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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1960-01/0015
am ehesten den Zugang zu ihr vermittelt, sind
ihre Musikerbiographien, zumal ihr „Mozart",
ist das Buch über Ludwig II. und Wagner, ist
der sehr gewichtige Sammelband „Blätter in den
Wind" jedem erreichbar. Man möge in dieser —
sagen wir getrost: literarischen Auferstehung ein
schönes Symptom der Besinnung auf Werte, auf
europäische Werte sehen. Man fürchte übrigens
nicht, daß es sich bei den Büchern der Kolb um
sogenannte „schwere Lektüre" handelt. Obwohl
alles andere als „Unterhaltungsliteratur", sind
sie hell, anmutig, fließend und farbig geschrieben
; man läßt sich von ihnen willig forttragen,
und dann erst, später, verspürt man ihre nachhaltige
, über Tag und Stunde hinausreichende
Wirkung. Über sich selber schreibt sie im
„Beschwerdebuch": „Sie hat sich, obwohl ihre
Bücher nicht sehr zahlreich sind, schrecklich geplagt
. Und dies muß ich Euch sagen, weil man
ihren Sachen die große Mühsal nicht anmerkt.
Sie hat es sich nicht leicht gemacht, am wenigsten
mit dem Schreiben. Zum Schreiben drängte
sie nicht das Talent, sondern ihre Meinungen,
und darin. . . liegt der Schwerpunkt ihrer
Arbeiten".

Annette Kolb hat sich bald nach dem ersten
Weltkrieg in Badenweiler niedergelassen, wo sie
bis 1934 ständig wohnte; seit dem Ende des
zweiten Weltkrieges lebt sie zumeist in Paris
oder auf Reisen, verbringt indessen fast alljährlich
einige Sommertage oder, von Basel
herüberkommend, einige Stunden im
neben dem Ihrigen gelegenen Hause
Anna Schickeies an der Kanderner
Straße. Daß ihre Wahl gerade auf Badenweiler
fiel, geschah auf Grund ihrer
Freundschaft zu Rene und Anna Schik-
kele und Emil und Maria Bizer — geschah
aber auch auf Grund einer Wahlverwandtschaft
mit dem deutschen Südwesten
und seinen geographisch - politischen
Gegebenheiten. Die ernste Lieblichkeit
der Landschaft, sicherlich einer
der schönsten und reinsten, deren
Deutschland sich rühmen kann, dazu
der Blick auf Frankreich und die Nähe
der Schweiz: das alles kam Annette
Kolbs menschlich-geistiger Substanz entgegen
und ließ die Ruhelose hier heimisch
werden.

Wer die zugleich zarte und elastisch-
straffe, eigenartig, aber höchst vornehm
gekleidete Gestalt der Dichterin, umweht
von der Zeitlosigkeit, die alles
Bedeutende umgibt, durch Badenweiler
hat gehen sehen, den wundert es schwerlich
, daß sie vor einigen Jahren noch,
zu Lebzeiten der Fürstin, gelegentlich
für die letzte Großherzogin von Baden
gehalten und von Fremden ehrfürchtig
gegrüßt worden ist. Wer das Glück
hatte, ihre Gesellschaft zu genießen,
ihre beschwingte, innerlich freie, angriffsfrohe
Fähigkeit, zu plaudern und
Gespräche zu führen, der ist sich, sogleich
im Bann der ausstrahlenden Kraft,
die literarische Leistung und gelebtes
Leben, Wollen und Vollbringen Annette Kolb
haben angedeihen lassen, sogleich innegeworden,
daß er nicht nur einer Schriftstellerin von hohem
Rang gegenübersaß, deren Bücher er liebte, sondern
einer Persönlichkeit, in der sich, nach Sein
und Gewordensein, ein gut Teil des Besten verkörperte
und ausdrückte, was im gegenwärtigen
Europa an Musischem, Geistigem und Noblem
lebendig ist.

Annette Kolb hat ihre jungen Jahre überwiegend
in München verbracht, damals der
demokratischsten und individualistischsten aller
deutschen Städte. Ihr Vater besaß als Schloßgartendirektor
einen ausgedehnten, fruchtbaren
Wirkungskreis. Ihre Mutter war Französin,
Pianistin und Komponistin. Annettes hohe Musikalität
in ihrer Doppelbekundung als Virtuosin
und Ausdeuterin ist somit als mütterliches Erbteil
anzusprechen. Darauf, daß ihre Musikalität
ihr sozusagen „von jenseits des Rheins" zuteil
wurde, ihre Intelligenz jedoch von väterlich-
bajuwarischer Seite (so daß sie also, gemessen
am sonst Üblichen, ihre Erbmasse mit umgekehrten
Vorzeichen empfing), beruht nicht zuletzt
ihre schöpferische und persönliche Eigenart.

Annette Kolb ist auf zweifache Weise in die
Weltliteratur eingegangen: durch ihr eigenes
literarisches Werk, und als Gestalt in Thomas
Manns „Doktor Faustus". Sie heißt dort, porträtähnlich
gezeichnet, Jeannette Scheurl, und der

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