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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1960-08/0012
Das ganze Menschenleben selbst gleicht einem
gutvollendeten Jahreskreis, aber es reicht eben
weiter, das Leben des Menschen, und das ist das
Große und das Geheimnis an diesem Lebenskreis:
Er reicht hinüber, hinauf ins Ewige: „O weint
nicht vor des Grabes Nacht: Nur 's Werkzeug
wird zur Ruh gebracht. Zum ew'gen Licht wird's
auferstehn. In Gottes Ruh wird's lieblich sein."

Schon wer mit so einfachen Worten letzte
Dinge aussprechen kann, ist ein wahrer Dichter.
Wer aber die Musik dazu findet, ist ein Vollender
und Vollendeter zu nennen. Gewaltige Chöre
mit kunstvollsten kontrapunktischen Gebäuden,
Passacaglien, Fugen und mannigfaltigste Themenverflechtungen
stehen neben hinreißend
schönen lyrischen Sologesängen. Dabei ist ohne
große Schwierigkeiten nachzuweisen, daß die
ganze gewaltige Partitur in ihren Hauptteilen
aus einem einzigen Grundthema gebaut ist, eben
jener Weise aus dem „Abschiedsgruß" — allerdings
mit einer geradezu an Beethoven gemahnenden
Veränderungskunst. Der Hörer merkt es
nicht, daß das ganze musikalische Baumaterial
der groß dahinrauschenden Chöre bis in die verklingenden
Schlußmysterien hinein aus einem
einzigen unerschöpflichen Baustein gewonnen ist.
Er ahnt nur, wie durch das ganze umfassende
Werk eine große umfassende Einheit wirkt und
webt und verbindet und tief-unbewußt waltet.
Keiner, der je dieses Werk erlebte, wird ohne
Erschütterung und Erhebimg in den Alltag
zurückkehren mit dem Bewußtsein, hier einem
Begnadeten gelauscht zu haben.

Noch sei uns der Hinweis gestattet auf die
späten „Hebellieder", die nach dem Thoma-Werk
entstanden, gleichsam als verklärter, heiterer
Abgesang auf Worte des alemannischen UrGenius
— darin aber auch die reine „Hymne an
Hebel" steht von Hermann Burte: „Hebel, du
herrliche Ma", schlicht und schön wie ein Gebet
aus der Kindheit.

„Wie selbständig und unbeirrt, dem Wesen
des Textes getreu, hast Du die alten, oftgehörten
Hebel-Lieder in neue Akkorde gegossen, und sie
entzückten mich!", rief Burte in einem Brief
dem Freund zu.

Und noch in den letzten Lebensjahren Burtes
haben Texte von ihm in Franz Philipps Schaffen
hineingefunden. Wir nennen das tief erdachte
Tischgebet „Wir trinken Wasser und versinken
drein", das „Lob der Heimat: Von Herzen will
ich loben mein liebes Heimatland: Markgräfler-
land am Rhein", das liebliche Madrigal „Verabredung
: Wenn die Sonne lacht, kommst du zu
mir" aus „Heil im Geiste". Und als schließliche
Deutung wahren Schöpfertums das • Lied „Die
Erlesenen", von dem noch zu sprechen sein wird.

Wie läßt sich Gültiges über das Schaffen von
Franz Philipp sagen — und über das Werk aller
hier genannten Großen unseres alemannischen
Volkes? Franz Liszt sagt einmal, das Werden
eines Komponisten beginne, ehe er einer werde
— und man darf dieses Wort mit Fug und Recht
erweitern und auf alle genannten schöpferischen
Geister anwenden: „Erbe und künstlerische Mitgift
, Ahnen und heimatliche Herkunft, Schule

und Unerlernbares sind die schicksalsbestimmenden
Teile eines Ganzen, das aber als Ganzheit
mehr ist als die Summe dieser Teile". Alle
ihre Kunst und ihr Schaffen wurzelt in den
letzten Bezügen im Kultischen, ist Kunst der
gläubigen Menschenseele, ist ein Produkt nicht
nur des Könnens und der Meisterschaft, sondern
auch „der Gesinnung, Berufung und Persönlichkeit
." Es ist ein Schaffen aus „menschlicher
Innerlichkeit und einer Zeitnähe, die nichts mit
Mode gemein hat. Denn kein wirklicher Künstler
schafft mit der Absicht, seine Zeit auszudrücken
. Da er ein Produkt seiner Zeit ist, ist
sein Werk auch immer Ausdruck seiner Zeit und
wird nicht unmodern werden, weil es nie modern
war". (Dr. Ganter zum 60. Geburtstag des
Komponisten.) Wie sagt doch Robert Schumann:
„Gutes ist immer zeitgemäß." Denn das Neue
erwächst nicht nur aus der Erweiterung der
Elemente, sondern primär aus den Kraftströmen
des Schöpfergeistes, hat schon Hans Pfitzner
erkannt.

Kehren wir nun zum Beginn unserer Ausführungen
zurück: Alle von uns hier beschworenen
erlauchten Geister unseres alemannischen
Volkes sind im Augenblick mehr oder minder
dazu verdammt, seit Jahren eine Zeit schmerzlichen
Verschwiegenwerdens erdulden zu müssen
. Die Maßstäbe des heute in der Öffentlichkeit
herrschenden Kunst-Schaffens haben sich
gefährlich gewandelt. Burte, dieser echte und
unbestechliche Geist, der in seinen Briefen an
seinen Freund Philipp schon in den Jahren des
„Dritten Reiches" sich immer wieder über die
Wankelmütigkeit der Umwelt beklagt ' — „Ich
habe eine Hölle innerer Traurigkeit zu durchwandeln
, die keinen Raum für freudiges Schaffen
läßt. Treue ist heute rar. Es tut mir gut,
daß Du so treu und wahr bist" — Burte hat
über seine Einstellung zu jeder Form von abstrakter
Kunstäußerung nie einen Zweifel gelassen
. „Man lebt in einem gläsernen Grab, sieht
alles um sich herum und hört es: Aber die
draußen tun, als ob sie einen nicht sähen!" Und
dann wieder findet er angesichts des lärmenden
und in bedenkliche Zonen abgeirrten Kunstgetriebes
jene tröstenden und gültigen Worte
des oben schon genannten Gedichtes:

Die Erlesenen

Sie schaffen, sie schaffen, die Eiligen,
Werke um Ruhm und Geld.
Die Engel aber und Heiligen
Sind wie die Blumen im Feld.

Flinkhändige, katzenfüßige
Strebende klimmen hinan.
Aber der eigentlich Müßige,
Der niemals etwas getan,

Nur da war im Schatten der Nische
Und leise sprach vor sich hin,
Den laden die Götter zu Tische,
Und die Musen krönen ihn.

Wie haben wir zu Eingang zitiert: „Die Größe
des Genius kann durch keine äußere Anordnung
vernichtet werden. Man kann den hohen Geist
zu schmerzlicher Isolierung verurteilen, seine
Größe und Seelenhöhe und damit seine Geltung
werden dadurch nicht berührt."

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