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L. Börsig:
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Eine Besinnung zu seinem 200. Geburtstag
Am 10. Mai 1960 feiern wir den 200. Geburtstag
von Johann Peter Hebel. Ein Bund, eine
Gemeinschaft, wie der Hebelbund, hat zu dieser
Zeit wohl Anlaß zu einer sorgsamen Besinnung.
Zweihundert Jahre bedeuten in der Weltgeschichte
nicht viel. Von einer oder zwei Generationen
aus gesehen ist dies indessen ein großer
Raum, in dem sich vieles ereignet hat. In unserem
Falle sind geistig, politisch, wirtschaftlich
und technisch eine Reihe so großer Veränderungen
in diesen zweihundert Jahren geschehen,
daß wir sie hier kaum anreißen können. Als
Johann Peter Hebel das Licht der Welt erblickte,
war man noch drei Jahrzehnte von der Französischen
Revolution entfernt. Das Zeitalter der
Aufklärung begann, der Sturz des französischen
Königshauses kam, Napoleon, das Ende des
Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation.
Mit dem 19. Jahrhundert beginnt in Deutschland
die Klassik und dann die Romantik ein reiches
geistiges Leben zu entfalten. Die nationalen Bestrebungen
in Europa und vorab in Deutschland
fangen an, Früchte zu tragen. Die Entwicklung
der Naturwissenschaften und der Technik führen
zu einer ersten Industrialisierung, die ihrerseits
wiederum eine Reihe neuer sozialer Probleme
mit sich bringen. In Deutschland gibt es eine
wilhelminische Ära, in der weite Kreise unseres
Volkes eine nationale Erfüllung sehen.
An der Schwelle zu unserem Jahrhundert hat
man einen Höhepunkt politischer Macht und zugleich
einen beachtlichen Wohlstand erreicht. Es
kam der erste Weltkrieg, der bei Sieger wie
Besiegten zum Resultat ein entsetzliches Elend
und wirtschaftliche und gesellschaftliche Unsicherheit
hat. Das im 19. Jahrhundert erblühte
Bürgertum ist erschüttert. Wie der Adel in seiner
öffentlichen Funktion durch die französische
Revolution getroffen wurde, so wurde dies das
Bürgertum im ersten und entscheidend schließlich
im zweiten Weltkrieg, der auf geistigem
Gebiet verheerende Folgen hatte und der vor
allem das alte Europa in hoffnungsloser Angst
zurückließ. Eigentümlicherweise folgte beiden
Weltkriegen ein erstaunlicher wirtschaftlicher
Aufschwung. Eigentümlich ist es auch, daß die
beiden Weltkriege die technische Entwicklung
nicht aufgehalten, sondern im Gegenteil unheimlich
beschleunigt haben. Und dies bei einem
kulturellen, geistigen, sittlichen Niedergang, bei
einer Verflachung und Nivellierung, bei einer
Entwertung aller Werte, wie wir es in der Weltgeschichte
nicht sehr häufig antreffen. Und bei
diesem Stand der Dinge hat ein neues Zeitalter
begonnen, das Atom-Zeitalter, dessen Werden
die Welt zum Teil in Todesangst, zum Teil in
frivolem Leichtsinn verfolgt. In der ganzen Welt
(oder fast in der ganzen Welt) rasen Maschinen,
dröhnen Düsenflugzeuge, werden Rekorde gebrochen
, wird das Arbeitstempo erhöht, drängt
alles Leben zum schnelleren Ablauf. Wo einst
Johann Peter Hebel gemächlich in der Postkutsche
fuhr, braust heute der Strom chromblitzender
Autos. Wo einst der junge Theologe
Hebel mit allen Sinnen die Schönheit der Natur
erfuhr, ist sie heute verbaut, verdrängt, in den
Hintergrund getreten. Wo früher, noch in unserer
Kindheit, bei einem „Liechtgang" Hebels
Lied vom Mann im Mond gesungen wurde, wo
man seine unsterblichen Kalendergeschichten las
oder erzählte, da sitzt heute jung und alt vor
dem Fernsehschirm. Warum diese Feststellung?
Sie ist zunächst einmal nur eine Feststellung,
keine Klage über das Hinfällige, Vergängliche
unseres Lebens. Wir müssen diese Feststellung
nüchtern treffen, damit auch ganz nüchtern die
Frage gestellt werden kann: Was soll es mit
Hebel, was soll es gar mit einem Hebelbund in
in unserer, in dieser Zeit, die nun einmal so ist
und nicht anders? Sind wir mit unserem Hebelbund
nicht eine Art von Anachronismus, unzeitgemäß
, hoffnungslos veraltet? Oder gibt es da
nicht doch eine tiefere Begründung für einen
Bund von Menschen, die sich bemühen um eine
Tradition angesichts einer Zeit, die keine mehr
zu kennen scheint? Es gibt sehr wohl nicht nur
einen, es gibt eine Reihe von ernsthaften Gründen
dafür. Freilich, man muß Hebel erst ganz
kennen, nicht nur das Idyllische, das Biedermeierliche
, das Liebliche. Man muß etwas tiefer
in Hebels Verse einsteigen, dort hinunter, wo
auf dem Grund seines Wesens die zeitlose Strö-
An Hebel
Scho mängge het e Lied Dir gsunge
un as e Chranz ufs Grab Dir glait,
Dir, alte Hebel, ewig junge,
solang Dy Volch Dy Name sait.
Au ich bi an Dym Grab scho gstande
vor Johre, dort im Unterland,
un ha Dy stilli Sprooch verstände;
my Seel isch Dyner jo verwandt.
Zwor hani kaini Rede ghalte,
ha nur ufs Grab drei Blüemli gstreut.
Dy Werk, Dy Wese, Dyni Gstalte,
die hämmi myner Lebtig gfreut.
Wer cha no so wie Du verzelle,
so Goobe gee für jung un alt?
Un liest mes, so wie Du hesch welle,
so packt's aim mit 're ghaime Gwalt.
Un 's isch, as tüesch aim liisli sage:
Nimm's nit so schwer, 's git all no Freud,
un waisch, am End vo seile Tage
goht d'Türen uf in d'Ewigkait.
Drum will i Dir e Chranz jetz winde,
us dem, was uns're Bode trait,
un in my Haimetbuech no binde
in Liebi un in Dankbarkait.
Ida Preusch - Müller
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