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also entweder der Eltern oder der Vormünder,—
der Personen jedenfalls, denen die Unterhaltspflicht
für das betreffende Kind oblag. Die
finanzielle Seite der Unterbringung regelte ein
weiterer Paragraph, der von den Pflegekosten
handelte:
4. Pflegekosten
Mittellose Kinder werden unentgeltlich aufgenommen
. Bemittelte Kinder aber, und solche, für
welche ihre Angehörigen, oder die Gemeinden, oder
endlich einzelne Wohlthäter zur Zahlung der Kosten
bereit sind, zahlen jährlich ein Pflegegeld zwischen
40 und 80 fl. Die Höhe des Betrages soll den Verhältnissen
des Zahlenden angemessen sein und durch
einen Vertrag festgestellt werden.
Das Pflegegeld, ist in vierteljährlichen Vorauszahlungen
an den Rechner der Anstalt zu zahlen.
Zugleich mit dem ersten Quartal ist auch die Vergütung
für die etwa fehlenden Kleidungsstücke zu
entrichten.
Würde, so frägt man sich und so mögen sich
auch die Leser des Jahres 1860 bereits gefragt
haben, das Rettungshaus mit diesen relativ geringen
Einnahmen bestehen können? Zumal die
Höhe der geforderten Pflegekosten sich den Verhältnissen
des angesprochenen sozialen Milieus
entsprechend reduzieren sollte? Ein 5. Paragraph
gab auf solche und ähnliche Fragen einigermaßen
Auskunft. Er legte offen dar, daß sich das
Werk des Tüllinger Rettüngshauses zum großen
Teil auf freie Liebestätigkeit aufbaute, — auf
freiwillige Gaben gutwilliger Spender. Der
Paragraph lautet:
5. Mittel der Anstalt
Die erforderlichen Mittel schöpft das Rettungshaus
eines Theils aus den Pflegegeldern der Kinder, andern
Theils aus den Gaben freier Liebe, auf die wir
im Glauben an den treuen und reichen Gott, und im
Aufblick auf den Herrn Jesum Christum mit fester
Zuversicht rechnen.
Der Wohlthätigkeit christlicher Freunde ist damit
reichliche Gelegenheit gegeben. Der Herr aber, der
,die Kinder lieb hat, und ihnen das Himmelreich verheißt
, wird uns nicht zu Schanden werden lassen, -d.
In den letzten Sätzen zeigt sich klar, worin das
Hauptkapital des Tüllinger Hauses und seiner
Gründer bestand: Im Vertrauen auf Gott, im
Vertrauen und in der Zuversicht, daß das Werk
von gleichgesinnten Christen des Markgräfler-
landes unterstützt werden würde. Diese Feststellung
ehrt die Männer, die die Gründung
unternommen hatten, — kein Zweifel. Und es
mögen sich auf den angeführten Artikel hin
gewiß manche Leute gemeldet haben, die sich
durch Stiftungen und Spenden beteiligen wollten
. Es mögen sich darunter aber auch vorsichtige
Frager befunden haben, die zunächst einmal
wissen wollten, ob die Grundlage des Unternehmens
trotz aller Zuversicht einigermaßen gesund
war. Diese Vermutungen werden geweckt, wenn
man in Nr. 112 des „Oberländer Boten" (vom
21. 9. 1860) einen weiteren Artikel liest, der sich
einerseits als eine Art Abrechnung über das
bisher Geleistete darstellt, andererseits aber
auch die Gelegenheit benützt, um die milde
Gesinnung der Mitbürger und Mitchristen anzusprechen
:
In Nr. 108 dieses Blattes wurde ein Auszug aus
den Statuten des Rettungshauses mitgetheilt. Daraus
wird jeder, der ein Herz hat für unsere Anstalt, sowohl
unsere Absicht, als auch die Art und Weise
erkannt haben, wie wir dieselbe zu verfolgen gedenken
.
