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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1960-02/0005
Leopold Börsig:

&z\n JJlcit? blieb leer

Gedanken zum ersten Todestag Fritz Wolfsbergers

Der Gedenktage gibt es, jahraus jahrein, viele. Man
hält eine Rede, man schreibt einen Nachruf, man veröffentlicht
aus dem Nachlaß eines Dichters irgendein
unbekanntes Gedicht, eine Erzählung, man tut das eben.
Manchmal liest auch jemand tatsächlich, was da geredet
oder geschrieben worden ist. Und manchmal denkt der
eine oder andere darüber nach. Das ist selten, vielleicht.
Aber es ist genau das, um was wir hier unsere Leser
bitten wollen, sehr herzlich bitten wollen. Vor einem
Jahr, am 11. Februar 1959, ist unser langjähriger Hebelvogt
Fritz Wolfsberger unerwartet in die Ewigkeit abberufen
worden. Und vor einem Jahr haben wir an
dieser Stelle,' noch erschüttert vom jähen Tod dieses
hervorragenden Markgräflers, versucht, in einer ersten
Würdigung auf die Bedeutung Wolfsbergers und mithin
auf die Schwere des Verlustes, den der Hebelbund, das
Markgräflerland, wir alle, verzeichnen müssen, hinzuweisen
. Wir haben damals auch davon berichtet, wie
Fritz Wolfsberger in den letzten Stunden vor dem Tod
noch sprechen wollte, wie sein Mund aber nur noch
stumme Worte formen konnte. Es steht uns nicht an,
eben diese stummen Worte zu deuten. Aber wir meinten
damals, und wir meinen es heute ebenso, daß das Werk
und die Dichtung von Fritz Wolfsberger Unüberhörbares
bedeuten: vergeßt Hebel und Heimat, Muttersprache und
Sitte nicht!

Nun, heute, nach einem Jahr ist es an uns zu fragen:
Wie haben wir, seine Freunde, der Kreis, den Fritz
Wolfsberger gesammelt hatte, die Mahnung verstanden
und was haben wir getan? Beschämt müssen wir um
uns sehen. Fritz Wolfsbergers Platz als Hebelvogt ist
leer geblieben. Es scheint nun an der Zeit zu sein, in
eben unserem Kreis ein offenes Wort zu sprechen. Nicht
daß ein kleiner Kreis, die engsten Mitarbeiter von Fritz
Wolfsberger, voran der stellvertretende Hebelvogt K.
Schäfer, sich nicht nach Kräften bemüht hätten, die
Dinge zu ebnen und einen würdigen Nachfolger zu finden
. Nicht daß man etwa im Markgräflerland keinen
Hebelvogt finden könnte, weil es keinen Menschen gäbe,
der dazu in der Lage wäre. Es ist viel schlimmer: es
gibt unter den zahlreichen Markgräflern, die durchaus
in der Lage dazu wären, keinen einzigen — bis jetzt —,
der dazu willens wäre. Das ist eine Feststellung. Die
Frage ist, ob diese Feststellung zu einem tristen Eingeständnis
werden muß, zum Eingeständnis einer verhängnisvollen
Gleichgültigkeit. Die Frage ist also: ist
das alles, was der Hebelbund Müllheim und in erster
Linie sein verstorbener Hebelvogt Fritz Wolfsberger angestrebt
und in vielem auch verwirklicht haben, ist das
alles plötzlich nichts mehr wert? Verpflichtet das alles
nicht mehr, niemanden mehr? Liegen hi£r Mißverständnisse
vor, die bedauerlich wären?

Vielleicht denken wir einmal an mögliche Mißverständnisse
. Dem Hebelbund und seinem Hebelvogt wurde
gelegentlich der Vorwurf der „Hebelei" gemacht. Sehen
wir einmal von jenen ab, die diesen Vorwurf aus Gehässigkeit
oder einfach aus Torheit erhoben. Möglicherweise
aber wurde da auch manche Stimme laut, die
ernst genommen werden muß. Solchen Stimmen wäre
zu antworten: nie und in keinem einzigen Falle ist es
Fritz Wolfsberger um eine „Hebelei" gegangen, um eine
Art Vereinsmeierei, um eine Deutung Hebels, die im
Oberflächlichen blieb, um eine Deutung der Heimat, die
nicht hinüberreichte in unsere letzte Heimat, so wie jene
Verse Hebels in die unvergängliche Heimat weisen: „Un
us der Heimet chunnt der Schii, — 's mueß liebli in der

Aufnahme: L. Börsig

Heimet sii!" Hebel war für Fritz Wolfsberger kein Anlaß
zu weinseligem, sentimentalem Wort - Geklimper. Freilich
, Hebel war für Fritz Wolfsberger auch keine ausschließlich
literarische Angelegenheit, so wenig wie Heimat
für ihn etwa nur Anlaß zu einem „Feschtli" war.
Wir glauben auch, daß wir es hier im Namen der engsten
Mitarbeiter von Fritz Wolfsberger aussprechen dürfen:
in einer Zeit besinnungsloser, bodenloser, beziehungsloser
Hetze nach dem berühmten Lebensstandard, in
einer Zeit banaler Geschwätzigkeit, primitiver Nachäfferei
, arroganter Aufgeblasenheit, in einer solchen
Zeit scheint es uns noch mehr als je zuvor notwendig,
die Quellen unseres Daseins rein zu halten, sie zu bewahren
vor dem Verschmutzen durch eine Massen-
Zivilisation, aus ihnen zu schöpfen für ein Leben, das
nicht auf seine innere Würde verzichtet, für ein Leben,
das, geführt in der menschlichen Nähe wirklicher Nachbarschaft
, einen warmen Schein gibt, einen Widerschein
der äußeren und der inneren Heimat zugleich. Wir
stehen nicht an zu sagen: wir denken hierbei nicht im
mindesten an das Wohl und Wehe eines „Vereins". Wären
nicht notwendigerweise gewisse materielle Dinge in
Ordnung zu halten, so bräuchte es überhaupt keinen
Verein. Viel wichtiger ist das Bewußtsein, zu einem
Bund, zu einem sich verbunden fühlenden Kreis besinnlicher
Menschen zu gehören. Was den Hebelbund Müllheim
anbelangt, so bedarf er absolut keiner Aufmärsche.
Auch keiner Fahne. Das sei doch wieder einmal in aller
Deutlichkeit gesagt.

Möge der erste Todestag unseres Hebelvogtes Fritz
Wolfsberger ein Anruf an alle Hebelfreunde sein, dafür
zu sorgen, daß das, was ihm ein Anliegen seines ganzen
Lebens als Mensch und als Dichter war, nicht mit ihm
ins Grab gesunken ist. Alle großen Worte, die an seinem
Grab vor einem Jahr gesprochen worden sind, aller
schönen Reden zum Trotz ist bis jetzt niemand an den
Platz getreten, wo Fritz Wolfsberger Segensreiches für
seine Heimat getan hat. Das ist eine bittere Feststellung,
aber hoffen wir, daß es nicht zu jenem fatalen Eingeständnis
wird, von dem wir sprachen. Hoffen wir, daß
der Reichtum der Heimat, dem Fritz Wolfsberger in
einem Gedicht, das wir auf Seite 7 abdrucken, so schönen
Ausdruck verlieh, nicht an der Armut unseres
Denkens, an unserer Opferbereitschaft scheitert.

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