http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1959-11/0004
?ufrieöent)eit / 70*1- fleter riebet
's schwimmt menge Ma im Überfluß
het Huus und Hof und Geld
und wenig Freud und viel Verdruß
Und Sorgen in der Welt.
Und het er viel, se gehrt er viel
und neefl und grumset allewil.
Und 's seig jo doch so schön im Tal,
in Matte, Berg und Wald,
und d' Vögeli pfifen überal
und alles widerhallt.
E rueihig Herz und frohe Muet
isch ebe doch no 's fürnehmst Guet.
Richard Nutzinger.
Begegnung mit Gilbert Odjtoettser
Es sind jetzt dreißig Jahre her, seit ich den
Urwalddoktor zum ersten Mal kennen lernte
und ihn an den Orgeln der evangelischen Kirchen
von Freiburg herumführen mußte. Es
waren zwei höchst erquickliche Stunden, die ich
da mit ihm zusammen erlebte und die mir in
lebendiger Erinnerung geblieben sind. Als ich
ihn dann vor acht Jahren in Günsbach besuchte,
war es ein Wiedersehen köstlichster Art: das
ganze Mittagessen und einen Teil des Nachmittags
durfte ich mit ihm verbringen und ihn dabei
auch auf der Orgel hören. Seitdem war es
mein geheimster Wunsch gewesen, dem alten
Herrn noch einmal zu begegnen, und der ist mir
in diesen Oktobertagen erfüllt worden. Freilich
steht nun an seinem Gästehaus in Günsbach angeschrieben
— wie begreiflich die Bitte! —, man
möge seinen Besuch beim Doktor auf 5 Minuten
beschränken, da er zu arbeiten habe, und ich
wollte diese Frist auch genauestens einhalten.
Er war gealtert — er wird ja im kommenden
Januar 85 Jahre alt —, aber seine Augen strahlen
noch immer herzliche Güte aus. Ich übergab
ihm ein Gedichtlein von mir über ihn, das ich
schon vor acht Jahren gefertigt und auch in der
„Markgrafschaft" abgedruckt habe. Er hat es
aufmerksam gelesen und mir gedankt: das sei
schön, er sammle auch Gedichte und schreibe
sie in ein besonderes Büchlein, das er mir zeigte,
das meinige komme da auch hinein. Gedichte
könnten Goldkörnlein sein, die man aufheben
solle. Als ich ihn nach seinem Befinden und
seiner Tätigkeit fragte, gab er mir zur Antwort:
„Mein Leben ist angefüllt, ist ausgefüllt und
manchmal überfüllt!" Wir verabschiedeten uns
und er sagte mir, das sei schön gewesen, daß wir
uns noch einmal getroffen hätten, dann ein letzter
Händedruck, ein Winken und ein Blick von
ihm, den ich in meinem Leben nicht vergessen
werde. Als ich auf die Uhr schaute, stellte ich
mit Schrecken fest, daß sich die fünf Minuten
verdreifacht hatten. Es beschämte mich fast, daß
ich den greisen Urwalddoktor so lange in Anspruch
genommen hatte, und doch möchte ich
um keinen Preis diese Viertelstunde mit ihm
hergeben, es war ein Goldkörnlein — und mehr.
„Angefüllt — ausgefüllt — überfüllt" hatte
er gesagt. Wie sehr gilt dies auch für den gehetzten
Menschen unserer Zeit. Wenn es aber
Albert Schweitzer ausspricht, so ist da kein
nervöses Drängen dahinter, sondern eine unendlich
friedsame Gütigkeit, die ich auf mich übergehen
fühlte und die mich seitdem nicht mehr
losläßt. Er hat noch Zeit und ein gutes Wort für
jeden Gast, das ist das Beglückende an ihm.
Als ich ihm vor acht Jahren die Mitteilung
machen durfte, daß wir vom Hebelbund ihn zum
Hebelpreisträger vorgeschlagen hätten, erwiderte
er erstaunt in seinem anheimelnden Elsässisch:
„Wie kummen ihr derzüe? Ich han doch noch
ken alimannisch Gedichtel gemacht!" Aber ich
durfte ihm entgegnen, daß er im versöhnenden
Geiste Hebels gewirkt habe wie kaum ein
anderer unserer Zeit. Aber es ist noch mehr:
Schweitzer verwirklicht geradezu all das, was
wir an Hebel so lieben: eben die Ruhe, den Frieden
und die reine Güte, die Hebels alemannische
Gedichte ausstrahlen.
Burte schließt einmal ein sehr feines Gedicht
über J. P. Hebel mit den Worten: denen man die
ganze Sehnsucht des heutigen Menschen in seiner
Arbeitsfron abspürt: „So sott mer sy". Können
wir's nicht mehr? Sind wir aus diesem
Paradies ausgeschlossen oder haben wir uns
nicht selbst daraus verbannt durch unser nervöses
Hasten und Jagen und Ungutsein zueinander
? Mir scheint, wir könnten das an einem so
vielbeschäftigten Manne wie Albert Schweitzer,
der seine Gütigkeit nicht an die Unruhe seines
Lebens preisgibt, und auch an J. P. Hebel wieder
lernen. Er lebte in einer besinnlicheren Zeit —
gewiß — und doch war auch sein Leben angefüllt
und ausgefüllt mit Arbeit, je weiter er in
seinen Ämtern emporstieg. Er klagt in seinen
Briefen manchmal über diese Arbeitsüberlastung
und den Bürokram, mit dem er sich herumzuschlagen
hat, aber er konnte gar nicht leben,
ohne immer wieder zur Feder zu greifen und aus
der Güte seines Herzens andern etwas mitzuteilen
, und sei es auch nur in einem Brief.
Wenn wir Hebelfreunde das wieder lernen
und zu solcher Güte und inneren Ruhe zurückkehren
, dann hätten wir eine große Aufgabe in
unserer Gegenwart.
2
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1959-11/0004