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den verstümmelten zu einem vollkommenen Bau
erhöhte. Die Baumeister verstanden ihr Geschäft
und schufen ein zünftiges Fachwerk (Bild 1). Die
Holzkonstruktion war damals üblich und lag
auch nahe in der waldreichen Gemeinde. Aber
wie sie das Material verwandten, zeugt dafür, daß
damals auch an einfachen Wohnhäusern der Sinn
für gefälliges Aussehen, für gute Proportionen,
kurz ein sicheres Stilgefühl etwas galt und nicht
nur pure, öde Zweckmäßigkeit.
Der Bauherr war offenbar ein anderer als der
Eigentümer des alten Erdgeschosses; denn über
zwei Jahrhunderte lang, bis 1952, war das Haus
an zwei Besitzer geteilt. Auch diese Übung lebt
heute in den Eigentumswohnungen der Großstädte
wieder auf.
Wie die Eigentümer oben und unten sich
immer vertragen haben mögen? Sicher ist, die
Tatsachen bezeugen es, daß im Jahre 1898 Oben
und Unten einig waren und das Haus gemeinsam
verputzen ließen, weil sein Äußeres von
oben bis unten unansehnlich und bedürftig geworden
war. Inzwischen war nämlich in der
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Webe-
Industrie auch in Brombach eingezogen, die
Bevölkerung bekam Verdienst und konnte sich
aus der schlimmsten wirtschaftlichen Notlage
langsam herausarbeiten. Die beiden halben
Hausbesitzer einigten sich auf das billigere Verfahren
und ließen die ganze Außenseite, von
den Grundmauern bis zum Giebel und Dachfirst
mit einfarbigem, grauem Verputz bewerfen
und übertünchen (Bild 2). Sparsamkeit dürfte dabei
wohl ausschlaggebend gewesen sein. Aber man
stand damals auch in der wilhelminischen Aera,
der „Gründerzeit". Man liebte es, monumental,
pompös und schwulstig zu bauen. Fachwerk war
auch an schlichten Landhäusern nicht mehr
geschätzt. Ein Steinhaus mit glatten Wänden
schien zeitgemäßer, auch wenn es nur scheinbar
ein solches war. Kein Denkmalschutz im heutigen
Sinne stand den Leuten beratend und pflegerisch
bei.
Anno 1890, am 27. April, dem 9. Geburtstag
seines Sohnes Karl, zog Schneidermeister Edelbert
Mülhaupt mit seiner Familie in die kurz
zuvor erstandene untere Wohnung ein. Dieser
Schneidermeister, Mitbegründer der Brombacher
Freiwilligen Feuerwehr, muß auch sonst ein
einsichtiger Mann gewesen sein, der die Ein-
druckksraft einer sinnvoll-feierlichen Gebärde als
Erziehungshilfe gebührend einzusetzen wußte. Er
ließ beim Einzug sein Söhnlein Karl das Licht,
eine Petroleumlampe, in das neue Heim vorantragen
. Nur dem Knaben selber mag es im Laufe
seines Lebens aufgegangen sein, welche Kräfte
diese symbolische Handlung in seiner Seele bewegt
hat. Man weiß nur, daß er sich später
bewogen fühlte, von seinem neuen Heim aus, das
er 1934 als Erbe übernahm, viele Jahre als
Bibelbote ein anderes Licht landauf, landab von
Haus zu Haus zu tragen. Auf den Sohn folgte
1950 als Wohnungsinhaber der Enkel Hans Mülhaupt
. Dieser konnte schon zwei Jahre darauf
auch das obere Stockwerk von den Lüscher-
Erben kaufen. So kam zum ersten Male seit dem
Aufbau 1752 das ganze Anwesen in eine Hand.
227 Jahre lang mögen die Teilbesitzer oben und
unten davon geträumt haben, Alleinbesitzer zu
werden. Es blieb ein Traum. Der Wunschtraum
wird aber Ereignis just sieben Jahre nach dem
katastrophalsten Zusammenbruch unserer Volksgemeinschaft
, und der ihn verwirklicht, ist nicht
etwa ein Großverdiener und gerissener Spekulant
, der aus der trüben und wirren Zeit seinen
Profit fischte, sondern ein redlich verdienender
Arbeitnehmer. Sein Haus gibt im großen „Wirtschaftswunder
" nur ein kleines Beispiel, aber es
redet stellvertretend für uns alle: Woher nehmen
wir Mittäter und Miterleider der jähesten und
krassesten Wechselfälle die Zuversicht und
Bild 3: 1956
setzen so keck auf die Zukunft, bauen und planen
, als ob wir den solidesten Boden unter den
Füßen hätten?
Jetzt, da das ganze Haus zur Verfügung stand,
konnte der Alleinbesitzer planen und die nötig
gewordenen Ausbesserungen und Umbauten vornehmen
, innen und außen; ein neues Dach, Einrichtung
zusätzlicher Wohnräume im Anbau,
einen frischen Verputz. Seit 1898 war das farbige
Gerüst der Holzbalken überdeckt gewesen; jetzt
sollte das alte Bild von 1725 wieder zum Vorschein
kommen. Alle beteiligten Instanzen und
Sachverständigen unterstützten und förderten
die löbliche Absicht des Bauherrn nachdrücklich.
Architekt Walter Hoßlin und Denkmalpfleger
Julius Wilhelm, Lörrach, setzten sich mit dem
Gewicht des Amtes für Denkmalpflege dafür ein,
auch die Gemeindeverwaltung Brombach beteiligte
sich mit einem Zuschuß. Die 58 Jahre alte
Maske wurde abgenommen und die ursprüngliche
, echte und freundliche Fachwerkfassade
freigelegt und aufgefrischt (Bild 3).
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