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sanft und ohne blaue Flecken, falls letztere
nicht noch kommen, wenn der Nektar anfangt
seine Herrschaft in mir auszuüben." In diesem
Jahre fertigte Ohmacht sein Relief an, und
schalkhaft schreibt der Dichter, daß er gerne
einen Abdruck davon hätte: „Ich möchte auch
einmal selbander in meinem Stübchen sitzen und
könnte alsdann ruhiger nach Straßburg wandeln,
wenn einer von uns daheim bliebe."
Hat nun in Hebels Werk, diese Verbindung,
diese Liebe zu Straßburg und zum Elsaß einen
Niederschlag gefunden? Die „Alemannischen Gedichte
" scheiden aus, sie sind ja vor der Straßburger
Zeit entstanden. Hier ist nur festzuhalten
, daß Hebel durch Gottfried Haufe Straßburger
Künstler für die 3. Auflage (1806) als
Illustratoren fand, den Maler und Zeichner
Benjamin Zix und den Kupferstecher Friedrich
Sigismund Simon. Sehr lobend spricht sich Hebel
über ersteren aus, wie auch der berühmte Karlsruher
Architekt Wednbrenner. Unter den Illustrationen
ist besonders der Kupferstich hervorzuheben
„Die Mutter am Christabend" mit einer
der allerersten Darstellungen des Christbaums.
Von 1807 ab gab Hebel den „Kalender des
Rheinländischen Hausfreundes" heraus, davon
Cotta 1811 die schönsten Stücke als das „Schatzkästlein
des rheinischen Hausfreundes" herausbrachte
. Auch für diese Veröffentlichung fand
Gottfried Haufe den Illustrator, den in Straßburg
tatigen Schweizer Zeichner Hans Caspar
Hegi, der die Holzschnitte anfertigte. Aber auch
im Text steht vieles aus oberrheinischer und
elsässischer Art und Mentalität. Der Kalender,
der Schwank, die Anekdote ist ja eine ureigene
elsässische Literaturgattung, die hier wie kaum
sonstwo blühte. Sie. geht auf lange Jahrhunderte
zurück: 1522 bereits erschien das älteste elsässische
Schwankbuch „Schimpf und Ernst" des
Thänner Franziskahers Johann Pauli. Ihm folgten
1555 des Colmarers Jörg Wickram „Rollwagenbüchlein
", eine Anekdotensammlung zum
Zeitvertreib auf Reisen, 1557 die „Gartengesellschaft
" des Mauersmünsterer Stadtschreibers
Jakob Frey, 1575 der „Wegkürzer" des Martinus
Montanus von Straßburg. Verschiedene Verfasser
, Behagel und Altwegg vor allem, haben nachgewiesen
, daß einzelne Anekdoten von Hebel auf
diese Schwankbücher zurückgehen. Auch der
Kalender ist etwas typisch Elsässisches. Der
älteste, der heute noch bestehende Colmarer
Hinkende Bote, ist im selben Jahre 1677 entstanden
wie der Basler Hinkende Bote. So entspricht
auch Hebels Kalender und dessen Art
ganz dem seelischen Empfinden des oberrheinischen
Menschen. Es ist weiterhin nicht verwunderlich
, daß Hebel einige seiner Erzählungen ins
Elsaß verlegte oder sie vielleicht auch hier erfuhr
, denn die Elsässer sind bis heute ein Völkchen
des Witzes und des Erzählens. Sophie Haufe
schreibt ja, daß Hebel gerne in einer Wirtschaft
sitzen blieb, um den Leuten zuzuhören. In der
Geschichte vom „falschen Edelstein" fängt Hebel
an: „In einem schönen Garten vor Straßburg,
vor dem Metzgertor, wo jedermann für sein
Geld hingehn und lustig und honett sein darf",
dort saß „auch der Hausfreund mit seinen
Gevatterleuten (also er selbst mit der Familie
Haufe) und waren auch lustig und honett für
ihr Geld; und einer davon ist ein Goldschmied,
der's versteht" (das war Haufe). Eine andere
Erzählung, „Die gute Mutter" spielt in Ruf ach
und in Colmar, und da ist zu Beginn ganz
elsässische Stimmung: „Zwei Stunden herwärts
Colmar, als schon die Sonne sich zu den Elsässer
Bergen neigte, die Hirten trieben heim, die
Kamine in den Dörfern rauchten... „In der
„Heimlichen Enthauptung" hat er zwar die
Szene dem Scharfrichter von Landau in der
Pfalz zugesprochen, die jedoch, älteren elsässi-
schen Quellen nach, dem Colmarer Scharfrichter
passiert sein soll. Eine seiner Judengeschichten
spielt in einem Dorfe des Sundgaus, wo die
jüdischen Händler und Viehkäufer früher sehr
zahlreich waren. Eine andere ist der „Rätseljude
von Chalampy", dieses Rätselraten während der
Fahrt auf dem Rhein zwischen Basel und dem
elsässischen Dorfe Chalampe. „Der Wolkenbruch
in Türckheim" gibt ganz die Stimmung des
elsässischen Weinlandes wieder, wo, schreibt
Hebel, einem „guten Bekannten des Hausfreundes
, der im Oktober einen Streifzug auf Wein in
das Elsaß machte", in Türckheim so Einiges
passierte.
Wenn man diese Kalendergeschichten liest,
so fühlt- man das Ruhige und Ausgeglichene in
Hebels Wesen, das Friedfertige, das Gütige. Und
doch war in jenen Jahren die Welt erfüllt von
Streit, waren es die napoleonischen Kriege,
schössen die nationalistischen Leidenschaften in
die Halme. Davon merken wir bei Hebel nicht
viel. Auch hierin ist viel Oberrheinisches in ihm.
In einer Ecke geboren, wo mehrere Länder,
Mentalitäten und Kulturen zusammentreffen, wo
man Verständnis füreinander haben muß, war
Hebel jeder nationale Haß fremd. Er war immer
für Menschlichkeit, Güte und Liebe, nie für Haß
und Gewalt. Er war eine höchst unkriegerische,
eine unmilitärische Natur, und wir verargen es
ihm nicht. Mehrfach gibt er dieser Seite seines
Charakters Ausdruck. In einem Brief an Daniel
Schneegans vom Frühjahr 1805 schreibt er von
Karlsruhe: „Die alten Kanonen waren geschwinder
von den Franzosen geholt, als die neuen
angeschafft. Viele Menschen liefen hinaus, um
sie zu sehen, aber ich nicht; daran kennt man
den Mann, der in der Welt und in Straßburg
gewesen ist. Ich laufe keinen Dreipfündnern
nach; ja ich traue mir zu, daß ich aus dem Weg
gehen würde, wenn mir einer nachlief." Und an
die Familie Haufe im November 1805: „Sie
haben gut reden, meine Teuerste! Ich muß Krieg
führen. Das geht entsetzlich her auf dem Kaffeehaus
mit Schlachten und Eilmärschen. Wenn ich
nur eine Minute nicht da bin, so ist für Österreich
alles riskiert. Ich kann ohne stolz zu sein
rühmen, daß ich im Kampf für das durchlauchtigste
Erzhaus schon manchen Tropfen Bier verschüttet
habe."
Aber auch das Verhältnis Frankreich —
Deutschland ist für ihn kein Problem. Er liebt
französisches Wesen und französische Menschen.
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