http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1959-09/0010
Stüter als General der kalifornischen Miliz
hatte sie bereits nach Kalifornien gerufen. Bis
in die Einzelheiten ausgeführte Angaben über
die Einschiffung und die Reise sowie ein hoher
Kreditbrief auf die Bank Passavant, Sarazin &
Cie. in Basel waren ihm beigefügt. Wenn Anna
Suter sich heute zur Reise entschließt, geschieht
das nur auf Anraten ihres Vaters, des alten
Pfarrers von Grenzach, der sie im Namen der
christlichen Barmherzigkeit und für die Ehre
ihrer Kinder dazu überredet, und dank der
ergebenen Fürsorge des Vormunds Martin Bir-
mann, der sämtliche Schritte und Formalitäten,
mehrere Reisen nach Basel unternommen, auf
der Bank Erkundigungen eingezogen und sensationelle
Nachrichten sowie eine riesige Summe
Geldes heimgebracht hatte. Heute ist Frau
Suter vollkommen beruhigt, denn sie weiß, daß
ihr Mann Johann August Suter ein hochgeachteter
Mann mit Guthaben bei den größten europäischen
Banken, einer der reichsten Farmer
Amerikas, Besitzer eines Landes größer als der
ganze Kanton Basel und Begründer einer Provinz
ist, die er zu hoher Blüte gebracht hat, so
etwas wie Wilhelm Teil, denn sie kann sich
nicht ganz vorstellen, was Neu-Helvetien bedeutet
, und sie hat auch von Kriegen und Schlachten
gehört. Aber ihre heimliche Angst und ihr Zittern
sind Nebensache. Sie hat alle alten Schulden
ihres Mannes bezahlen und das ihn entehrende
Urteil von damals aufheben lassen
können. Nun ruft sie ihre Pflicht dorthin. Und
sie bricht auf.
Der Hauptangestellte der Bank Passavant,
Sarazin & Cie. hat ihr ins Hotel Kreditbriefe
auf die Bankhäuser Dardel Aine in Paris und
Pury, Pury & Fils in Le Hävre gebracht. Er
wünscht ihr im Auftrage seiner Direktoren eine
glückliche Reise und benutzt die Gelegenheit,
ihr einen Vetter zu empfehlen, dem er gerne
eine Stellung in Amerika verschaffen möchte.
Schon knallt der Postillon vor dem Tore mit der
Peitsche, die Besitzer des Storchen, Herr und
Frau Freitag, spenden einen Ehrenwein. Eine
Menge guter Bürger hat sich eingefunden und
klagt über das Los dieser armen Frau, der eine
so große Reise bevorsteht. Man überschüttet sie
mit tausend guten Ratschlägen. Der kleine alte
Martin Birmann sitzt in seinem großen Fauteuil
und weint und schneuzt sich in sein Taschentuch.
Auf seinen Knien liegt eine gestickte, mit einem
riesigen Schloß versehene Reisetasche. Endlich
ist die ganze Familie im Postwagen untergebracht
und Martin Birmann übergibt Frau Suter
feierlich die wertvolle Reisetasche, indem er ihr
noch einmal den ganzen Inhalt aufzählt.
Der Wagen setzt sich in Bewegung. Es werden
Hochrufe ausgestoßen. Die Kinder lachen,
die Mutter fühlt einen Stich im Herzen. Martin
Birmann nimmt eine doppelte Prise, um seine
Erregung niederzuhalten.
Gute Reise! Gute Reise!
Die Reise geht schnell.
Der Postwagen eilt an den Stationen vorüber
. Erstes Nachtquartier in Delemont. Am
nächsten Tage frühstückt man in Saint-Ursanne
Forellen, und während die Kinder in dem kleinen
Städtchen über die mittelalterlichen Wälle
staunen, schnürt es Frau Suter das Herz zusammen
, weil sie jetzt in katholisches Land einfahren
. Am Abend neuer Aufenthalt im gelben
Pruntrut. Am nächsten Tag fährt man ins Welschenland
hinein, durch die Täler der Joye und
der Allaine, vorbei an Boncourt, Delle, Beifort,
und von dort aus in einem neuen Wagen, der
von Mülhausen kommt.
Nun geht es im Galopp auf der großen französischen
Landstraße über Lure, Vesoul, Vitrey,
Langres bis Chaumont, wo gerade der Pariser
Postwagen abfuhr. In Chaumont gibt es zwar
einen Dampfwagen, der nach Troyes führt, von
wo aus man Paris mit der Eisenbahn erreichen
kann. Aber Frau Suter hat bei der Haltestelle
eine Zeitung gelesen, in der ein gewisser Dau-
mier in witzigen Zeichnungen alle Gefahren
dieses neuen Verkehrsmittels den Reisenden vor
Augen führt. Aus diesem Grunde nimmt sie
lieber trotz ihrer Instruktionen die von Straßburg
kommende Post; die ist weniger gefährlich,
und außerdem kann man dort Leute treffen, die
noch deutsch sprechen. Die Kinder und vor
allem die Jungen sind enttäuscht.
In Paris warnt sie der Bankier M. Dardel
Aine vor allzugroßer Überstürzung und Eile.
8
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1959-09/0010