Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1960-06/0009
Schreibtafel besaß mit einem nach allen Wundern
des Krämerladens duftenden hellbraunen
„Filz". Viele Wochen war ich auf diese Dinge
stolz gewesen. Aber nun, da es ernst wurde,
überfiel mich eine große Angst. Es fiel mir ein,
wieviel Schlimmes ich schon von dieser Schule
gehört hatte. Ich ergriff die Flucht.

Unheimlich erschien mir sonst der Heuboden
unseres alten Hauses. Nachts tobten dort die
Marder. Heimlich glaubte man an Geister und
Gespenster. Nur mit Widerwillen betrat man
allein den Heustock. Heute war dieser gefürchtete
Ort meine Zuflucht.

Als die Stunde des Schulbeginns nahte — man
war sonntäglich gekleidet, frisch gewaschen und
sorgfältig gekämmt — schlich ich auf leisen
Sohlen durch die „finstere Kammer", wo die
Vorräte aufbewahrt waren, in die Scheuer. Dann
turnte ich die große Leiter empor und versteckte
mich unterm Dach in der tiefsten Mulde des
Heustocks. Holznägel starrten aus dem alten
Schindeldach. Sie stachen dem unglücklichen
ABC-Schützen in den Kopf. Wimmernd saß ich
in meinem Versteck.

Plötzlich lautes Rufen, die Stimme des Vaters.
Man hatte überall nach mir gefahndet. Die Stimme
hatte eine zwingende Gewalt. Beschämt kroch
ich aus dem Versteck. Nun mußte es doch sein.
Die älteste Schwester brachte mich zur Schule.
Sie sprach mir Mut zu, ich folgte ihr. Aber
plötzlich überkam es mich wieder: du gehst nicht
mit! Keinen Schritt mehr tat ich vorwärts. Ich
legte mich einfach auf den Boden. Ich glaubte,
man müsse am ersten Schultag schon lesen, rechnen
und schreiben können. Nur mit Anwendung
von Gewalt brachte man mich ins Schulhaus.

Alles war längst versammelt. Da saßen die
Alterskameraden aus den verschiedensten Zinken
des Dorfes. Da ich in der hintersten Bank
den Freund Lambert entdeckte, faßte ich Mut.
Zu ihm durfte ich mich setzen. Mit Mißtrauen
betrachtete ich das Zimmer, atmete ich die
Schulluft.

Hinterm hohen Pult saß mit wallendem Bart,
einem Gott Vater gleichend, der alte Lehrer
Baumgartner. Er schaute in seine Listen und rief
die Namen auf. Ihm zu Häupten hingen biblische
Bilder. An der Wand war eine Uhr mit bemaltem
Zifferblatt: ein Ritterfräulein ritt zur Burg.
Diese Uhr gefiel mir nicht schlecht. Aber das
schönste war, daß wir schon nach kurzer Zeit
entlassen wurden. Unter der Schultür stand der
Bürgermeister. Jedem Erstkläßler gab er einen
frischgebackenen Wecken. Nur zaghaft griff ich
zu. Ich ahnte: damit will man dich über das
Schlimme hinwegtäuschen. Nie wieder wird es
einen solchen Wecken geben.

Und ich versteckte mich am zweiten und
dritten Tag wieder im Heu. Als wir nach wenigen
Tagen einen jungen Lehrer bekamen, der
mit uns Wanderungen unternahm, in nie gesehene
Wälder, ins Oberholz, von wo aus man
die Alpen und die Bonndorfer Kirche sah, auch
als ich nach Verlauf einiger Monate meine
Kameraden abhören durfte, da begann allmählich
etwas wie eine Freude an der Schule zu erwachen
. Doch jedes Jahr, um die Zeit des neuen
Schuljahrs, muß ich an meine Flucht ins Heu
am ersten Schultag denken.

Theodor Seidenfaden:

Johann Peter Hebel, der Prälat, kehrte von
dem Spaziergang zurück, bei dem er dreimal
wöchentlich von Karlsruhe aus das benachbarte
Mühlburg aufsuchte: da sah er vor sich einen
Geistlichen gehen, der gleich ihm zur Residenz
wollte, aber trotz dem schönen Juninachmittag
und der um diese Jahreszeit wunschlos glücklichen
Landschaft gesenkten Hauptes ging, wiederholt
stehen blieb und atmete, wie wenn ihm
eine Zentnerlast die Schultern drücke. Dabei
hatte er außer einem Regenschirm nichts mit als
ein schmales, papierumhülltes Paket. Er trug es
unter dem linken Arm, indes der rechte den
Regenschirm bewegte.

Hebels hintergründige Art hatte eben den
Wandel der Mode bedacht und festgestellt, das
Abendland habe sich aus dem herrischen Barock
zum tänzelnden Rokoko, von den majestätischen
Allongeperücken zu Puderquasten, Stöckelschuhen
und Schnürleibern und von ihnen zum Gegenwärtigen
entwickeln müssen. Das Leben fließe:
darin habe der alte Heraklit recht. Es sehne sich
und könne weder den Rausch der Farben und
Formen berockener Kirchen und Schlösser noch
das tanzende Spiel heimlichen Weinens, wie es
im Rokoko wese, lange ertragen. Aus Uber-

schwänglichkeiten verlange es stets wieder zum
Einfachen, weil es spüre, daß, wer die Mitte verlasse
, die Menschlichkeit gefährde. Die Angst,
wirklich zu sehen, verschließe zwar dem größten
Teile der Erdbewohner die Augen. Dem Schauenden
aber, der die Angst überwinde, schenke sie
Mut, das Gestalt begehrende Leben unentwegt
zu lieben. Wenn er allerdings beobachte, wie die
Mode nun ins Gegenteil gerate und glaube, es
habe die edle Einfalt und stille Größe der Griechen
nachzuahmen und eine blutarme, marmorweiße
Statuenwelt anzubeten, wie italienische
Museen sie erstehen ließen, so schüttele er den
Kopf. Er glaube nicht, die Griechen seien nur in
weißen Gewändern unter weißen Marmortempeln
als Vollendete eines irdischen Elysiums daher-
gewandelt; er nehme vielmehr aus seiner Kenntnis
der Dichtung dieses hochbegabten Volkes an,
seine Art zu bauen, zu malen, zu bilden habe sich
nicht genug tun können an farbiger Fülle, wie
die südliche Sonne sie zeuge. Der Werktag zu
Athen werde sich wenig vom Werktag abendländischer
Städte unterschieden haben, dem Berlins
und Londons, der Pariser und Madrider oder
von dem der noch so jungen Residenzstadt Karlsruhe
. Eine Zeit, die glaube, die Ewigkeit lasse

7


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1960-06/0009