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Trauermusik für den im Herbst dieses Jahres
heimgegangenen Weisen vom Schwarzwald. Erstmals
erklingt bald hernach bei der vom Badischen
Staat veranstalteten Trauerfeier für den
großen Toten das Lied „Hans Thomas Abschiedsgruß
": „Ich sag nun bald der Welt ade, und
weiß doch nicht, wohin ich geh" — jene schwermütige
, aufbegehrende und wiederum resignierende
Weise nach Worten des greisen Malerpoeten
, die zur Keimzelle werden sollte für jenes
drei Jahrzehnte hernach vollendete gewaltige
Kantatenwerk „Zwischen Zeit und Ewigkeit".
Als uns in eben jenen Jahren von Burte das
herrliche Buch „Madlee" geschenkt wurde, wählt
Franz Philipp im gleichen Jahre 1924 sechs Texte
aus dieser Überfülle gedichtgewordenen Aleman-
nentums und gibt sie in köstlicher und ergreifender
musikalischer Fassung unseren Männerchören
in die Hand, darunter das wehmutvolle
„Lebewohl am Rhein", das in seiner Schlichtheit
so klingt, als singe es unser eigenes Herz — oder
das „Markgräfler Lied", darin man das gesegnete
Land zwischen Strom und Gebirge leuchten
sieht in seinen unbeschreiblichen südlichen
Farben.
„Es ist mir eine wahre Freude des Herzens,
Ihnen das Allerbeste von den Chören zu schreiben
, die Sie aus der „Madlee" komponiert haben
", schrieb der Dichter an den Komponisten,
als er die Lieder das erstemal hörte in Lörrach,
„ich war zu Tränen gerührt: Macht: Kraft, Jubel,
Kunst, Liebe — alles ist darin".
In den folgenden Jahren entstehen dann unter
Hans Adolf Bühlers Pinsel jene zwei oben
erwähnten zeitlos gültigen Gemälde, die den
alten Hans Thoma im wallenden grünen Zaubermantel
als Hüter des kostbaren Grales der überlieferten
Kunst zeigen und den Orgelmeister
Franz Philipp auf der Orgelbank vor seinem
Himmelsinstrument in der Halle eines barock
geschwungenen Kirchenraumes — noch ist seitdem
für beide Künstlergestalten keine tiefere
Deutung gefunden worden: Franz Philipp, der
Improvisator, der Meister des schöpferischen
Augenblicks, groß, wuchtig, beherrschend, heißblütig
und voll unbändig nach Ausdruck drängender
Religiosität inmitten eines sich im Hintergrund
verklärt auflösenden Gottesraumes —
Hans Thoma, der schon zu Lebzeiten zum
Mythos gewordene Meister und Philosoph, der
„in seiner Kunst und in seinem reinen Menschentum
das Kostbarste im goldenen Kelch aus
der Gefahr des Verlorengehens in die Hut des
Herzens hineinträgt."
Wieder ein Jahrzehnt später entstehen in den
Jahren der beginnenden reifsten Meisterschaft
des Komponisten die schon gewaltig zu nennenden
„Burte-Lieder" für Singstimmen mit Klavier
, die mit aller Kunst die großen Dichterworte
Burtes ausdeuten und in eine breite Weltgültigkeit
hinaufheben: „Markgräfler Landschaft
", eine schon philosophische Deutung der
oberrheinischen Landschaft — „Gabe", eine erhabene
Lebensauslegung — „An die Seele", eine
in unserer hastigen Zeit wahrhaft ernste Mahnung
zur Besinnung auf die tiefsten Dinge
unseres Seins.
Burte huldigte dem Komponisten darüber
mit den Worten: „Die beiden Lieder „Alles, was
ich habe" und „Schlafe, Seele, schlafe tief" hast
Du derart sinngemäß im Ton aufgebaut, daß ich
über die Tiefe und Weite der Schwingungen
förmlich staunte! Ich bin sehr glücklich, in Dir
einen wahren und wesentlichen Vertoner gefunden
zu haben!"
Oder jene zwei reinen Liebeslieder „Zwei
Sterne" und „Kranz aus Rosen", die schon in
Franz Philipp BZ-Archiv
der frühen Männerchorfassung wie', hier in der
späteren Umgestaltung leuchtende Juwelen edler
Lyrik darstellen.
In allen diesen Liedern ist Gedanke und
Kunst gleicherweise ins Große gesteigert, ohne
aber einen Augenblick die Einfachheit zu vergessen
, die ja ein Teil alemannischer Art ist —
und damit ist ein Hauptmerkmal Philipp'scher
Musik genannt: Volkstümlichkeit im höchsten
Sinne des Wortes.
Und dann, in den Jahren nach dem letzten
Krieg, gelingt dem in seine Vaterstadt Freiburg
zurückgekehrten und dort seinem Schaffen
lebenden Komponisten die Vollendung jenes
großen Lebenswerkes „Zwischen Zeit und Ewigkeit
" — jene symphonische Kantate, darin sich
der Musiker die tiefsten Texte des Dichters Hans
Thoma auswählte zu einem ebenso aufwühlenden
wie versöhnenden Rückblick auf des Lebens
erfülltes Rund und zu einem verklärten Abschied
von der Erde hinüber ins Ewige: Woher
wir kommen, wir wissen es nicht. Wohin wir
gehen, ist dunkel und weh. Wirrwarr um uns
und Geheimnis. Aber die Erde hat Schönheiten,
die uns zu trösten wissen: Tag und Dämmerung
und Nacht und die große Natur und die Stille
und die Jahreszeiten, den herrlichen Frühling —
und hoch dort oben schwebt der Falke: „O dürft
ich mit ihm ziehn!"
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