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Gesicht, und rief: mit einem Verleumder, der
einen Abwesenden und dazu den Hebel schlecht
mache, wolle er nichts gemein haben; er gehe
auf einem anderen Wege nach Karlsruhe!
Indes der Pfarrer auf den Hardtwald zuschritt
und der Schelm ob solcher Treue sein
markgräflerisches Herz vor Rührung kaum zu
halten wußte, rief der Hebel im Schelm dem
Forteilenden nach: wenn er den Prälaten wirklich
besuchen wolle, solle er früh vor acht dort
sein. Die Polizei wisse um die Sonderbarkeiten
des Junggesellen, der eine Sechszimmerwohnung
besitze und ein Frühaufsteher leutequälender
Art sei.
Tatsächlich stand denn auch der Pfarrer am
nächsten Morgen um dreiviertelacht in schwarzem
Frack und mit weißer Binde, den Kniehosen,
weißen Strümpfen und Schnallenschuhen vor
dem Gemach seines Vorgesetzten, zu welchem
ihn eine Schafferin gutmütigen Gesichtes, schon
etwas verhutzelt, von der Haustüre aus geleitet
hatte.
Er war als Beethoven-Spieler nie ängstlich
gewesen, mußte aber, nach dem, was der Polizeibeamte
ihn hatte wissen lassen, an sich halten
und spüren, wie stark ihm das Herz schlug, sobald
dem Klopfen an die Tür eine wohltönende
Stimme ihr „Herein" rief. Seinem musikalischen
Ohr war es, als hätte er diesen Klang schon einmal
gehört. Doch er kam nicht dazu, dem Gedanken
nachzugeben, weil er, die Tür öffnend
und eintretend — die Morgensonne strahlte durch
die beiden Fenster des behaglichen Raumes —,
vor sich an gedecktem Frühstückstisch im Schlafrock
den ekelhaften Polizeibeamten der Landstraße
sah, glaubte, sich geirrt zu haben, um Entschuldigung
bat und zurückweichen wollte.
Da aber war der Schelm im Hebel plötzlich
ganz der Markgräfler, dem das Herz auch auf der
inmitten erreichten hohen Beamtenstufe am
rechten Fleck bleibt. Er sprang auf, ging lachend
dem verdatterten Pfarrer entgegen, reichte ihm
beide Hände und rief: „Es kommen auf jeden
Edelstein viele tausend Kieselsteine. Ich zähle
Euch zu jenen; denn Ihr verteidigt Euren Mann,
wie ich gestern auf der Landstraße erfuhr. Ihr
seid an der rechten Tür. Ich heiße Euch herzlich
willkommen bei dem Prälaten Hebel, Eurem
Kalendermanne!"
Er zog den Verschüchterten mit sanfter Gewalt
ins Zimmer zurück, drängte ihn bis zu dem
leeren Sessel am Frühstückstisch und drückte ihn
hinein.
„Das Gedeck vor dem Sessel", sagte er, „ist
für Euch bestimmt. Ich wartete; denn ich habe
Euch zu danken dafür, daß Ihr dem Polizeibeamten
die Baßgeige spieltet. Wir besprechen
Eure Angelegenheit beim gemeinsamen Frühstück
. Das Gewissen ist ein guter Haushund, der
die Diebe hart anbellt!"
Es tut kaum not, den Heimweg des Pfarrers
festzuhalten.
Wenn die Bäume der Landstraße hätten sprechen
können, würden sie einander zugeraunt
haben: Karlsruhe muß Wunderkuren vermitteln!
Denn dieser schmale und hagere Landpfarrer, der
zwei Tage zuvor gesenkten Hauptes als Lastenträger
eines wohl schweren seelischen Packens
gekommen war, schritt nun geradezu sieghaft
schnell, und der Blick strahlte ihm, wie wenn er
den lieben Gott unmittelbar neben sich fühlte!
Der Pfarrer hatte von Karlsruhe aus sogar
einen Liebesbrief für das Mädchen eines.Schwarzwalddorfes
, seine Braut, geschrieben, darin zu
lesen stand: sie solle die Aussteuer endgültig
richten; die neue, gut dotierte Pfarre sei bereit,
sie und ihn aufzunehmen. Der Johann Peter
Hebel sei ein Erzschelm, der Rheinische Hausfreund
, der Prälat Hebel jedoch ein unvorstellbar
guter Herr. Daß zwei solcher Seelen in einem
Manne wüchsen, sei ein Wunder; doch davon
werde er ihr genau erzählen. Ehe man Gott
suche, müsse Gott den Sucher schon gefunden
haben!
Selbstverständlich trug der Pfarrer den
schwarzen Frack wieder im Papier unter dem
linken Arm. Da er den mächtigen Regenschirm
rechts aufstützte, dazu die Sonne verschwenderisch
leuchtete, summte er zum Takte des
Schirmstützens eines der idyllischen Themen aus
Beethovens sechster Symphonie, und zwar jenes,
dem das Glück des Eins-Seins mit dem schaffenden
All die Einfalt und ewige Jugend des Genies
spiegelt.
Dr. E. Scheffelt:
Die ersten Duschen — Edelsteine als Heilmittel
Dem Metzgermeister Michael Maler zu Villingen
im Schwarzwald wurde im Jahre 1500 ein
Sohn geboren; er bekam den Vornamen Georg.
Der Knabe besuchte die Klosterschule der Franziskaner
zu Villingen und bezog dann im Alter
von 19 Jahren die Universität Freiburg. Dort
latinisierte er seinen Namen und nannte sich
Georgius Pictorius (pictor = Maler). Er studierte
Philosophie und alte Sprachen, wurde dann
Lehrer an der Freiburger Lateinschule und 1530
Vorstand derselben. Doch die Schulmeisterei befriedigte
ihn nicht. Angeregt durch die Werke
griechischer und römischer Ärzte studierte er
noch Medizin, promovierte im Jahre 1535 zum
Doctor und wurde an den Sitz der vorderösterreichischen
Regierung nach Ensisheim im Elsaß
berufen. Dort war er beamteter Arzt und mußte
sich namentlich ums Sanitätswesen kümmern. Er
wird oft „Archiater", aber auch „ertzfürstlicher
Leibmedicus" genannt; praktischer Arzt in unserem
Sinne war er offenbar nicht. Pictorius war
ungemein vielseitig und fleißig. Über fünfzig
Werke sind von ihm bekannt, ein Drittel davon
in deutscher Sprache geschrieben. Er schrieb
10
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