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endlich schließen. Es gefällt ihm eigentlich besser
als das meiste, was aus der Heimat Hebels
zum 10. Mai 1860 an Dichtungen in den Zeitungen
sich einstellte (vgl. die beiden vorangegangenen
Nummern dieser Zeitschrift). Entflammte
sich dort die Begeisterung nur zu oft für das
Festen und Feiern, für das Singen und Reden
schlechthin oder verkehrte sie den Gedanken der
Hebelfeier und der Hebelehrung nur allzuoft in
ein vages vaterländisches Pathos, so setzt sich
das Gedicht aus dem Elsaß gemütvoll und ursprünglich
denkend zu Hebel und seiner Heimat
selbst in Beziehung.
Für die Leute aus dem Markgräflerland und
dem badischen Oberland überhaupt bleibt trotz
dieser Feststellung immer noch genug von unserer
Achtung und unserem Lob für ihre Hebelfeiern
übrig. Die Programme und Festordnungen
wie auch die Fesfberichte beweisen, daß man mit
Begeisterung dabei war und keine Mühe scheute,
nach Kräften und Können den großen Sohn der
Oberländer Heimat zu ehren. Und manches der
Hebelfeste im Oberland hat sicher zu den schönsten
Feiern gehört, die man zwischen Rhein und
Schwarzwald in jener Epoche beging. Wir werden
unseren Vorfahren heute noch Dank wissen
müssen, daß sie ihren — unseren Hebel mit solcher
Liebe gefeiert haben. Tun wir ihnen nach,
wenn zu unserer Lebzeit, in diesem Jahr 1960,
das Kalenderblatt vom 10. Mai die 200. Wiederkehr
des Geburtstages von Johann Peter Hebel
anzeigt. h. Bachroth
Johann Jakob Hebel hält den Jungen im Arm.
Er mustert ihn mit dem Blick des Kundigen
und meint zu der Frau, die in karierten Kissen
und sauberen Bettdecken liegt: er habe ihre Augen
und setze doch seine, des Vaters Art fort.
In welchem Walde die goldene Kugel liege, die
dem Knaben beschert sei, wisse freilich niemand;
auch ihm selber habe zu Simmern im Hunsrück
keiner voraussagen können, daß er sein Goldglück
einmal zu Hausen, unweit Basel, bei einer
gewissen Ursula Oertier entdecke; dies aber
stehe fest: Weber solle der Junge nicht werden,
sondern ein Studierter, ein Richter, Professor,
ein Pfarrer; dann finde er die goldene Kugel
leichter!
Die junge Mutter lächelt: der Herrgott werde
dem Büblein die goldene Kugel schon an den
rechten Platz gelegt haben; es müsse zunächst
aus den Windeln wachsen und ein Junge werden;
bis dahin trage der Rhein noch manchen Tropf en
Wassers zum Meere.
Auch Major Iselin kommt mit seiner Frau,
einer geborenen Ryhner, das Knäblein anzuschauen
, und Knechte und Mägde des Gutes folgen
am nächsten Tage. Sie stehen beglückt um
Vater, Mutter und Kind, bringen ihre Gaben
und sprechen gute Wünsche. Da es am 13. Mai
in der Kirche Sankt Peter „reformierter Weise"
getauft wird und die Sonne gleich einer Königin
über dem Rheine, der Stadt und den Bergen
durch blaue Wolken fährt, glaubt Johann Jakob
Hebel, er habe die goldene Kugel gesehen, die
der Herrgott dem Peterle, seinem Büblein, bereit
halte.
Er bedenkt nicht, wie das Schicksal diesem
Begnadeten Kümmernisse besonderer Art „schik-
ken" muß, damit er reich werde, reife und einsam
bleibe, um der Gemeinschaft das Edelgut
wundersamer Dichtung vermitteln zu können.
Es geschieht, daß Johann Jakob Hebel, der die
Lebensäußerungen des Sohnes und eines nachgeborenen
Töchterchens gewissenhaft ins Tagebuch
einträgt, die Stätte seines Glücks verlassen
muß, als das Büblein den ersten selbständigen
Schritt zu seinem Ziele zurückgelegt hat. Eineinhalb
Monate nach der ersten Geburtstagsfeier
— Frau Ursula hatte einen Kuchen gebacken
und ihn mit einer brennenden Kerze auf den
Tisch gestellt — am 25. Juli 1761, stirbt er: vorzeitig
und schnell zerreibt der Lebenskampf den
sparsamen Mann, der bestrebt war, sein kleines
Vermögen zu mehren.
Als der Rheinfranke das Schifflein kurzen
Glückes für immer verlassen hat und ins Grab
der Ewigkeit gesunken ist, muß die Gefährtin
seiner Treue hinfort das Steuer führen und dazu
der Fahrt das Lied singen. Frauen, die frühes
Leid trifft, sind stark, und Mütter vermögen oft
mehr als Minister und Feldherrn.
Frau Ursula hat eine „schaffige" Hand und
klugen Sinn. Da ihr Töchterlein — es ist noch
nicht drei Monate alt —- im Herbste hinwelkt
und heimgeht ins ewige Reich, widmet sie sich
ganz dem Knaben, der die Mitte ihres stillen
Daseins wird. Sie meistert den Tag und sinnt am
Feierabend über Hübners „Biblischen Historien
und Fragen", auch wohl über dem Tagebuch
ihres „Seligen" dem Born des Herzens nach,
ohne dessen Fülle sie die Kümmernis nicht hätte
ertragen könen.
Begnadete wachsen umständlicher als „Eindeutige
". Johann Peter wird ein rechter Wildling
. Er zeigt wenig Beständigkeit, schweift von
Ding zu Ding, ist zu „Spielereien und Streichen,
zu Näschereien und Spitzbübereien" aufgelegt.
Der Mittelweg zwischen liebender Strenge und
sinnvoller Milde wird der Mutter schwer. Frau
Ursula weiß, daß ein Kind heiliger ist „als die
Gegenwart, die aus Sachen und Erwachsenen
besteht". Sie will dem „Söhnlein" im einweihenden
, wichtigsten Jahrzehnt des Lebens, im ersten,
die gelagerte Kraft „mit allen zarten Gewohnheiten
des schönen Herzens, mit allen Banden
der Liebe" geben. Es soll einen Himmel empfangen
, „der es immer leitet, vor welche fremde
Länder es später kommen mag".
Wenn Strafe und Mahnung verwehen, lacht
die Sonne. Sie geht am Oberrhein goldener auf
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