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Friedrich v. Schiller
Stahlstich von J. M. Fontaine nach der Schillerbüste von Dannecker
Mit Ausnahme der „National- und Volkszeitung",
welche die Wahrheit aus Rücksichten zu vertuschen
sucht, sind alle Berliner Blätter einstimmig in der
Schilderung und Verurteilung der Exzesse, welche
am Abend des 10. November auf dem Gendarmenmarkt
stattfanden. Der „Publizist" berichtet u. a.:
„Hunderte von Buben machten auf jeden anständigen
, mit einem Hut bekleideten Herrn Jagd und
trieben ihm den Hut unter Hohngelächter auf den
Kopf. Es war ein Brüllen, Toben und Pfeifen, daß
man kein Wort verstehen konnte. Am schändlichsten
hat man gegen die Damen gewirtschaftet. Anständige
junge Mädchen sind auf der Straße von drei oder
vier Burschen, welche sie anrannten, niedergeworfen,
und, wenn sie auf der Erde lagen, schamlos behandelt
worden. Namentlich machte man sich ein Vergnügen
daraus, Personen weiblichen Geschlechts,
welche unvorsichtigerweise in das Gedränge geraten
waren, in die Baugrube des Grundsteins zu drängen.
(Anm. d. Verf.): Dort wurden sie von einer rohen
Bande hohnlachend empfangen. Man behandelte sie
in empörender Weise, nahm ihnen die Röcke über
dem Kopf zusammen und trieb die ärgsten Zoten
mit ihnen. Einer Dame wurden die Kleider derartig
vom Leibe gerissen, daß sie mit einem ihr mitleidig
dargereichten Herrenmantel ihre Blößen decken
mußte. Die höchste Spitze erreichte der Unfug zwischen
10 und 11 Uhr, wo man die Tribünen einriß
und nun ein großes Feuer anzünden wollte...
Schließlich mußte die „gesamte berittene Schutzmannschaft
" und die „Schutzleute zu Fuß mit
Gewehren" gegen den Mob vorgehen und unter
„Heulen, Pfeifen und Steinwürfen" mit „flachen
Säbelhieben" die Säuberung des Platzes erzwingen
. So also „feierte" man in Berlin den Schillergeburtstag
im Volk, — in der Hauptstadt des
deutschen Landes, das eben damals den Anspruch
erhob, unter seiner Führung Deutschland
zu einen. Den Hintergründen der Ausschreitungen
in Berlin nachzugehen verlohnt in unserem
Zusammenhang nicht. Sehen wir lieber weiter
zu, was das Markgräflerland zu Schiller und zum
Schillergeburtstag noch weiter erfuhr.
Da erscheint in Nr. 139 des „Oberländer Boten
" die sich länger fortspinnende, rührselige
Geschichte von dem badischen „Bäuerlein", das
fünf Stunden weit am Tag der Schillerfeier nach
Karlsruhe kommt, um ein Bündel Kienholz zu
verkaufen; es sieht die Statue des Dichters für
das Bild eines Heiligen an und bittet den vermeintlichen
Heiligen, ihm bei dem dringend
nötigen Verkauf behilflich zu sein. Tatsächlich
helfen Studenten des Polytechnikums dem
Bäuerlein in freundlichster Weise, nehmen ihm
sein Kienholz gegen reiche Bezahlung ab, so daß
er — nach einem neuerlichen ehrerbietigen Gruß
an der Schillerbüste — wohlbeschenkt wieder in
die heimatlichen Berge wandern kann. Die Nummer
mit dem Schluß dieser Erzählung (Nr. 142)
bringt dann noch einen Beitrag über das Begräbnis
und die Wiederausgrabung Schillers. Unter
dem Datum vom 28. Nov. 1859 erschien weiter
im „Verkündigungsblatt" Nr. 141 ein von Amtsrichter
Müller in Schopfheim abgefaßter und
unterzeichneter Aufruf zur Gründung einer
Schillerstiftung. Die gehäufte Schillerei muß
aber einem Markgräfler auf die Nerven gefallen
sein, denn in der gleichen Nummer 141 des
„Oberländer Boten" erscheint auch ein unsig-
niertes Gedicht, das an den 100. Geburtstag
Hebels im nächsten Mai erinnert. Am 2. Dezember
erst erschien endlich der noch ausstehende
Bericht der Schillerfeier von Schopfheim (Nr. 143
des „Oberländer Boten"). Er sei als letzter Beitrag
der Markgräfler Publizistik zum Schillergeburtstag
hier abgedruckt:
Schillerfeier in Schopf heim (verspätet, aber nicht zu
spät). Durch das freundliche, im Flaggenschmuck
prangende Städtchen zogen vormittags die Schüler
der höheren Bürgerschule und die oberste Abteilung
der Volksschule, geführt von ihren Lehrern, zum
festlich bekränzten Rathaussaal, wo von dem Vorstand
der ersteren Anstalt eine schöne, vorzugsweise
der Jugend gewidmete Ansprache über die
Bedeutung des Festes mit einem kurzen Lebensabriß
Schillers gehalten wurde. Deklamatorische
Vorträge von Schillerschen Gedichten wechselten mit
entsprechenden Gesängen, und wurde am Schlüsse
jedem der versammelten Schüler ein Exemplar des
neu erschienenen Auszuges der Schillerschen Gedichte
, zur Erinnerung an den heutigen Tag, überreicht
.
Abends strömten die Bewohner der hiesigen Stadt
und zahlreiche Freunde aus der Nachbarschaft den
Sälen des Gasthauses zum „Pflug" zu, woselbst ein
gelungener Transparent, Schiller, den Gefeierten,
darstellend, über dem Eingang prangte. Der äußerst
geschmackvoll verzierte Festsaal, zum Teil zu einer
Bühne umgestaltet, konnte die Zahl der Eintrittsuchenden
kaum fassen. Eine von Herrn Amtsrichter
Müller dahier vorgetragene Festrede, mit einer
Lebensbeschreibung Schillers beginnend und dann
auf dessen hohe Bedeutsamkeit für Kultur, Kunst
und Wissenschaft im allgemeinen, sowie für die
deutsche insbesondere, war so erhebend, so von
deutschem Nationalsinn durchdrungen, daß der tiefe
Eindruck auf die Zuhörer nicht zu verkennen war.
Hieran reihten sich drei Männerchöre von Höser,
Lortzing und Kreutzer, unterbrochen durch Deklamationen
von Schillers „Worte des Glaubens" und
„Die Glocke", sodann folgte Rombergs „Cantate",
„Die Macht des Gesanges" von Schiller, ausgeführt
von dem hiesigen Gesangverein, worauf von weißgekleideten
Jungfrauen Danekers Schillerbüste im
Glanz bengalischen Feuers bekränzt und mit dem
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