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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1960-03/0006
so wichtig als gefahrvolle drohende Zufall begegnet
, daß heute frühe der in der Anlage an
dem nächst bei der St. Peters Pfarrkirche an der
Straße stehenden städt. Schulhaus, wo ihn die
gesamte in den Früh Gottesdienst gegangene
Leute sehen und lesen konnten und auch des
öffentlichen Auffallens wegen lesen mußten,
öffentlich angeschlagen erfunden worden ist.
(Siehe Faksimile auf Seite 3.)

Man mag nun diese Schrift betrachten, in was
immer für einem Gesichtspunkt als man will, so
ist selbe eine höchst gefährliche Aufforderung
der gesamten Bürgerschaft zu einem greuelvollen
öffentlichen Aufstand zur Widerstrebung
aller Landesfürstlichen Anordnungen, die nicht
nur eine völlige Ortszerrüttung, sondern den
Ortsvorstehern und jedem noch gutdenkenden
Bürger offenbaren Untergang drohet.

Durch die täglich weiter um sich greifenden
betrübtesten Beispiele in Frankreich und in dem
naheliegenden Elsaß angefeuert, hat der unterzogene
Magistrat von der Klasse der Bedürftigen
, ohnehin der Ordnung abgewohnter und
unter den Lasten der Schulden seufzenden Bürger
ein allgemeines Mißvergnügen, Schimpfen,
Drohungen und Schänden gegen die Obrigkeit,
somit eine solche gefahrvolle Zerrüttung wahrgenommen
, so daß derselbe in Ausübung seines
richterlichen Amtes sich mit unglaublicher Mäßigung
zurückhalten und seine diesfälligen Pflichten
nur zum Theil in Erfüllung bringen muß.
Durch diese unerwartete Aufforderung, die bereits
schon, dieweilen sie öffentlich war, in der
Nachbarschaft kundig geworden ist, ist nun der
Magistrat in solche dringendste Verlegenheit
gesezet, daß es ihm wirklich an der nötigen
Sicherheit gebricht, eine obrigkeitliche Amtshandlung
vorzunehmen.

Der unterzogene Magistrat siehet sich dahero
äußerst notgedrungen, einer Hochlöblichen Regierung
und Kammer diesen gefahrvollen Noth-
fall gehorsamst anzuzeigen und anbei zu bitten,
daß von Hochselber unmittelbar die höchstnötigen
Sicherheitsanstalten und etwaige Untersuchungen
, wozu der urschriftlich anliegende
Aufforderungszettel, wegen der allenfalls zu
erhebenden Aehnlichder Schrift vieles Licht
geben wird, ohne einigen Verzuge getroffen und
dem unterzogenen Magistrat die nötige Verhaltungsbefehle
erteilt werden möchten, um welche
mit dringender Angelegenheit gebetten wird.

Endingen, am 23ten August 1789."

Der Anschlag an der Schulhaustür ist ein
großartiges Dokument der menschlichen Seele.
Schollenhaft wie die Schrift bricht der Drang
nach Freiheit aus dieser einfachen Seele. Freiheit
von was? Von der Not um das tägliche Brot,
die auf ihr lastet? Die hat noch keine Revolution
von den Menschen genommen, sie hat sie nur
vertauscht oder verlagert. Von der inneren Not
der Seele, die Gestalt werden will aus ihrer
Dumpfheit, wie das Marmorbild Gestalt werden
will aus dem rohen Block? Ortega y Gasset formuliert
in einer seiner Schriften das Gesetz des
Mangels und das Gesetz der Überfülle, die
sich gegenseitig durchdringen: „Alles Sagen ist

mangelhaft, das heißt, es gelingt uns niemals,
vollständig das auszusagen, was zu sagen wir
uns vornehmen. Das andere Gesetz besagt: Alles
Sagen ist Uberfülle, das heißt, unser Sagen enthüllt
stets viel mehr Dinge, als wir uns vornehmen
, und nicht einmal wenige, die wir
eigentlich verschweigen wollen". Gewiß drückt
der Anschlag nicht vollständig aus, was das einfache
Gemüt des Endinger Bürgers bewegte.
Was der Magistrat daraus entnahm, gehört schon
auf die Seite der Überfülle.

Auch diese Meldung ging unverzüglich an die
Regierung nach Wien. Sie löste dort keineswegs
eine Panik aus. Die Regierung legt den Hilferuf
dem Kaiser vor und läßt Herrn v. Sumerau, dem
Präsidenten der v. ö. Regierung zu Freiburg,
dessen Weisung zugehen:

„Allerhöchst dieselbe haben hierauf auch in
formalibus zu entschließen geruhet:

Der Regierung ist aufzutragen, für jetzt gar
nichts zu thun, sondern alles in dem dermaligen
Stand zu lassen, wie es zur Erhaltung der Ruhe
nöthig ist, seiner Zeit wird man die Sache schon
wieder in Ordnung zu bringen trachten. Keine
Regimenter können nach Vorderösterreich geschicket
werden, und ist sich übrigens wegen der
Capitulation in nichts einzulassen".

v. Sumerau gibt diese Verhaltens-Richtlinien
auch an das K. K. Militär zu Freiburg weiter.
Gleichzeitig bemüht er sich, zwischen seiner
Regierung und der des Markgrafen von Baden
Wege zu einem gemeinsamen Vorgehen zu finden
. Am 6. September berichtet er hierüber ausführlich
an den Kaiser nach Wien. Dieses
Schriftstück gibt einen vollkommenen Blick über
die Lage am Oberrhein im Revolutionsjahr 1789.
Es ist daher aufschlußreich, es hier vollständig
anzuführen:

„Eure Majestät haben auf unsere Berichte
vom 20., 21. und 24. vorigen Monats, die in der
Ö'en Ortenau ausgebrochenen Unruhen betreffend
, mittels allerhöchsten Hofdekretes vom 30.
des abgewichenen Monats, das uns heute durch
Estafette zugekommen ist, allergnädigst zu entschließen
geruhet: (folgt die oben angeführte
kaiserliche Anweisung).

Wir werden uns nach dieser allerhöchsten
Weisung genauest richten. Wir glauben auch,
diesem Grundsatz zeither gefolgt zu sein, wie
das nachstehende chronologische Faktum über
das, was seit unserem letzten allerunterthänig-
sten Berichte vom 24. v. Mts. in Absicht auf den
Ruhestand in den uns anvertrauten Vorlanden
geschehen und von uns vorgekehrt worden ist,
ausweisen wird.

A. Betreffend die Ortenauer Unruhen:

Wie es zum Theile schon aus eingangs gedachten
Berichten zu entnehmen war, hat der
in der Ortenau ausgebrochene Lärmen nicht nur
den Landvogt, sondern auch einige bedrohte
Gerichtsvögte aus der Ortenau vertrieben, wovon
die meisten inzwischen und ohne langes
Ausbleiben zurückgekommen sind. Der Oberamtsrath
v. Nellenburg wagte es auch nicht, sich
den Bauern zu zeigen, und endlich jammerte der
Oberamtsrath und Landschreiber v. Kleinbrod,

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