http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1960-01/0006
scheidend ist, daß solche Begegnungen aus der
Atmosphäre offizieller Besuche mit all ihrer
Steifheit und Befangenheit herausgehoben werden
. Ungezwungen und gelockert müssen sich
die Menschen gegenübertreten, wenn die Kontaktaufnahme
den gewünschten Erfolg haben
soll. Von Anfang an wird vor allem an die Jugend
gedacht. Für sie besonders werden ja
schließlich all diese Anstrengungen unternommen
; denn die Jugend ist es, die in fünfzehn
oder fünfundzwanzig Jahren das Ruder in die
Hand nehmen muß, die Jugend ist es, der die
heutige Erwachsenengeneration die Wege bahnen
muß, die sie — zurechtgewiesen durch die
Ereignisse der letzten Jahrzehnte — als richtig
erkannt hat. In diesem Zusammenhang gewinnt
das Wort einer Französin seine tiefste Bedeutung
, wie es auf einem, der Kongresse der IBU
gesprochen wurde: „Sollen wir unsere Kinder
erziehen, damit sie in zwanzig Jahren auf die
Schlachtfelder geschickt werden? Die Tränen,
die wir um sie weinen, haben keine nationalen
Farben; es sind immer nur die Tränen von
Müttern!"
Was ergibt sich aber aus der Notwendigkeit,
persönliche Begegnungen zu schaffen? Nichts
anderes als die zweite Notwendigkeit, solche
Begegnungen in Bahnen zu lenken, in denen
ihnen die größte Dauer- und Breitenwirkung
ermöglicht wird. Die IBU sieht den besten Weg
hierzu in der Gemeindepartnerschaft. Zwei
Städte schließen miteinander ein Freundschaftsverhältnis
, das dann seinerseits zur Grundlage
von vielen Begegnungen der Menschen dieser
Städte wird. Dieser Gedanke ist nicht neu und
schon vor 1939 zwischen England und Frankreich
sowie im skandinavischen Raum mit Erfolg
praktiziert worden. Ob dabei viele Einzelbegegnungen
gewissermaßen als Bewährungsprobe am
Anfang stehen und aus ihnen dann der Abschluß
einer Partnerschaft resultiert, oder ob der umgekehrte
Weg eingeschlagen wird, so daß also am
Beginn ein feierlicher Akt der Verbrüderung
steht und auf dieser Grundlage sich die persönlichen
Kontakte aufbauen, bleibt sich letztlich
gleich. Bei den zahlreichen Partnerschaften, die
im Rahmen der IBU geschlossen worden sind,
sind beide Möglichkeiten mit guten Ergebnissen
erprobt worden. Damit hat die IBU auf diesem
Wege etwas getan, was seine Anerkennung bereits
1956 etwa in folgender Pressestimme der
Hamburger „Zeit" findet: „Während sich Robert
Schumans Europagedanke langsam in eine „Behörde
" verwandelt, während Politiker europäische
Dächer zimmern, hat die IBU im Schatten
der großen Kongresse und Konferenzen still und
meist wenig beachtet, aber beharrlich am Unterbau
gemauert".
Gerade diesen Unterbau hält ja die IBU für
besonders wertvoll, und man muß ihr beipflich^
ten, denn was hilft das schönste Dach (um im
Bilde zu bleiben), wenn die Fundamente unsicher
sind! Während — wie oben schon einmal betont
worden ist — die Politiker in ihrer europäischen
Höhenluftatmosphäre hin und wieder die Fahne
drehen müssen, kann und muß der Unterbau
beständig bleiben, und er wird es dann umso
besser tun können, wenn er möglichst breit angelegt
ist. Die „simplen Leute", wie sich die
Schweizer genannt haben, der „kleine Mann",
wie es bei uns oft heißt, sie sind gar nicht so
bedeutungslos für die große . Politik, wie viele
meinen. Sie beeinflussen in ihrer Standhaftigkeit
das Geschehen oft nachhaltiger, als die aufblitzenden
und wetterleuchtenden „Genies".
Eugen Wyler, Schriftsteller und 1947/48 Mitbegründer
der IBU, jetzt deren Ehrenpräsident,
hat über diese Untermauerung des Friedens
durch kommunale Zusammenarbeit einmal folgende
grundlegenden Ausführungen gemacht,
die — weil ihr Inhalt
straffer kaum
zu formulieren ist
— hier im vollen
Wortlaut stehen
mögen:
„In der Demokratie
kann man
nicht alles dem
Staat überlassen.
Wenn die im praktischen
Alltag sich
mühenden Bürger
warten müßten,
bis es den Regierungen
gelungen
wäre, die Einigung
und Harmonie
mit dem
Gegenpartner zu
finden, nähme das
Warten kein Ende,
und keiner käme
Badenweiler
(Archiv Kurzeitung)
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