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bescheidene, kurze Notiz, die darauf hinwies, daß
auch das badische Oberland demnächst einen
hundertsten Geburtstag zu feiern haben würde,
den des am 10. 5. 1760 geborenen J. P. Hebel.
In der nächsten Nummer des „Amtl. Verkündigungsblattes
" (Nr. 131 vom 4. 11. 1859) meldet
sich sodann auch Schopfheim mit einem Programm
zu einer Schillerfeier. Die Anzeige ist
wesentlich bescheidener als die Lörracher:
Schillerfeier. Aus Anlaß des 100jährigen Geburtsfestes
unseres vaterländischen Dichters Schiller findet
im Saale des Gasthofs zum „Pflug" am Donnerstag
, den 10. November, eine Feier in folgender Weise
statt: 1. Festrede. 2. Konzert mit Festgedicht und
Bekränzung der Schillerbüste. 3. Festessen und Ball.
Der Ertrag des Konzerts ist zu einer Stiftung zu
Gedächtnis - Prämien für die hiesige höhere Bürgerschule
gewidmet. — Wir laden hiermit alle Verehrer
Schillers zur Teilnahme freundlichst ein.
Schopfheim, im Nov. 1859. Das Fest-Comite.
Anfang genau 5 Uhr. Eintrittspreis zum Konzert
24 kr., zum Ball 38 kr. Essen 1 fl. per Gedeck ohne
Wein. Eintrittskarten zum Konzert sind bei Herrn
Kaufmann Steinhäußler und abends an der Kasse
zu haben.
So also gedachten die Schopfheimer Schiller zu
feiern. Die treffliche Idee, den Ertrag des Konzerts
zu Prämien für Schüler zu verwenden, verdient
alles Lob. Der knappe Ton der Anzeige
hebt sich außerdem wohltuend von dem ab, was
der „Oberländer Bote" sonst noch zu Schiller
zu sagen wußte: Aus der Zeitschrift „Didas-
kalia" findet sich abgedruckt ein hochpathetischer
Aufruf, der soeben gegründeten deutschen
Schillerstiftung beizutreten oder wenigstens
Spenden zu sammeln und zu übermitteln; die
Stiftung sollte deutschen Schriftstellern und
Schriftstellerinnen in „Fällen über sie verhängter
schwerer Lebenssorge Hilfe und Beistand"
darbieten. Ein Markgräflerisches Produkt scheint
ein ebenfalls sehr pathetisches Gedicht zu sein,
das sich dem Aufruf anschließt und mit „Eduard
K." gezeichnet ist. Zur Kennzeichnung des sentimentalen
Stils dieses Gedichts sei die letzte
Strophe abgedruckt:
So lange Herzen noch für Schönes glühen,
Für Göttliches, das zum Olymp erhebt;
So lange noch der Dichtkunst Rosen blühen
Und Heldenlust nach Idealen strebt;
So lange wirst ein Leitstern du der Jugend,
Dem Greis Erquickung, brach sein Herbst herein,
Der reinsten Bruderliebe und der Tugend
Verkündiger und Hoherpriester sein!
Von größerem Gewicht ist ein längerer Artikel
der „Karlsruher Zeitung", den der „Oberländer
Bote" Nr. 135 (v. 14. 11. 1859) nachdruckt. In der
Rückschau auf die inzwischen an Schillers Geburtstag
(10. November) allenthalben gehaltenen
Schillerfeiern untersucht der Artikel, weshalb so
viele Schillerfeiern stattfanden und weshalb
Schiller bei den Deutschen so beliebt sei. Zwei
Gründe werden vorgebracht. Zunächst einer, der
im Wesen Schillerscher Dichtung selbst zu finden
sei:
... Und dieser Popularität erfreut er sich, weil er
die ideale Seite des deutschen Nationalgeistes — die
demselben ureigentümliche Idee der Humanität und
Freiheit, des Rechts und der Sittlichkeit — in
schwungvollster Begeisterung, verflochten mit dem
tiefsten Ernst des Gedankens und ausgestattet mit
dem farbenreichsten Glanz der Sprache, poetisch
verklärt hat.
