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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1960-02/0004
Hanns Bastanier:

tob htn Gröben

Wer in den letzten Novembertagen ganz früh
morgens nach Osten geschaut hat, hatte bei
klarem Wetter ein wunderbares Bild vor Augen:
über den charakteristischen Umrißlinien des
Blauen und des Brandecks standen in überirdischer
Klarheit und Leuchtkraft auf dem
dunklen, türkisblauen Morgenhimmel die Venus
und die sich immer mehr verfeinernde Sichel des
abnehmenden Mondes. Ein Bild von märchenhafter
Stille und Schönheit, das durch die täglich
veränderte Stellung des Mondes immer wieder
neu und überraschend wirkte.

Einige Zeit später, wenn das Tagesgestirn
schon weiter heraufgekommen war, begannen
die beiden Himmelslichter langsam zu verblassen
und versteckten sich schließlich hinter den
grauen, langsam in dunklem Purpur erglühenden
Morgenwölkchen. Dieses Vorspiel zur Farbensymphonie
des Sonnenaufganges ging dann bald
in leuchtendes Gold über, bis es unter den ersten
Sonnenstrahlen verblaßte und seine Farben
verlor.

Wenn die Strahlen der Sonne über den Blauen
fallen und die höchsten Türme und Dächer
Müllheims im Morgenschein aufleuchten, dann
löst sich aus den Nebeln des Weilertales, scheinbar
unterhalb des Brandecks, eine sonderbare
Linie ab, die in sich wogend sich verbreitert und
entwickelt, um dann schließlich als beherrschendes
Motiv dem bisher stillen Bilde Leben einzuflößen
und sich in immer neuen Formen heranzuschieben
. — Es sind die Krähen, die ihre
Schlafbäume verlassen haben, um sich in langsamem
Fluge in ihre Tagesreviere zu begeben,
die, weiß der Himmel wo, vielleicht am Altrhein
liegen mögen. So kommen sie wie eine Welle
langsam herangewogt, bis sie sich in Hunderte
von Einzelwesen auflösen, die, höher oder tiefer
fliegend, ihr charakteristisches Krah - Krah in
allen Variationen hören lassen, so daß ein
rauher, aber in die Natur passender Chor entsteht
, der wohl zu den ältesten Urlauten dieser
Landschaft gehört.

Bald fliegt die Riesenschar, die auch mal ausbiegt
und Kreise zieht, über uns hinweg, und
man hört neben dem Geschrei auch das Rauschen
ihrer Flügel. Eine Weile hört man sie noch, dann
ballen sich die Einzelwesen wieder zur Masse
zusammen, die nach Westen, den Vogesen zu,
wogend und flatternd als dünne Linie im Morgendunst
verschwindet.

Nicht immer, aber manchmal kehren sie im
Laufe des Tages zu den verschiedensten Zeiten
zurück und fallen in großen, lauten Scharen in
die umliegenden Felder und Gärten ein, um sie
eifrig und voller Sorgfalt nach täglichem Brot
abzusuchen.

Wenn man sie so herumspazieren sieht, — oft
wimmelt ein Feld von Dutzenden, wenn nicht
Hunderten von Krähen, — dann freut man sich
über den Ernst, mit dem sie in gravitätischen
Bewegungen nach einer Maus huppen, alte Blätter
umwenden, in jedem Loch herumstochern,
verdächtige Erdstellen aufpicken und unter alles

gucken, was etwas Freßbares verbergen könnte.
Mit unermüdlichem Eifer wird jeder Quadratmeter
durchforscht, wobei oft die drolligsten
Bewegungen zu Stande kommen. Ihr großer, fast
übergroßer graugelber Schnabel sieht aus wie
eine Fasnachtsnase, die dem ganzen Eindruck des
Vogels etwas Bizarres gibt, so daß man meint,
er müsse nach vorn überkippen! Nichts entgeht
ihrem Schnabel, keine Birnenmumie, keine vergessene
Kartoffel, keine alte Nuß oder gar ein
verlorener Knochen! Diese schwarze „Feldpolizei
" sieht alles, findet alles und frißt alles!
Dabei lassen die Vögel ihre Umgebung keinen
Augenblick aus den Augen. Haarscharf paßt die
ganze Bande auf, und wenn sich etwas zeigt, das
Bedenken erregen könnte, dann streicht die
ganze Schar ab um sich etwas weiterhin wieder
niederzulassen. So herrscht eine viertel bis halbe
Stunde reges Leben auf dem betroffenen Felde,
und unwillkürlich kommt einem die Frage in
den Sinn, ob nicht auch die Augen Jesu bei seinen
Wanderungen auf diesen schwarzen Gesellen
geruht haben und ob sie ihn nicht zu den Worten
angeregt haben könnten, die uns in der
Bergpredigt überliefert sind: „Sehet die Vögel
unter dem Himmel! Sie säen nicht, auch ernten
sie nicht, aber Euer himmlischer Vater ernähret
sie doch. Seid Ihr denn nicht viel mehr denn
diese?"

Oft sieht man auch Elstern und kleine blauglänzende
Dohlen geschäftig zwischen den Krähen
herumhüpfen, aber die Vorherrschaft der
Krähen wird von den Gästen anstandslos anerkannt
. Alle wahren Abstand untereinander, nur
die Ehepaare halten anscheinend zusammen.
Sonst aber ist ein glücklicher Finder einer Kartoffel
oder Rübe sofort auf der Flucht vor seinen
gleich ihm hungrigen Genossen, um seinen Fund
irgendwo in größerer Ruhe verzehren zu können
, wenn er auch bald von den wachsamen
Kumpanen aufgestöbert wird. Und dabei fällt
einem dann ein anderes Wort ein, eines von
Goethe, das auch über dem Leben der Krähen
steht, das aber den Worten Jesu nicht widerspricht
, sondern sie nur ergänzt, indem es den
Einsatz aller gottgegebenen Kräfte verlangt:

„Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben,
der täglich sie erobern muß."

Ja, sie haben's gut, die Vögel unter dem
Himmel, aber sie sind trotz alledem nicht verwöhnt
wie manche Menschen von heute! „Nur
der" verdient sich sein freies Dasein... „nur"
der . . . !

Ob es sich nicht lohnen sollte, sich bisweilen
von den Krähen an dieser „Weisheit letzten
Schluß" erinnern zu lassen? . . .

Wenn dann am Abend die Sonne über den
Vogesen sinkt, dann tauchen die schwarzen
Scharen wieder am Westhimmel auf, dann kommen
sie nach vollbrachtem Tagewerk in aufgelöster
Front laut schreiend zu ihren heimischen
Schlafbäumen zurück, teils im Gleitflug müde

(Fortsetzung Seite 4)

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