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Liest man die Chronik-Bücher der Pfarrei
Auggen, die sich von 1652 bis 1692 erstrecken,
fällt trotz der Zustände und Gebräuche, die uns
heute fremd und absonderlich anmuten, ein
Gleiches auf: Krieg, Angst, Flucht, Verwüstung,
Heimkehr, Aufbau, neue Kriegsfurcht — das
wiederholt sich immer wieder in erschütternder
Folge. Kaum war der Dreißigjährige Krieg beendet
und Land und Leute wagten aufzuatmen,
da überzogen französische Heere das oberrheinische
Land mit Eroberungskriegen. Im selben
Jahr brannten Schloß Badenweiler und die Burg
Rötteln zu Asche, und den unglücklichen Bewohnern
der Dörfer konnte es fast gleich sein, ob
Freund oder Feind sich einquartierten, denn
Plündern und Rauben war Kriegsbrauch des
einen wie des andern. Kein Wunder, daß im
Kirchenbuch das Sterbealter kaum höher als mit
50 Jahren erscheint. Besonders die Frauen, die
bei dem ständigen Hin und Her auf Karren und
holprigen Fahrstraßen ihre zahlreichen Kinder
mitschleppen mußten, um dann irgendwo aus
dem Nichts wieder einen Hausstand aufzubauen,
verzehrten ihre Kräfte vor der Zeit.

Betrachtet man das Leben in dem gesegneten
Landstrich zwischen Müllheim und Kandern zu
jener Zeit, so geschieht dies vornehmlich aus
dem Blickpunkt der Pfarrei, schon deshalb, weil
die gewissenhaften Eintragungen des Pfarrers
Jeremias Gmelin in Auggen die Quellen bieten,
zum zweiten aber, weil das kommunale Leben
damals viel enger mit dem kirchlichen verknüpft
war.

Das Amt des Pfarrers beschränkte sich nicht
darauf • geistlicher Berater der Gemeinde zu sein,
Jeremias Gmelin war im christlichsten Sinne
Hirt seiner oft aufgestörten, zerstreuten Herde.
Noch mit 76 Jahren führt er ein Kirch- und
Pfarrbuch, in das nicht nur Taufe, Verehelichung
und Tod jeder Person seines Sprengeis eingetragen
w ird, sondern auch Bildungsgrad und
Lebensschicksale. So liest man unter dem Namen
eines ehrenwerten Bürgers die Notiz: „kann
lesen und schreiben" und bei einem andern: „ist
leider gänzlich verdorben". Nach dem Westfälischen
Frieden erscheinen häufig Schweizer Namen
im Kirchenbuch. Nicht nur Knechte und
Mägde verdingen sich, aus dem nahen Basel
kommend, auch Bürger und Handwerker erstehen
wahrscheinlich billiges Land in den entvölkerten
deutschen Gauen. Überhaupt ist der
Austausch und Verkehr über die Grenze sehr
lebhaft. In Gefahrenzeiten „flehnen" die Mark-
gräfler ihr Hab und Gut ins sichere Basel, um
es dann mühsam und oft nur für kurze Zeit
wieder zurückzuholen. Im Frieden reist der Herr
Pfarrer fast allwöchentlich und oft hoch zu Roß
hinüber, um Medikamente für seine Gemeinde
zu kaufen: Sauerbrunnentäfelchen, Aloe und Sal
Prunellae um Magen und Därm auszuputzen und
für die Schwäche alter Leute Bibergeyl, ein
penetrant riechendes Biberfett. Als Universalmittel
gilt das aus Indien über Venedig eingeführte
Theriak, das selbst bei Pest Anwendung

findet, denn dem Pfarrer bleibt es nicht erspart
auch in seiner Gemeinde Pestkranke zu besuchen
, zu pflegen und zu begraben. Politisch
satirische Traktätchen schmuggelt man ein, aber
auch freundliche Mitbringsel für die Familie. Der
fünfjährige Enkel bekommt ein paar gute Kalbfelle
zu einer Hose (der unschätzbare Wert der
Lederhose für einen Bubenhintern war auch
schon vor dreihundert Jahren bekannt!) und
Hosenträger dazu, die man „Krützlein" nennt.
Die Maidlin freuen sich über Röcke, Unterröcke,
„Hoffartsbrüstlein" und Pelzkrägelchen. Die
Handwerker kamen dazumal fast immer ins
Haus. Da bosselt in einer vielköpfigen Familie
nicht nur der Schneider Wochen und Monate,
auch der Schuhmacher, so daß sogar der Herr
Vikarius ein Paar neue Pantoffeln erhält. Schuhe
bilden bei Dienstboten fast immer einen Teil
des Lohns, und Handwerksrechnungen begleicht
man mit Brot, einem Kochet Sauerkraut und bei
größeren Aufträgen mit einem Säulein. Auch der
Schreiner kommt ins Haus. Von vorhandenen
Dielenbrettern zimmert er Tröge, „Känsterlein"
und den „Totenbaum". So nimmt mancher
wenigstens ein Stück seines Hauses als Sarg mit
unter die Erde. Allerdings hat dieses auf Vorrat
-Schaffen auch Nachteile: so mußte unser
Pfarrer Jeremias seinen bereits angefertigten
„Totenbaum" vom Schreiner vergrößern lassen,
weil er im Alter korpulenter geworden war!
Manches Handwerk kennt man heute nicht mehr,
so das des „Nonnenmachers", der Federvieh und
Schweine kastrierte, oder den „Pulvermacher",
der Schießpulver auf Bestellung rieb, weil es
öffentlich nicht verkauft werden durfte.

Der Schweinehirt sammelt noch heute in Dörfern
des Oberrheins die schmackhaften Rüsseltiere
des ganzen Ortes und weidet sie in gemeinsamer
Suhle, aber einem lastentragenden Esel
begegnet man nicht mehr. Damals waren die
Rebhäuge schwer zugänglich und allerorts ging
das geduldige Grautier mit „Logein" beschwert
bis ins „Gebirge", um den köstlichen Markgräfler
Wein auch zu den Schwarzwaldbauern zu bringen
. Da schnallte ein Findiger seinem Langohr,
um sich die Mühe des Hebens zu sparen, die
Fäßlein leer links und rechts an den Bauch, legte
die Kellerleiter an und wollte den Wein bequem
durch den Trichter in die Logein rinnen lassen.
Sein Esel hatte aber wenig Verständnis für diese
Arbeitseinteilung und bockte, so daß der Küfer
Schaden und Gelächter zugleich erntete.

Durch die unruhigen Zeiten schlichen sich
leicht Mißbräuche auch in die Kirchenordnung
ein: „als nach dem Dreißigjährigen Krieg wieder
heimgekommen und gar wenig Volk gewesen,
etliche nach ihrem Belieben da und dorthin in
der Kirche ein ungeschickt lüderlich Stühlein
machen lassen, dran ein Schilling gegeben, um
deswillen einen besonderen Vorzug und Gerechtigkeit
behaupten wollen." Solchem Tun bietet
Pfarrer Gmelin energisch Einhalt. Er ordnet
genauestens an, wie Manns- und Weibspersonen
sich im Gestühl zu verteilen, wie sie getrennt

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