Ob auch gar manche Schwäche an seinem poetischen
Schaffen haftet, so hat dies die Liebe der
Nation zu ihm im Ganzen nicht beeinträchtigt; man
möchte umgekehrt fast glauben, diese Schwächen
hätten seine Popularität eher erhöht, als gemindert.
Sie beruhen vornehmlich in der Abstraktheit seiner
Idealität. Die Werkstätte seines Schaffens war der
von der Außenwelt abgekehrte Gedanken- und Herzensschrein
; hier erbaute er sich seine eigene Welt
und stattete sie aufs Prunkvollste aus; von hier aus
machte er jene himmelanstrebenden Flüge der
Phantasie, die sich umso kühner und genialer ausnehmen
, je mehr sie den Boden der gemeinen Wirklichkeit
zurücklassen... Wenn er auch, nachdem er
seine Sturm- und Drangperiode durchgemacht, bestrebt
war, seinen poetischen Gebilden mehr reale
Lebensfülle einzuhauchen, seine Idealitäten tiefer in
die Wirklichkeit hereinzuführen, so herrschte doch
das abstrakt idealistische Element verhältnismäßig
bis ans Ende.
Gerade hierin aber trifft Schiller mit einem
Grundzug des deutschen Nationalcharakters überhaupt
, dem der subjektiv idealen Innerlichkeit, zusammen
, und sie zu kultivieren hatte die deutsche
Nation nur allzuviel Anlaß. Ihr ist es gegangen wie
dem Dichter in Schillers „Verteilung der Welt": wie
jener ist sie zu dieser zu spät gekommen. Da alles
schon verteilt war, war nichts mehr zu machen als
sich eine eigene Welt zu schaffen, eine Welt der
Idee. Sie hat es vollauf getan in allen Zweigen des
geistigen Lebens, im Bereich der Kunst und Wissenschaft
... Hier hat sie ihr eigenstes Wesen entfaltet,
hier sich eine geistige Heimat erschaffen, an der sie
umso fester haftet, je weniger das geographische,
historische und politische Vaterland ihren Wünschen
entspricht. Kunst und Wissenschaft sind die idealen
Hebel des modernen deutschen Nationalbewußtseins;
an den realen, wie sie die anderen großen Nationen
haben, fehlt es heute leider noch allzu sehr. Mitten
in diesem Nationalbewußtsein steht Schiller als eine
seiner stärksten Säulen ...
Das ist alles sehr richtig gesehen; die Feststellungen
des Karlsruher Artikelverfassers treffen
genau den zentralen Ort des Verhältnisses zwischen
Schiller und den Deutschen, wie es die
Initiatoren der Schillerfeiern damals sahen. Die
Schlußfolgerungen, die in der zweiten Hälfte des
Artikels aus dem bisher Dargelegten gezogen
werden, sind ebenfalls richtig. Sie halten einen
maßvollen Ton und hüten sich vor dem nationalistischen
Bramarbasieren, in dem sich der
Freiburger Artikel gefiel. Hören wir weiter:
Aber die Feier hat auch noch eine andere Seite, eine
national - politische. Das deutsche Nationalbewußtsein
strebt über die abstrakte Idealität hinaus, um
sich einen reellen, praktischen Inhalt zu geben. Die
Nation möchte ihre ideale Einheit zu einer politischen
fortgestalten; ... sie möchte das ungeheure
Gewicht ihrer physischen und geistigen Macht in die
Waagschale der Weltgeschichte werfen ... Man mag
wünschen, daß wir einen politischen Nationaltag
hätten, an welchem sich die Gesinnung des deutschen
Volkes alljährlich sammeln und manifestieren
könnte. In Ermangelung eines solchen mögen aber
Tage wie der heutige, immerhin supplierend eintreten
...
Der Artikel schließt mit den Worten:
Vor allem möge das Fest eine Station bezeichnen
auf dem Wege der echten und rechten Einigung, eine
Feier zur Ausgleichung der vielen Gegensätze, die
uns noch spalten, zur Versöhnung zwischen NQrd
und Süd und Ost und West. Der Schiller'sche Genius
wird am freudigsten über den zahlreichen Ovationen
schweben, wenn alle eingedenk sind seines Wortes:
„Seid einig, einig, einig!"
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