. Wir könnten die
Pilatusworte dahin neu fassen, daß wir fragen:
Was ist Recht? Das war es, was der Schuß aus
dem Vogelflintlein ausgelöst hatte; das war das
Schwarze, in das der Fehlschuß trotzdem getroffen
hatte. Die menschliche Antwort wird stets
keine endgültige sein können.

Ein bekanntes Geschlecht in Schliengen war
das der Metzger, zur Zeit unserer Geschichte
durch den Chirurgen Hans Georg Metzger vertreten
. In dessen Haus stürzte der aufgewühlte
Pfarrer, um Trost und Fassung zu gewinnen.
Verfolgt von der empörten Mutter, die „von
ihm zu wissen begehrte, was ihr älterer Sohn
Joseph getan und ob Herr Pfarrer beweisen
könne, daß selber ihm Wein entfremdet? sagend,
es seye eine unanständige Sach, einen Menschen
gleich zu verschreien und eines Diebstahls zu
beschuldigen, wo es nicht wahr wäre". Sie erhob
sich zur Sybille und prophezeite, „es möchte
ihm mit der Zeit nachteilig sein, weillen andre
Leute einen Argwohn und übles Trauen auf
solchen Menschen setzen dörften". Der Pfarrer
beschränkte sich in seiner Aussage auf die
Gegenwart und traf die Wittib zutiefst in ihr
Mutterherz, indem er feststellte, „daß ihr Sohn
nichts nutz und der allerfühleste seye".

Wer kann die Lawine aufhalten, wenn sie
zu rollen begann? Andern Tags ging der jüngere
Bursche in die Loretto - Kapelle, um die Messe
zu hören. Da fehlte der Meßwein, und der
Schulmeister schickte ihn mit dem Meßkännlein
in den Pfarrhof, um solchen zu holen. So führte
die Verkettung der Umstände dazu, daß er dem
Pfarrer in die Hände lief, was besser nicht
geschehen wäre. Dieser befahl ihm, nach ge-
endigter Messe in den Pfarrhof zu kommen.
Martin ahnte nichts Gutes, da er an den gestri-

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