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Der Schirmträger prägte seine Gedanken
sicher und unbeirrt, und da der Prälat ihn fragte,
ob er selber musikalisch sei, riß die Antwort den
langen, hageren Mann dergestalt hin, daß Hebel
glaubte, eine Flamme wandere neben ihm.
Der Entfachte sprach von Beethoven.
Er sei es, der ihm — außer der Bibel —
helfe, das nicht leichte Los eines junggeselligen
Landpfarrers zu tragen, dem die Armut der
Gemeinde verbiete, zu heiraten und auch auf die
natürliche Art am ewigen Leben teilzunehmen.
Der Prälat, den trotz den reichen Gaben seines
Geistes, die Musik nicht geradezu besaß —
musikalisch war er schon, wie das die innere
Form seiner Gedichte und Geschichten bewies,
wenn er auch kein Instrument spielte — lauschte
dem Sprecher, als ob er noch einmal Kind wäre
und die frühverstorbene Mutter ihm ein Märchen
erzählte.
„Nein", erhob der Begeisterte die Stimme,
„Beethoven dient mit seiner Musik nie dem heiteren
Spiele, der Unterhaltung oder dem Belehren
, wie es die Etüden-Schreiber tun. Ihm fehlt
die Rücksicht auf die gesellschaftliche Konvention
. Er ist als Schaffender mit sich allein und
spricht aus, was ihn beseelt — ohne Bildwerk,
ohne Ornament. Was ihn beschäftigt, ist ungeheuer
weit und umspannt die ganze Welt, den
vollen Umkreis des Erdendaseins. Wer ihn hört,
weiß um lange vergangene Kulturen und Reiche,
aber auch um künftige Welten. Noch mehr als
Goethe, der in glücklicheren Verhältnissen aufwachsen
konnte, ist Beethoven eine menschliche
Erscheinung unerklärbarer Art. Seine Visionen
in sinnliche Form zu bannen, gab es für ihn nur
die Sprache der Instrumente. Er spricht von seinem
,Dichten', nicht vom Komponieren. Freies
Schöpfertum ist ihm das Höchste. Was er gestaltet
, sind keine Stimmungergüsse: es sind geistige
Prozesse. Er ist ständig im Werden, nie Stillstand
im Erreichten. Wie wenig Sterbliche trägt
er am Leid der Menschheit, die Schuld der Väter,
die Schuld der Götter und Dämonen, die harte
Notwendigkeit des Schicksales, und er, der im
Reich der Töne lebt, ist — taub. Seine Heimat
ist des Ewigen Welt."
Mit dieser Lobrede erreichten die Herren jene
Stelle der Landstraße, von der aus ein Seitenweg
zum Hardtwald führte.
*
Da blieb Hebel plötzlich stehen — denn der
Schelm drängte vom Musikalischen fort in sein
Gesetz —, und sagte, die begeisternden Worte
scheinbar überhörend, unvermittelt: der Herr
Pfarrer möge eine Frage erlauben, und sie
laute: ob er wohl seinen Vorgesetzten besuchen
wolle, den Prälaten Hebel?
Das Wort traf den Angesprochenen derart,
daß der aus seiner Beethoven-Schau überrascht
aufblickte und rief: „Woher wissen Sie das?"
Erst als die Antwort verklungen war, merkte
der Pfarrer, wie er sich verraten habe, und da er
den andern verkniffen lächeln sah, auch dessen
Bemerken hörte, er wisse auch dies, daß er vor
' "Tiabe, sich bei dem Gefürchteten um eine bessere
Pfarre zu bewerben, erwachte ihm das Mißtrauen
wieder, mit dem er den denkwürdigen
Fußweg vor Sonnenaufgang angetreten hatte.
Wie es ihm möglich sei, Geheimnisse eines
Verschlossenen zu erraten, entfuhr es ihm,
woraufhin der Schelm, nun schon vollzügig in
seiner Art, erwiderte: vor der Polizei gebe es
keine Geheimnisse!
Also wunderte der Landpfarrer sich wiederum,
weil er glaubte, der Sprecher sei tatsächlich, was
er vermutet habe: ein Geheimer Polizist von
Graden.
Doch der Schelm, der nun seiner Sache sicher
war und wußte, der Pfarrer habe den Prälaten
nie leibhaftig gesehen, ließ die Frage unbeantwortet
und fuhr, jetzt völlig Untersuchungsrichter
, fort: ob er den Prälaten Hebel nicht
kenne?
Daraufhin trat der Angeredete zwei, drei
Schritte zurück, und da er versetzte, den Prälaten
nicht, wohl aber den Hebel, den Johann Peter,
den im Badischen jedes Kind kenne, zuckte der
Schelm die Achseln und lächelte fast geringschätzig
: so gehe es, Versmacher, Geschichtenschreiber
und Kalendermacher, die brächten es
zu einem Ansehen in der von ihm vorhin gepriesenen
Welt der seelisch - geistigen Spannungen;
den pflichttreuen Beamten aber, dessen Leben im
Dienste der Allgemeinheit stehe, achte man nicht.
Kindisch sei es, in der alemannischen Mundart
dichten zu wollen, und das während einer Zeit,
die Männer des von ihm gerühmten Maßes ihre
Genossen nenne, des Goethe und des Beethoven.
Ein Geistlicher, der Spitzbubengeschichten anfertige
wie sie der Rheinländische Hausfreund
anbiete, der Kalender, den er frech genug, das
Schatzkästlein nenne, verdiene, polizeilich hergenommen
zu werden; jedenfalls solle man sein
Zeug verbieten!
Da sprang dem Landpfarrer der Zorn puterrot
in das blasse Gesicht, und es geschah, daß er
sich über sein Maß ereiferte.
In welcher Größe, fuhr er fort, der Hebel ein
Mann des Volkes sei und darum in den badischen
Familien vergöttert werde, aber auch hinaufreiche
ins Abendländische, lasse er sich nicht abstreiten
. Der Goethe habe ihn glänzend besprochen
, und der Beethoven würde, der Rheinländer,
wenn er zwischen Basel, Heidelberg und herauf
nach Karlsruhe wandern und das Alemannische
der HebePschen Gedichte verstehen könne, eine
neue Pastoralsymphonie vom glücklichen Landleben
komponieren. Daß ein Land solcher Fülle
Polizeibeamte dulde, die keine Beziehung hätten
zum schaffenden Geiste seines Volkstumes, sei
eine zum Himmel schreiende Schande! Der Hebel
bleibe der Hebel, auch wenn alle Polizisten im
Badischen das Gegenteil behaupteten!
Der Schelm, der den Zorn des Landpfarrers
mitspielte, fuhr ebenso auf: die Schreiberei des
Prälaten lebe nur von den Lobhudeleien, die
Unverständige dem närrischen Kauz an die Stirn
pfefferten!
Da war des Landpfarrers Geduld erschöpft.
Er wendete sich, Zeichen des Abscheues im
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