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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1960-10/0012
darin — oder war's ein Tropfen öl? — wurde
zermahlen, ausgestoßen. Zunächst tröstete ich
mich noch damit, daß es auf unserm Hof viele
Apfelsorten gebe und daß selbst ein neuer Baum
wenig bedeute. Dann begann ich, die Uninteres-
siertheit der Menschen an uns Kindern und an
andern zu begreifen. Versuchte nicht jeder, seine
Meinung darzulegen, durchzusetzen, dem Vater
zu gefallen? Trugen nicht alle ihre festgefahrenen
Gedanken im Kopf? Herrschte nicht der
Eigen-Sinn, das zweite Inbild, der Hausgötze?
Das Tiefste aber, was ich in meiner Aufgeschlossenheit
sternenfest entdeckte, war dies: Ich stand
allein und würde immer allein bleiben; jeder
Mensch werde oft allein stehen. Es war zwecklos,
darauf zu achten, daß meine Äpfel weiterhin auf
den Tisch kamen.

Nach dem Vesperessen ging ich still und allein
zu meinem hölzernen Freund auf der Hausmatte.
Er stand vor mir mit seinem gelbroten Segen,
und ich fühlte sein Bild in mir glitzern und
schwanken. Eine sanfte und süße Zwiesprache
umschlang uns. Die Stunde am Tisch wies mir
den Weg, an - meine Besonderheit zu glauben,,
mich in der kreisenden Umwelt zu behaupten zu
halten. Das dankte ich dem Baum, der Natur.
Diese Einsicht war mein großes Glück, das prächtige
Feuer, zu dem mein Licht aufgestrahlt war.
Ich legte beide Arme um den Stamm, spürte,
daß meine Augen feucht wurden, und sprach
leise: „Das ist mein Baum."

Aus Richard Gang: „Der unheimliche Mitspieler". Verlag
Herder, Freiburg, mit freundl. Erlaubnis des Verlages.

Im Markgräflerland vor hundert Jahren

B. Gmeiner:

j&a& etmngeli'fd)e Kettungetjauö in Uüllmgen

Eine soziale Tat aus dem Jahre 1860

Wir sind es heute gewohnt, daß soziale Leistungen
vom Staat oder von großen Organisationen
konfessioneller oder sozialpolitischer Natur
getragen werden. Der Einzelne beruhigt sich
gern bei dem Gedanken, daß von diesen Institutionen
ja alles an sozialer Fürsorge getan würde,
was überhaupt getan werden kann. Das ist auch
auf dem Gebiete der Jugendfürsorge so. Man
kann sich kaum mehr vorstellen, daß es vor
hundert Jahren auf diesem und anderen Gebieten
der Sozialfürsorge und Caritasarbeit immer
sehr der Initiative einzelner Persönlichkeiten
bedurfte, wenn etwas getan werden wollte und
mußte.

Von einer solchen sozialen Tat aus der Zeit
vor hundert Jahren soll heute berichtet werden.
In Nr. 108 des „Oberländer Boten" vom 12. Sept.
1860 wird von der Errichtung einer Anstalt gesprochen
, die sich „Rettungshaus Friedrichshöhe"
nannte. Der Artikel gibt über Gründung, Zweck
und Funktion dieses Hauses Auskunft, und ist
kurz vor Eröffnung des Instituts geschrieben, um
der Öffentlichkeit dieses jugendfürsorgerische
Unternehmen vorzustellen. Er beginnt so:

Das evangelische Rettungshaus „Friedrichshöhe"
zu Tüllingen (Amt Lörrach)

Das Tüllinger Rettungshaus ist unter Dach. In
einigen Wochen wird der untere Stock desselben
bezogen werden können.

Bis hierher hat der Herr geholfen. Mit seiner
ferneren Hülfe ist es möglich, die Rettungsanstalt
noch im Laufe, dieses Jahres, wenn auch nur mit
etlichen wenigen Knaben, zu eröffnen.

Vor Eröffnung der Anstalt wenden wir uns an
unsere Mitbürger, und insbesondere an die evangelischen
Bewohner der drei Amtsbezirke Lörrach, Müllheim
und Schopfheim, um dieselben mit dem Rettungshaus
bekannt zu machen, Es soll das ebensowohl
eine öffentliche Rechenschaft sein über das, was
wir mit einem solchen Hause eigentlich wollen, als
auch eine freundliche Bitte, unserer Anstalt mit
ihrer Fürbitte und mit brüderlicher Handreichung
zu gedenken.

Zu diesem Zwecke lassen wir für diesmal einen
Auszug aus den Statuten hier folgen. Die Statuten
sind vom großh. Ministerium des Innern unter dem
8. Mai des Jahres genehmigt, und bilden das Hausgesetz
der Anstalt. Sie umfassen 15 Paragraphen,
und sollen mit den künftigen Jahresberichten des
Hauses veröffentlicht werden. Aus dem Auszug, den
wir hier geben, wird am deutlichsten zu entnehmen
sein, was wir mit der Rettungsanstalt wollen, und in
welcher Weise wir unsere Absicht mit Gottes Hilfe
zu verfolgen gedenken.

Nun folgt ein Auszug aus den Statuten des Tüllinger
„Rettungshauses". Er beginnt mit dem

1. Zweck der Anstalt

Das Tüllinger Rettungshaus hat den Zweck, evangelische
Knaben, die verwahrlost sind, oder in Gefahr
stehen, verwahrlost zu werden, auf Grund der
heiligen Schrift nach dem Bekenntniß ihrer Kirche
zu erziehen.

Die Kinder werden zu dem Zweck in das Haus
aufgenommen, an christliche Hausordnung gewöhnt,
zu regelmäßiger Thätigkeit angehalten, in den verordneten
Schulgegenständen unterrichtet, in allen
häuslichen und landwirtschaftlichen Arbeiten geübt,
und nach ihrer Entlassung bei christlichen Familien
unterzubringen gesucht.

Der zweite Paragraph handelt von der

2. Leitung der Anstalt

Die Leitung des Rettungshauses liegt in den Händen
eines Comitee's, das aus fünf bis sieben evangelischen
Männern der Umgebung besteht, sich selber
ergänzt, an festgesetzten Tagen ihre regelmäßigen
Berathungen hält, und über die Verhältnisse der
Anstalt, besonders über die Einnahmen und Ausgaben
derselben, öffentliche Rechenschaft ablegt.

Der Ortsgeistliche von Tüllingen ist, auch wenn
er dem Comitee nicht als Mitglied angehört, zu den
Verhandlungen derselben einzuladen.

Das Comitee ernennt einen Hausvater, der
Sitz und Stimme im leitenden Collegium hat, mit
seiner Ehefrau dem ganzen Hauswesen vorsteht, die
Erziehung der Knaben, und die zur Anstalt gehörige
Landwirthschaft leitet.

Bei Vermehrung der Pfleglinge und der Mittel
des Hauses beruft das Comitee einen eigenen Anstaltslehrer
, der aus der Zahl der geprüften

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