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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1960-03/0012
aufgebaut. Seine Abgelegenheit mag auch der
Grund gewesen sein, daß er fast vollständig
erhalten geblieben ist. Eine Stätte wehmütiger
Stimmung; glaubt man sich beim Betreten des
Friedhofes in einem steinernen Wald zu befinden
. „Steine, hunderte Jahre alt, neigen sich zur
Erde. Sie stehen wie eine kleine Schar von
Greisen, die sich kaum mehr aufrecht erhalten
können, voller Müdigkeit, sich am liebsten zum
Schlafen legen". Mit diesen Worten, die auch
für den Sulzburger Friedhof ihre Geltung haben,
charakterisiert der Lörracher Denkmalpfleger
Julius Wilhelm in einer Studie den alten um
1670 angelegten Friedhof am Schädelberg von
Lörrach.

Die Grabsteine des Friedhofes zeichnen sich
durch ihre außerordentlich schöne hebräische
Beschriftung aus. Die Buchstaben des Textes
sind vertieft eingemeißelt, während sich im
alten Teil keine in Relief gearbeiteten finden
(anders auf dem Schmieheimer Judenfriedhof,
wo auch Reliefbuchstaben anzutreffen sind). Die
Motive, die neben der Schrift verwendet werden
und die immer wiederkehren, sind vor allem die
segnenden Hände der Hohepriester in der typischen
Gestaltung. Die beiden inneren Handflächen
sind nebeneinander gestellt, die Daumen
berühren sich, die übrigen Finger bilden zwei
divergierende Gruppen. Es sind dies Grabinschriften
für Angehörige der Familie Kahn
(sog. Kohanim, die in der jüdischen Liturgie
Priesterfunktionen des Segnens der Gemeinde
ausüben, welche Familie in Sulzburg sehr verbreitet
war, alles Abkömmlinge des ersten Landrabbiners
von Sulzburg, David Kahn, gestorben
in Sulzburg 1744. Aber auch eine Hand mit der
Kanne (das Wappen der Leviten, die dem Priester
bei der Reinigung halfen) ziert einige Grabsteine
. Das verwendete Material ist ein Sandstein
, den gerade der nächste Steinbruch bietet
und den man ohne besondere Schwierigkeit er-
' halten kann. Die Höhe der Epitaphien in der
Form der Halbrundbogenform (römische Stele)
über dem Niveau des Erdbodens ist dadurch
begrenzt, da die ländlichen Fuhrwerke, die zum
Transport dienten, nur Stücke von höchstens
zwei Meter Länge transportieren konnten. So
finden wir im alten Teil des Gottesackers fast
nur niedrige Grabstein von gleicher Höhe, gewissermaßen
die Nivellierung im Tode manifestierend
, also keine Prunkdenkmäler.

Die Gräberreihen entlang gehend, stoßen wir
auf Inschriften — im alten Teil nur hebräischer,
im neuen, der durch eine steile Treppe vom
alten getrennt ist, hebräischer und deutscher
Text — und denken an die Menschen, die hier
in diesem schönen Waldfriedhof zur letzten
Ruhe gebettet sind und die wie jedes Menschenleben
in ein Meer von Freude und Leid getaucht
waren. Eine Inschrift auf einem allein stehenden
Ehrengrab besagt schlicht: „Hier ist beerdigt der
Landrabbiner David Kahn. Gestorben und beerdigt
im Mai 1744, hier in Sulzburg. Möge seine
Seele eingebunden sein im Bunde des Lebens".
Eine andere Inschrift auf einem alten Stein sagt
aus: „Hier ruht ein Edeldenkender, ein Fürsprecher
der Gemeindeangelegenheiten bei den

Behörden (hebräisch Schetadlan), der Vater der
müden Wanderer, viel Wohltätigkeit ausübend.
Er war ein Schild für seine Generation und übte
seinen Einfluß aus, um die gegen die Juden
ergangenen schlechten Verordnungen zu vereiteln
". Der Grabstein ist vom Zahn der Zeit
unten verfallen, so daß wir den Namen dieses
vornehmen Menschen nicht kennen. Eine Grabinschrift
lautet: „August Wolf Schuler aus
Günzenhausen, gestorben am 25. August 1900 in
Heitersheim während seiner Dienstzeit beim
5. bad. Inf. Rgt. Nr. 113". Ein solcher Text wäre
auch auf jedem christlichen Friedhof zu finden.
Aber auch fast ewig gültige Sprüche sind vermerkt
, wie „ein wackeres Weib ist die Zierde
des Hauses" oder „bis ins hohe Alter verließ
ihn Gott nicht".

Fünf Rabbiner, der oben genannte David
Kahn (gestorben 1744), sein Sohn Landrabbiner
Isaak Kahn (gest. 1797), Rabbiner Moses Wurm-
ser von Bollweiler (Elsaß), später Breisach und
Müllheim (gest. 1826), Rabbiner Abraham Weil
(gest. 1832) und der letzte Rabbiner Emanuel
Dreyfus (gest. 1886) sind auf diesem altehrwürdigen
Friedhof begraben.

Die steile Treppe durch den Friedhof hinaufsteigend
gegen den Wald, erinnern wir uns der
gefühlvollen Beschreibung der Auffahrtstreppe
dieses Totenhains durch den badischen Dichter
Franz Schneller: „Auf ihr nieder steigend, könnte
die Königin der Nacht ihre Arie aus Mozarts
«Zauberflöte» singen, während rechts und links
alte Ahornbäume und Linden die Umrahmung
bilden".

Wohin das Auge schaut, grüßen einem die
Wipfel der alten Tannenwälder. Wir denken an
die Abgeschiedenen dieser einst blühenden
Judengemeinde, die um 1864 ein Drittel der
Bevölkerung betrug, 1932 war der Prozentsatz
der jüdischen Bevölkerung, die mit der übrigen
Bevölkerung in gutem Einvernehmen lebte, im
Verhältnis zur Gesamtbevölkerung immerhin
noch 10 Prozent. Die Judenschaft Sulzburgs
hatte als stattliche Minderheit einen Vertreter
im Gemeinderat bis 1932, besaß ein eigenes
Gemeindehaus, eine konfessionelle Schule bis in
die 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts,
eine Armenherberge, eine Synagoge und eine
jüdische Gastwirtschaft.

So kann von diesem vierhundert Jahre alten
Gottesacker, wohl einem der ältesten Judenfriedhöfe
Deutschlands, im wahren Sinne des
Wortes gesagt werden: „Gräber beschwören die
Vergangenheit".

„Die Markgrafschaft4

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