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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1960-06/0010
sich tatsächlich durch Kugeln symbolisieren, die
durch das All kreisen, solle sich nicht allzusehr
von den Meinungen der Schriftgelehrten leiten
lassen. Wahr und lebendig sei der Mensch nur
da, wo er Neues schaffe!

So hatte der Prälat, der bei seinen Spaziergängen
das leise, mitunter auch das laute Selbstgespräch
liebte, gemeint: da war sein Blick auf
den .genannten Wanderer gefallen.

Im selben Augenblick tauchten ihm die Erwägungen
vom Gestaltwandel seines Zeitalters ins
Unterbewußte. Er erkannte an dem langen
schwarzen Schoßrocke des Wanderers einen
Landgeistlichen und beeilte sich, ihn zu erreichen
und auf dem Wege nach Karlsruhe zu begleiten.
Das warme Wort der Landstraße wog ihm nach
dem Eintone des Selbstgespräches mehr als die
geistvollste Erkenntnis.

Johann Peter Hebel, etwas beleibt, schritt aus.

Der Rock des Einsamen vor ihm, erkannte er,
näher kommend, war sauber gebürstet, gehörte
jedoch einer länger zurückliegenden Schnittart
an, wie der Hut den einstmaligen Glanz nur
ahnen ließ und der Schirm wahrscheinlich noch
vor der französischen Revolution einem längst
begrabenen Besitzer Wolkengüsse abgehalten
hatte, und diese Revolution lag ein Menschenalter
zurück; denn der Kalender notierte den 23. Juni
des Jahres 1819.

Rechts und links der Apfelbaumstraße wechselten
Kiefern- und Buschgruppen, Wiesen und
Felder. Der Sommer feierte mit seinen Blütensternen
, vorab den Margareten, den sanft glühenden
Heckenrosen, den Doldenteller des Holunders
und seinem Heuschoberduft.

Der Prälat sah, als er dem Begehrten fast an
den Fersen war, daß aus der einen Ecke des
Paketes ein Frackzipfel das Papier auseinanderdrückte
, weshalb er, der Leiter der badischen
Landeskirche, sofort wußte, was sich vor ihm
durch die Sonne bewege: ein armer Landpfarrer,
der zu Karlsruhe ihn, den Prälaten, eines Anliegens
wegen besuchen wolle.

Wer Schelmengeschichten erzählen kann wie
die vom Zundelfrieder, Zundelheiner und Zirkelschmied
, die dem roten Dieter unerhörte Streiche
spielen, wer das als Gymnasium-Direktor, als
Prälat, hoher Beamter des Kultministeriums und
als Liebhaber, Übersetzer und Deuter griechischer
Dichtung tut, muß ein Schelm bleiben sein Leben
lang, weshalb es nicht verwunderlich ist, zu
hören, auf welche Weise dieser Schelm sein
Landstraßen-Spiel beginnt und durchführt —
jedem Geschichten-Erzähler zum Trotz.

Sobald Johann Peter Hebel den Grübler erreichte
, grüßte er ihn und war mit ihm derart
schnell im Wechselgespräch, daß der, noch jünger
an Jahren, erstaunt war ob der Leichtigkeit des
Wortes, die dem älteren, seinem Wesen nach
wohl höher beamteten Herrn von den Lippen des
bartlosen Gesichtes sprang.

Angesichts der Sonne und der Bilderflut, die
rings leuchtete, meinte Johann Peter Hebel —
oder war es doch schon der Schelm, der fragte? —

tue es nicht not, hängenden Kopfes zu gehen.
Die Schöpfung gebe ihr Innerstes her; was das
Auge jetzt erkenne, sei der ins Geheimnis erhobene
Reichtum des Verborgenen. Er zeige das
Göttliche und Sinnvolle: den Kreaturen das Ziel
ihres Werdens im Miterleben des Kosmos. Der
Mensch müsse ein Witternder bleiben, zumal um
die Sonnenwendezeit, die ihm während der kurzen
Nächte eine berauschende Dreifaltigkeit
künde: die der Sterne des Himmel, die der über
die Erde gebreiteten Blüten und die der zwischen
ihnen schwebenden des Glühwürmchenfluges!

Es zeigte sich jedoch bald, daß der Angesprochene
nicht geneigt war, das seinem Gefühl nach
überbetonte Wort des Beleibten einfach über sich
ergehen zu lassen. So entwickelte der beiderseitige
Eifer ein Gespräch, dergleichen die Landstraße
zwischen Mühlburg und Karlsruhe nicht
manches wird erlebt haben.

Hebel, der seinem Schelmenstück die ihm
unentbehrliche Würze geben und dem Regenschirmer
— auch er war bartlos und hatte eines
der scharfgeschnittenen Gesichter wie sie gründlichen
Denkern eigen — Seele und Geist erforschen
wollte, mied das Theologische und sprach
von den geistigen Spannungen der Zeit überhaupt
.

In jenem, dachte er, wird der Langrock, der,
den Frack im Papier unter den Arm geklemmt
neben dir geht, zu Hause sein; das verrät seine
Art. Was aber nützt es dem Pfarrer, die Bibel
oder die Kanzelzänkereien zu kennen, wenn er
nicht weiß, wie Europa jenseits der Kirchenbänke
lebt.

Der Landpfarrer überraschte den Prälaten
zum andernmale, indem er ausholte und meinte
das Wort aufgreifen zu dürfen, das eben die
Natur bewundert habe. Ein nie gesehener Reichtum
von Ideen und Persönlichkeiten erfülle seit
dem Geburtsjahre des Großen von Weimar,
Goethes, die deutsche Welt, die sich an dem
thüringischen Fürstenhof und in der Kaiserstadt
an der Donau zwei unerhörte Mittelpunkte
geistigen Lebens geschaffen habe. Auch die
französische Revolution und die napoleonischen
Kriege hätten sie nicht auslöschen können. Zu
Wien sei aus der Tiefe eines künstlerisch hochbegabten
Stammes und einer immer noch alle
Seelenkräfte des Menschen mit gleicher Innigkeit
bewegenden Religion das Reich der Töne
lebendig, das der Menschheit die Instrumentalmusik
als reine Seelenentfaltung geschenkt habe.
Kein anderes als das deutsche Volk habe dergleichen
nachzuweisen; es müsse zugegeben werden
, daß dieses Wunder aus dem katholischen
Deutschland stamme, das protestantische hingegen
von Weimar aus das andere Wunder offenbare
, das aus dem persönlichen Ringen nach
Klarheit die philosophische Bewegung des deutschen
Idealismus und die einzigartige Dichtung
mit ihrer Sehnsucht nach vollendetem Menschentum
geboren habe. Gewiß habe der deutsche
Geist seine Polaritäten von dem Denken und
Schaffen anderer Völker anregen lassen; zur Zeit
aber sei er der wahre Befruchter einer neuen
und allseitigen Kultur.

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