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Emil Baader:
(Srtnnecungen an Rariö T^joma
Zum 120. Geburtstag am 2. Oktober 1959
Seitdem ein Band der Freundschaft die Kinder
unserer kleinen Dorfschule mit Hans Thoma,
dem großen Meister deutscher Kunst, verknüpfte
, seitdem der Maler in unsere Schulstube
als Weihnachtsmann gekommen, mit herrlichen
Bildern die Wände zu schmücken, seitdem ein
Brief des Meisters — ein kostbares Vermächtnis
nicht nur an die Kinder unseres Dorfes, sondern
an die ganze deutsche Jugend — den Herrgottswinkel
unserer Schule ziert, seitdem kam ich
Sommer um Sommer auf dem Weg in meine
Schwarzwaldheimat in das Haus des Meisters zu
Karlsruhe. Zum letzten Mal geschah dies am
30. Oktober 1924, acht Tage vor seinem Tod.
Wie freute sich Thoma immer, wenn ich ihm
Grüße brachte von Bauernkindern. Wie strahlten
seine Augen, wenn er hörte, daß sein Werk
Wurzel geschlagen hatte und Heimat gefunden
im entlegensten Dorf, insbesondere im Kindervolk
. Da ward er selbst jung und selbst Kind. Er
wurde nie müde, zu fragen und kam selbst gar
bald ins Erzählen.
Im traulichen Bernauer Tonfall berichtete er
von eigener Kindheit und Schulzeit, von Schulkameraden
und Lehrern, von Mutter, Großmutter
und Geschwistern, von den ersten Anfängen
seine Kunst. Die ferne Bernauer Heimat
stand wie ein Traum vor seinen Augen.
Lauschend und voll Ehrfurcht saß ich dem Greis
gegenüber. Ich schaute die welken Hände des
Meisters, und alles stieg vor mir auf, was diese
Hände geschaffen: strahlende Sommertage, brotwarme
Kornfelder, Berge, Täler, schimmernde
Höhen mit ziehenden Wolken, der Rheinstrom,
der Bergsee, der Schwarzwaldbach und das weite
Meer, Bäume, rauschend im Wind, Fabelländer
und Fabeltiere, Bauern, Blumen, verglühende
Tage, Dämmerung und geheimnisvoll blaue
Nacht. Feierstunden waren diese Besuche. Nicht
nur Thoma, den großen Künstler, auch Thoma,
den großen Menschen, den großen Kinderfreund
lernte ich da kennen.
Mein letzter Besuch bei Hans Thoma war
ernst. Lange saß ich wartend im Vorzimmer,
versunken in Walter Cranes erschütterndes Bild
„Schnitter Tod": rot sinkt der Sonnenball hinter
den Bergen, mähend und weit ausholend,
über die Wiese schreitend, der Tod; Blumen und
kleine Menschenwesen fallen unter den Streichen
der Sense.
Agathe Thoma, des greisen Meisters Schwester
, tritt ein. Sie berichtet, daß es nicht gut
um den Bruder steht.
Nach wenigen Tagen mußten wir in unserer
Dorfschule stille Totenfeier halten für unseren
großen Freund. Buben zogen mit Körben in den
Wald, um Tannenzweige zu holen. Mädchen
brachten aus Bauerngärten die letzten weißen
Astern. Kränze wanden wir um das Bildnis des
toten Meisters. Alle Wände der Schule wurden
mit Bildern von Hans Thoma geschmückt. Die
Schulstube wandelte sich zur Hans - Thoma-
Bilderstube. Wie eine große deutsche Landschaft
stand das Werk des toten Meisters vor uns. Ich
mußte zu den Kindern noch einmal von Hans
Thoma sprechen, mußte ihnen Sinn und Wesen
seines Schaffens deuten und geruhsam den Gang
dieses reichen Lebens erzählen. Da ging der
Schar auf, wie schwer und mühsam dieses Leben
bisweilen war, wie spät die Menschen
Thoma verstanden. Es wurde ihnen klar, daß
Thoma vielen Tausenden von Menschen das
Auge für die große Schönheit der deutschen
Heimat geöffnet hatte. Unter seinen Händen ist
die deutsche Landschaft wahrhaft heilig geworden
, weil sein Geist ganz erfüllt war von Ehrfurcht
vor Gottes Schöpfung.
Wir lasen zur Totenfeier das Vermächtnis
des Meisters, den Brief, den er vor vier Jahren
an unsere Schule geschrieben hatte:
„Meine lieben Kinder! Es hat mich so sehr
gefreut, daß Ihr mich so freundlich eingeladen
habt, Euch in Bretzingen zu besuchen, den Malkasten
mitzubringen und Euch etwas zu malen
aus Eurer lieben Heimat und in aller Gemütlich-
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