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keit und ohne Sorgen bei Eurem Herrn Lehrer
zu wohnen. Das denke ich mir, wie auch Ihr es
Euch denkt, gar schön. Ihr könnt auch mir dann
zusehen, wie das Malen vor sich geht, so wie
in früheren Jahren Kinder im Schwarzwald und
im Taunus so oft zugesehen haben, wenn ich
draußen unter freiem Himmel drauflos malte.
Aber jetzt bin ich achtzigeinhalb Jahre alt, und
da ist es mir nicht mehr möglich, von zu Hause
wegzugehen — die Beine sind schwach geworden
— und auch mit dem Malen will es nicht
mehr so recht gehen. Mit achtzig Jahren ist die
Erdenzeit des menschlichen Lebens abgelaufen,
und die unsterbliche Seele darf wieder heimkehren
zu Gott, von dem sie uns gegeben ist —
zur Wanderschaft auf Erden.
Mir hat der liebe Gott gute Augen gegeben
zum Bildersehen, so daß ich meine Freude an
all dem Schönen, was ich schauen konnte, auch
manch anderen, die mitschauen wollten, zeigen
konnte. Ich habe in der mir gegebenen Lebenszeit
viele Bilder malen können, an denen sich
wohl noch lange, wenn ich schon im Grabe
ruhe, groß und klein wird freuen können; denn
in den Bildern lebt die Spur der unsterblichen
Seele fort und wenn mit der Zeit diese Bilder
auch vergehen, es werden aus der Jugend immer
wieder neue Talente hervorwachsen, die mit
ihrem Können Zeugnis ablegen von der ewigen
Seele. So könnt auch Ihr, liebe Kinder, teilneh-
K. Schäfer:
Aus den Abgründen der menschlichen Gesellschaft
, aus dem Unnennbaren der Seele tauchen
wie Meteoriten die Schwärme der Landläufer
und Vaganten auf. Sie schneiden den gesetzten
und genormten Bannkreis des bürgerlichen Lebens
; teils verglühen und zerplatzen sie an der
starren Ordnung, teils tauchen sie unversehrt
wieder in den Weiten unter, einen lockenden
Schauer in den Gerechten zurücklassend. Sie
streben für die kurze Zeit ihres Aufglühens
nach dem Scheine der verbrieften Ordnung, das
heißt in der Sprache der Behörden: nach einer
Legitimation, einem Paß. Dagegen stemmt sich
das gesicherte Bürgertum und legt ein Faszikel
an mit dem Betreff: Beschränkung der Paß-
Erteilung von den Obrigkeiten an Landläufer
und Vaganten.
Auf einer Basaltkuppe mitten in der Oberrheinischen
Tiefebene, den Rebhängen und
Schwarzwaldbergen vorgelagert, erhebt sich das
Schloß Mahlberg. Ungehindert schweift der
Blick landauf, landab. Kein Wunder, daß dem
Markgräflichen Landvogt, dem Freiherrn von
Landser, der ständig zunehmende, nach Norden
gerichtete Schwärm von Landstreichern auffiel.
Sein gekränktes Gefühl der Gesetzmäßigkeit
trieb ihn dazu, der Sache nachzuspüren, und er
entdeckte, daß die Pässe der verdächtigen Subjekte
stets in den gleichen vor der österreichischen
Städten ausgestellt worden waren. Da die solchermaßen
attestierte Unschuld nicht mit der
men an der Gemeinschaft, welche alle guten
Geister der Menschen verbindet, damit sie sich
an den Schönheiten der Welt von Herzen freuen
können, wenn sie dieselben einander zeigen
können. Ihr sollt jederzeit bestrebt sein, als
brave Menschen in die Zukunft hineinzuwachsen,
daß wir nach Gottes Willen ein treues frommes
Brudervolk werden, das sich in Liebe hilft, alles
Böse, das wie Unkraut aufwachsen will, zwischen
uns zu überwinden.
Wenn nun auch mein altersschwacher Körper
es unmöglich macht, daß ich zu Euch komme mit
dem Malkasten, so kann ich doch immer bei
Euch sein, jedes Mal, wenn Ihr Euch an meinen
Bildern erfreuen könnt, von denen Ihr ja mit
der Zeit noch recht viele werdet sehen können.
Dann bin ich im Geiste bei Euch und bin selber
ein frohes Kind, wenn ich Euch zeigen kann, wie
schön die Welt ist in Bretzingen und überall, wo
sich der Himmel über gute und zufriedene Menschen
wölbt.
So lebt denn wohl! Ich grüße Euch und wünsche
Euch Gottes Segen in Eure Zukunft hinein.
Euer alter Bildermann Hans Thoma."
Nie vielleicht ist den Kindern, wie in dieser
Stunde, klar geworden, was das bedeutet: unsterbliche
Seele. Sie wissen es: heute senkt man
Hans Thomas Leib ins Grab. Sein Werk, seine
Seele aber ist lebendiger denn je.
rauhen Wirklichkeit übereinstimmte, diktierte
der besorgte Landvogt am 28. Oktober 1776 seinem
Schreiber folgende Meldung:
„Schon mehrmalen sind uns von offenbaren
Vaganten, die keine Heimat haben oder aus dem
Elsaß wegen ihres Müßiggangs entweichen müssen
, Pässe zu Gesicht gekommen, die in Con-
stanz, Seckingen, Staufen, Waldkirch, Kenzingen
oder Endingen ausgefertigt waren. Teils waren
solche ohne weitere Kenntnüs erteilt, und teils
beriefe man sich in denselben auf andere
Attestate, die, wie uns eingestanden worden, nie
existiert hatten oder von ebensoweniger Bedeutung
waren, als z. E. was ein simpler Schreiber
oder Bauer ausgestellt hatte." v. Landser glaubt,
„daß hierdurch die öffentliche Sicherheit. . . sehr
vermindert und liederliches Gesindel noch
immerfort gepflanzt wird." Er bat die vorderösterreichische
Regierung „dienstnachbarlichst an
die erwähnten Orte die gemessenste Befehle geneigtest
zu erlassen, daß nur einheimischen und
genugsam bekannten oder legitimierten Fremden
inskünftig Pässe erteilt werden."
Schon zwei Tage später gab Freiburg an die
aufgeführten Orte die „beschwehrsame Anzeige"
weiter und fügte hinzu: „ . . . über diese bedenkliche
Unvorsichtigkeit habt Ihr Euch demnächst
zu verantworten." Das Schreiben stammt von
Polizeidirektor Freiherr v. Kageneck.
Kenzingen erledigt die Angelegenheit sehr
elegant. Es meint, die Klage müsse ihm „aus
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