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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1960-12/0004
Hans Bachroth:

Jb\t ©arfje mit htm YlWolam

*

Als es vorüber war, gab es unter uns Brüdern
nur eine Meinung: Die Sache mit dem Nikolaus
habe dem Ansehen der Großen bei uns nur
geschadet.

Vorher, ja — da hielten sie unsere Neugier
wach und schürten unsere Angst und nützten
unsere ungewisse Lage schamlos für ihre Zwecke
aus. Und freuten sich, wenn es den ganzen Tag
hieß: Großmutter, wann kommt der Nikolaus?
Großmutter, was ist das, der Nikolaus? Und wo
kommt er her? Und weiß er wirklich alles?

Die Großmutter nämlich hatte die meiste Zeit
übrig, daher hielten wir uns an sie. Und je mehr
sie uns Antwort gab, und je näher der Tag kam,
desto klarer wurde mir, daß der heilige Bischof
Nikolaus auf geheimnisvolle Weise von allen
unseren Untaten Kenntnis haben würde: Von
den gestohlenen Äpfeln, von den Zigarren aus
Nußbaumlaub, die wir beim Viehhüten geraucht
hatten, von den geklauten Streichhölzern und
der Prügelei vor einer Woche — alles, alles
würde er wissen.

Der Toni vom Nachbarhof — er ging schon in
die zweite Klasse — sagte freilich, es sei nicht
alle Jahre gleich . schlimm: Manchmal schicken
sie nur den Nikolaus, den Bischof. Da mußt du
nur beten!

Wer „sie", fragte ich.

Ha, „sie" halt, — antwortete der Toni ausweichend
und sprang davon. Er wußte also auch
nicht viel mehr als ich. Das beruhigte mich.
Uberhaupt — warum sollte man Angst haben?
Hatte man die Geschichte letztes Jahr nicht auch
überstanden? Wie war es nur gewesen? Hatte
der Nikolaus nicht ausgesehen wie der weiß und
goldene Bischof in der Kirche, — der mit den
drei goldenen Äpfeln auf seinem Buch? Er hatte
einem doch gar nichts getan! Seinetwegen lohnte
sich nicht einmal, besonders folgsam zu sein.
Mochten die Schwestern nur immer noch artiger
werden, noch bräver! Mochten sie nur tüchtig
Kerben auf ihre Klausenhölzli sammeln, — für
jeden kleinen Einkauf, für das Suchen von Groß-
mutters Brille, fürs gehorsame Schlafengehen, —
für jeden Käs eben! Auch ohne Kerben würde
einem der Nikoaus den Kopf nicht abreißen.
Aber der andere vielleicht, — sagte die Mutter.
Der Nikolaus käme dieses Jahr nicht allein; es
liefe noch einer mit ihm: Der Pelzniggel, ein
struppiger Kerl mit Sack und Rute und Ketten
am Gürtel! Der käme extra zu den großen Buben
und würde ihnen schon zeigen, was sie verdient
hätten. Und manchmal seien diese Pelzbutzen
sogar zu zweit oder zu dritt! —

Das war nun ein ander Ding. Indessen — ich
kannte die Erwachsenen nun schon fast sechs
Jahre; sie taten immer schlimmer als es nachher
kam. Besonders wenn es ihnen irgendwie nützte.
Selbst die Pelzniggel konnten nicht so schlimm
sein, wenn der heilige Nikolaus selber mitkam.
Oder nicht? Sollte es dem Bischof nicht möglich
sein, mit Augenblitz und Fingerwink sein vermummtes
Gefolge im Zaum zu halten? Die Pelzniggel
waren schließlich doch nur seine Diener!

So vergingen zwischen Hoffnung und Sorge
die Tage und der halb ersehnte, halb gefürchtete
Abend kam. Kaum war es dunkel geworden,
hörte man aus den Gassen da und dort Läuten
und Kettenrasseln. Wir Buben drückten uns im
Hausflur herum, damit wir den angesagten
Besuch möglichst früh bemerken und je nach
Augenschein vielleicht noch eine schnelle Flucht
auf den Speicher ins Werk setzen könnten; für
alle Fälle hatten wir uns den Hosenboden mit
kleinen Kissen aus den Puppenbettchen der
Schwestern gepolstert. Außerdem hatten wir für
den Schimmel des Nikolaus auf Geheiß des
Vaters einen Arm voll Heu vor die Haustür
gelegt, — das mußte den Heiligen doch auch besänftigen
. Die Schwestern scharten sich drinnen
in der Stube um den Tisch und taten mit gefalteten
Händen und dem Aufsagen ihrer Katechismusfragen
wie die Heiligen persönlich und sahen
mit schadenfrohem Lächeln zu uns her, als uns
der Vater in die Stube scheuchte.

Jetzt hörte man die Ketten ganz nah. Es tat
einen Schlag an die Haustür, und schon rumpelten
die Pelzniggel zur Stubentür herein. Kreischend
stob das Mädchenvolk hinter die Mutter;
wir Buben verzogen uns hinter den Ofen. Natürlich
wurden wir gleich wieder ans Licht gezogen;
es war eine Schande, wie die Eltern uns den wilden
Kerlen auslieferten und ihnen unsere Sünden
aufzählten. Was sollte man da anders
machen, als den zischenden Ruten • der Kerle
durch Drehen und Wenden und fürchterliches
Gebrüll möglichst zu entgehen suchen? Der eine
der Pelzmänner wollte mich in seinen Sack
stecken, aber ich biß ihn in den Finger, daß er es m
sein ließ; der Finger roch nach Wagenschmiere
wie des Nachbarn Knecht heute vormittag.

In diesem Augenblick trat der heilige Bischof
in die Stube und das wilde Treiben sänftigte sich.
Der Nikolaus konnte es besser mit uns. Jedes
mußte ein Gebet aufsagen oder eine Rechenaufgabe
lösen oder die Klausenhölzchen zeigen.
Wenn die Antworten langsam kamen, wollten
gleich die Pelzniggel nachhelfen. Aber der Heilige
winkte ab.

Er meinte überhaupt, seine Diener hätten
uns genug geängstigt und geklopft, und hieß sie
ihre Säcke öffnen. Brummend taten sie's und
schüttelten uns Nüsse, Äpfel, Hutzelbrot und
gebackene Männer vor die Füße, — hielten aber
die Ruten bereit, um sie auf die zulangenden
Finger sausen zu lassen. Doch einer von uns
wußte jeweils den gefährlichsten der Vermummten
hinten am Mantel zu ziehen, um ihn abzulenken
. So wanderten die besten Dinge in unsere
Taschen, während die Schwestern nicht viel ernteten
. Überhaupt schwand unser Respekt vor den
Ketten und Ruten immer mehr dahin, je länger
der heilige Bischof in der Stube war. Schließlich
wies er die Pelzniggel ganz aus der Stube und
zog nach einigen Ermahnungen auch selbst wie-

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