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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1960-07/0004
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Von E. Graf

Über das neuere, das heutige Müllheim und
über seine nächste mutmaßliche Entwicklung soll
im Jubiläumsjahr etwas gesagt werden. Es mag
manchem fehl am Platze erscheinen, es in dieser
Zeitschrift zu tun, die mehr dem Historischen
und dem Kulturellen zugewandt ist. Aber wohl
zu Unrecht. Denn alle Geschichte war einst
Gegenwart und Zukunft; das Heute hat sich aus
dem Gestern entwickelt; und was wir als Gegenwart
erleben, was wir in ihr formen und vorausschauend
planen, wird real oder geistig Grundlage
und Bauelement des Zukünftigen. Und zum
andern: Kommunalpolitik ist heute in viel
höherem Maße auch den kulturellen Dingen
verpflichtet als in früheren Zeiten, zumal in
Gemeinden mit überörtlichen Mittelpunktsaufgaben
.

Werfen wir einen Blick zurück: Die wirtschaftliche
Struktur der Stadt ist noch zu Ende
des letzten und zu Beginn des neuen Jahrhunderts
gekennzeichnet durch Landwirtschaft,
Weinbau, Weinhandel, Handwerk und Kleinhandel
. Die Gründerzeit mit ihrer anderwärts
kräftigen industriellen Entwicklung war ohne
Einfluß auf unsere Stadt. Auch die Garnison,
die im ersten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts
hierher kam, hat die bisherige wirtschaftliche
Struktur nur quantitativ, aber nicht qualitativ
beeinflußt. Die Idylle der ländlichen Kleinstadt
blieb trotz Militär im Kern erhalten. Es soll
hier nicht näher eingegangen werden auf den
oft gehörten Vorwurf, man habe sich in Müllheim
von alters her gegen jeden Strukturwandel
zur Wehr gesetzt und vieles unterlassen, ihn zu
fördern. Sicher ist, daß das 19. Jahrhundert in
Müllheim gekennzeichnet ist durch eine gewisse
wirtschaftliche und kulturelle Blüte und durch
Wohlhabenheit des Bürgertums, herrührend aus
dem Aufschwung des Markgräfler Weinbaus und
Weinhandels. Unsere Stadt war für beides nicht
nur der geographische, sondern auch der wirtschaftliche
Mittelpunkt. In der Person Professor
Dr. A. Blankenborns, des ersten Präsidenten des
Deutschen Weinbauverbandes, war sie darüber
hinaus auch der Ausgangspunkt fortschrittlichen
Weinbaus und der modernen Wissenschaft vom
Weinbau. Der vom Großherzoglichen Handelsministerium
im Jahre 1872 ins Leben gerufene
Müllheimer Weinmarkt, der sich bis auf den
heutigen Tag als Spezialmarkt der Markgräfler
Weine erhalten hat, unterstreicht, wie nachhaltig
diese traditionelle Aufgabe unserer Stadt im
Dienst des Markgräfler Weinbaugebiets zwischen
Freiburg und Basel war und ist und — so hoffen
wir — auch immer bleiben wird. Es liegt weder
Vorwurf noch abwertiges Urteil in der historischen
Feststellung, daß auf jene dynamischen
Jahrzehnte des wirtschaftlichen Aufschwungs
eben doch wohl mehr statische Jahrzehnte
des Stillstands und des geruhsamen Genügens
mit dem Überkommenen gefolgt sind. So kam
es erst in ganz bescheidenem Umfang nach dem

ersten Weltkrieg und in größerem Umfang erst
in jüngster Zeit zur Niederlassung industrieller
Betriebe in der Kreisstadt. Es wäre aber falsch
und einseitig, würde man übersehen, daß die
Hauptursache der wirtschaftlichen Unterentwicklung
unserer Stadt, wie überhaupt des Oberrheingebiets
, bis nach dem zweiten Weltkrieg
eine politische ist: Mit dem Ausgang des ersten
Weltkrieges waren der Entwicklung von Stadt
und Kreis Grenzen gesetzt: einbezogen in die
neutrale Zone, die an die weitgehenden Beschränkungen
nach Artikel 42—44 des Versailler
Vertrages gebunden war, war unser Gebiet nicht
verlockend für industrielle Ansiedlung. Im Dritten
Reich wurde dekretiert, daß sich die Industrie
weit ab der Reichsgrenzen im Landesinnern
niederzulassen habe. Das hielt die Industrie aus
unserer als gefährdet abgestempelten Zone fern.
So traten Westwall und Bunker an die Stelle
von Industrie. So wurde auch Müllheim nicht
aus eigener Schuld, sondern als Opfer der großen
Politik und zweier unseliger Kriege als
Grenzstadt von der industriellen Entwicklung
weitgehend ausgeschlossen. Das hat sich in der
Zwischenzeit grundlegend geändert. Im Zeichen
der deutsch - französischen Aussöhnung und im
Zeichen der europäischen Zusammenarbeit ist
das Oberrheingebiet dank seiner zentralen Lage
im westeuropäischen Wirtschaftsraum, dank seines
Eisenbahn- und Straßennetzes inzwischen
eine Gegend voller anziehender Standortfaktoren
geworden. So haben sich denn auch die städtischen
Organe seit Jahren darum bemüht, das
wirtschaftliche Vakuum der Kreisstadt organisch
mit geeigneten Betrieben aufzufüllen und in
ihren entwicklungsfähigen, aber einseitig strukturierten
Wirtschaftsraum vor allem passende
Veredlungsindustriebetriebe ökonomisch sinnvoll
einzuordnen. Die aller jüngsten Früchte dieses
unter allen Gesichtspunkten opferreichen Bemühens
sind eine größere Näherei, ein mittlerer
Betrieb der pharmazeutischen Branche und eine
Damenkleiderfabrik mittleren Umfangs. Unser
Endziel, das auch von der Landesplanungsstelle
anerkannt und gefördert wird, ist es, die noch
wenig entwickelte Raumschaft Müllheim — im
Gleichschritt mit der Rationalisierung und Strukturverbesserung
ihrer Landwirtschaft — zu einem
wirtschaftlichen Schwerpunkt auszubauen, ohne
dabei aus dem Auge zu lassen, daß der Grundcharakter
unserer Landschaft nicht zerstört werden
darf und daß wir zugleich der geographische
Mittelpunkt eines entwicklungsfähigen Bäder-.
und Fremdenverkehrskreises sind. Die geplante
neue Rheinbrücke, die Autobahn, der Autobahnzubringer
Müllheim—Weilertal verbessern die
Gunst der Standortfaktoren. Je weiter die Rationalisierung
und Mechanisierung der Landwirtschaft
in Verbindung mit der Flurbereinigung
fortschreiten, umso mehr Arbeitskräfte werden
aus der Landwirtschaft freigesetzt und können
zusammen mit den neuzuziehenden Bürgern in

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