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Leopold Börsig:
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Zu dem Gedichtband »An Bruder Namenlos« von Lina Kromer
Die Dichterin Lina Kromer, Hebelpreisträgerin
von 1956, hat am 3. September ihr 70. Lebensjahr
vollendet. Sie, die wie selten jemand mit
der Landschaft zwischen Blauen und Rhein verwurzelt
und verwoben ist, die seit ihrem ersten
Gedichtband „Im Blaue zue" den Weg zum Herzen
des alemannischen Volkes gefunden hat, hat
in ihrer stillen Bescheidenheit gewünscht, daß
von diesem Geburtstag kein Aufhebens gemacht
werde. Sie hat aber doch nicht verhindern können
, daß ihr so mancher gute Wunsch zuging,
aus ihrer Heimat aus dem Eggener Tal und von
vielen aus dem ganzen Land. Das kommt nicht
von ungefähr. Die Wünsche galten einer alemannischen
Sprachkünstlerin, die eine reife Ernte
eingebracht hat: der vor einem Jahr im Verlag
Rombach erschienene Gedichtband „An Bruder
Namenlos" gemahnt uns an das Bild einer
schweren vollen Garbe, voll vom Duft des
Jahres, voll von Werden und Vergehen, voll vom
Ursinn des Lebens.
Die Quellen
Lina Kromer, die von Hermann Burte mit
guten Gründen als die alemannische Droste bezeichnet
wurde, hat ihrer alemannischen Heimat,
dem Landmann im Markgräflerland, uns allen,
ein alemannisches Sprachdenkmal geschenkt, wie
wir es seit Burtes „Madlee" nicht mehr erlebten
: Die Gewalt der inneren Gesichte, das lebendige
, oder besser alemannisch, das läbige Hinüber
- und Herüberspielen von Sinnlichem und
Übersinnlichem, Diesseitigem und Jenseitigem,
die Überhöhung des Heimatgefühles durch das
schmerzliche und freudvolle Bewußtsein, einer
anderen unvergänglichen Heimat anzugehören,
dies alles ist hier in Versen voll tiefer Innerlichkeit
geprägt. Man kann angesichts solcher
Zeichen, eines solchen überzeitlichen Profiles,
nicht von Heimatdichtung im üblichen Sinne
sprechen. Freilich, es ist der Wind vom Blauen
und vom Rhein, der das Instrument dieser Verse
zum Tönen bringt; es ist der Duft vom roten
Chlee, von den Rebbergen und den langen Matten
im Eggener Tal, der aus dem Strauß ihrer
Gedichte urtümlich und taufrisch uns anweht;
es ist die tägliche Arbeit, die die Dichterin auf
ererbtem Boden, im Rebberg, im Weisefeld, in
Zit un Ewigkeit
Um uns e rissig Wasser goht,
das trait is fürt, mer merke's nit.
Wer sieht, ob's hoch, ob's nieder stoht?
Gech sin d'Bord — isch Labe — Dod —
am wilde Wasser: Zit.
Im Grenzelose — dief wie breit —
lit e Meer, das nümmi stigt.
Dort werde d' Zite ane trait,
dort ruscht's un bruscht's no: — Ewigkeit,
wenn alles ander schwigt.
Lina Kromer
Aus «An Bruder Namenlos». Alemannische Gedichte. Mit freundl. Genehmigung
des Verlages Rombach & Co., Freiburg i. Br.
Haus und Hof verrichtet und die oftmals Anlaß
sind zum Sinnieren und Dichten. Aber das alles
erklärt nicht ganz die Stimme, die auf eine andere
Stimme Antwort gibt. Auf welche Stimme?
Auf die Stimme „vo änedure", die der hört, der
still wird. Wer die Verse Lina Kromers hören
und verstehen will, muß still sein. Das ist nichts
für einen, der mit Fasnachtsschellen durch den
Tag rennt. Und kaum einer von uns, der heute
nicht mit einigem Fasnachtsgebimmel durch die
Zeit hetzt. Es ist uns deshalb nicht leicht geworden
, gerade den Gedichtband „An Bruder
Namenlos" zu deuten zu suchen und vom Begriffenen
mitzuteilen. Erschöpfend deuten können
wir diese Verse im Rahmen unserer kurzen
Betrachtung ganz gewiß nicht. Denn bei Lina
Kromer gewinnt alles, was sie anfaßt und was
Niederschlag findet in ihrer Sprache, geheime
Bedeutung: der Duft vom „rote Chlee", die
„dumpfi Luft ob dene wälche Matte", Luft, Licht
und Wasser sind ihr „luter läbgi Wort", der
Tropfen Tau, die Scholle im Feld, die sich um
den keimenden Samen „gründig ballt", sie umschließen
ihr eine ganze Welt. Manches tönt
dunkel, leid voll: die Frage nach dem Sinn oder
Widersinn menschlicher Existenz wird im tiefen
Bewußtsein der Vergänglichkeit von Mensch und
Welt immer wieder gestellt. Die Dichterin mit
ihrem zarten Gefühl überläßt sich aber keineswegs
dem Weltschmerz, ihre Verse sind alles
andere als wehmutvolles Schönreden. Sie sind
stark und einfach, langsam gewachsen, wie ein
Baum wächst, ohne Sprünge und Kapriolen.
Und jeder von ihnen wäre ein Sonntagmorgen
wert, an dem man ihn bedächtig studiert und
vor sich hin sagt.
Sprache und Gegenstand
Man meint, man höre die Dichterin sprechen,
wenn man ihre Verse zu hören versucht: es ist
kein Wort zu viel. Wiederholungen, die der Eindringlichkeit
und der Steigerung dienen, wie sie
noch in ihrem großartigen Gedicht „Gsicht am
Strom" vorkommen, fallen später weg. Der willkommene
Reim, der leicht findbare, der sich
anbietet, wird gemieden. Aber der besondere
Vers, der seltene Reim, sind nicht gesucht um
irgendeiner Wirkung willen. Kein Korn reift des
Kuchens wegen. Stetig und ruhig ist auch der
Rhythmus, nur bei seltener Gelegenheit, etwa
bei ihrem Spruch vom Säen und Ernten, oder in
ihrem Gedicht „'s Wasser" wird der Rhythmus
lebhafter, „wirbliger" vom Inhalt her, aber das
sind Ausnahmen, wie im Leben des Landmannes
das Schritt - für - Schritt - Gehen die Regel, der
lustige Tanz jedoch die Ausnahme ist. Lina
Kromer ist, wie im Rhythmus, auch zurückhaltend
in der Wahl der Worte. In „Bruder Namenlos
" finden sich kaum neue Wortschöpfungen,
wie wir sie bei Hermann Burte bewundern. Die
Sprache des Alltages ist der Dichterin genug für
ihre Verse. Um so stärker scheint ihre Kunst,
die insofern eine moderne Sprachkunst ist, mit
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