Wir müssen nun aber auch über den dermaligen
Stand der Sache Mittheilung machen. Es geschieht
das in der Hoffnung, der Herr werde uns durch die
offene Darstellung der Verhältnisse manche Freunde
erwecken, die sich unserer Anstalt annehmen, und
unsere Sorge tragen helfen.
Nach dieser Einleitung kommt der Artikelschreiber
zunächst auf die Finanzlage des Hauses zu
sprechen, jedoch ebenso auch auf den Bau des
Hauses:
Zur Errichtung der Anstalt war ein Haus notwendig
. Es wurde deshalb in Obertüllingen ein Haus
nebst etwas Feld und Gartenland angekauft. Das alte
Haus wurde niedergelegt, und so ziemlich auf demselben
Platz ein neues gebaut, nach dem Plan und
unter Aufsicht des damaligen Bezirksbaumeisters
Leonhard in Lörrach. Das Haus steht in der Nähe
der Kirche und des Pfarrhauses. Es hat eine schöne
Lage. Die herrlichste Aussicht nach Basel, ins Rhein-
und Wiesenthal belohnt denjenigen, der sich die
Mühe nicht verdrießen läßt, den Berg zu ersteigen.
Aber mit was habt ihr das Alles bezahlt? —
Nun, es ist bezahlt, aber mit geliehenem Gelde.
Warum sollten wir's verschweigen? Dieser Schulden
schämen wir uns nicht. Auch müssen wir sie ja bekennen
, damit ihr, liebe Mitchristen, sie uns tilgen
helft.
Zur Errichtung des Hauses wurden fürs Erste 3000 fl
aufgenommen, die zu 4/^% verzinst werden
müssen.
Ferner sollten 2000 fl durch Aktien beschafft
werden. An diesen 2000 fl sind 1700 fl gezeichnet
; davon sind eingezahlt .... 1200 fl
die zum Theil gar nicht, zum Theil mit 2 %
verzinst werden.
Weiter wurden von Freunden der Anstalt,
zur Hälfte unverzinslich, entliehen . . . 500 fl
Endlich sind wir auf das alte Haus noch
schuldig .......... 970 fl
Zusammen: 5670 fl
Das ist unser Schuldenstand. Er müßte bedeutend
größer sein, wenn der Herr nicht manches Herz
willig gemacht hätte, bei der Erbauung des Hauses
von freien Stücken und ohne Bezahlung behilflich
zu sein.
Nun folgt ein Absatz, der alle diejenigen Helfer
aufführt, die bereits zum Bau des Hauses Geld
oder Arbeitskraft oder Sachwerte gespendet
hatten:
Herr Bezirksbaumeister Leonhard hat, um des
christlichen Zweckes willen, dem das Haus zu dienen
bestimmt ist, auf drei Viertel seiner Forderungen
verzichtet. — Die Bürger von Tüllingen haben alle
Baumaterialien, mit Ausnahme des wiederverwendeten
Holzwerks vom alten Haus, und der an Ort und
Stelle gebrochenen Bausteine, unentgeltlich beigeführt
. — Gleicherweise sind von etlichen Tüllinger
Gemeindegliedern etwa 6 Morgen Ackerfeld und
Matten der Anstalt zur Nutznießung überlassen. Das
meiste davon ist von "dem künftigen Hausvater des
Rettungshauses gestiftet. — Außerdem sind an Liebesgaben
in Geld und Naturalien bis jetzt etwa
500 fl eingegangen.
Für diese verschiedenen Dienstleistungen und Liebesgaben
müssen wir hier öffentlich unsern Dank
aussprechen. Der Herr, der gesagt hat: „Was ihr
gethan habt einem unter diesen meinen geringsten
Brüdern, das habt ihr mir gethan", der wolle allen
Gebern reichlich vergelten.
Nach diesen sachlichen Darlegungen, die etwa
das erste Drittel des Artikels füllen, führt der
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