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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1960-12/0006
zwölf Jahresmonate wird mit frischem Humor
geschildert. Im Dezember reitet das Bäuerlein
rittlings auf der Sau um ihr den Garaus zu machen
, während unter dem Wurstkessel schon ein
lustiges Feuerlein flackert. Im „Jenner" sitzen
die Männer beim abendlichen Trunk, dieweil
sich im Nebenraum die Hausfrau ihr nacktes,
molliges natürliches Sitzpolster an den Kacheln
des Ofens wärmt.

Astrologie und Aberglaube leben auf alten
Kalenderblättern in friedlichem Nebeneinander
mit den Darstellungen aus dem christlichen
Heilsgeschehen. Monate und Tage, an denen ein
Aderlaß zu empfehlen ist, werden eingehend
bezeichnet, wie überhaupt das Schröpfen neben
dem heißen Bad im Holzzuber den Hauptanteil
an der Gesundheitspflege hat.

„Geselle gut, halt dich in hut,

nit loss dyn blut in schwerem mut"

steht unter dem „Aderlaßmännchen", das oft im
Kranz der Tierkreiszeichen stehend, den Beschauer
mahnt.

Politische Ereignisse, kulturgeschichtliche Strömungen
, modische Dinge — alles findet Niederschlag
im Jahrweiser. Der Bundschuh des
Landsknechts begegnet uns ebenso wie die
schnabelspitz zulaufende Fußbekleidung des mittelalterlichen
Kavaliers.

Wer weiß, daß der Renchener Schultheiß
Christoffel v. Grimmelshausen, der Vater des
unsterblichen „Simplicius Simplicissimus" auch
der Schöpfer eines „Ewigwährenden Kalenders"
war? Das Vorwort des für den jüngsten Sohn
geschriebenen Werkes zeigt den Schelm von der
liebenswürdigsten Seite. Es heißt da: „es möchte
vielleicht einmal die Zeit kommen, daß niemand
mehr lügen dürfe, auf welchen Fall die Wetterpraktik
und Prognostikschreiberei notwendig
einen Stoß erleiden oder gar aufhören müßte,
also daß man endlich gar keinen Kalender mehr
bekommen könnte, derowegen ich dich mit diesem
Ewigwährenden versehe".

Die Alemannen sind die geborenen Kalendermänner
. Das „Item" und „Merke" läuft ihnen
flüssig aus der Feder, denn längst ist der Jahrweiser
zu einem ansehnlichen Buch herangewachsen
mit Geschichten, Traktätchen, unterhaltsamen
Schnurren, weltgeschichtlichen Rückblik-
ken, Wetterprognosen und allerhand sonstiger
Gelehrsamkeit.

Unlösbar mit der Geschichte des literarischen
Kalenders bleibt der Name Hebels verbunden.
Im Jahrgang 1808 des „Rheinischen Hausfreundes
" erscheint der „Seltsame Spazierritt", 1809
der „Kannitverstahn" und so nach und nach all
die feinsinnig köstlich humorigen Geschichten,
die heute das „Schatzkästlein" füllen. Für sechs
Kreuzer konnte sie jeder erstehen. Ein anderer
Kalenderschreiber, Karl Zittler, drückte die
Schulbank eines Karlsruher Gymnasiums. In seinem
„Kannegießerstübchen", das im „Rheinischen
Landboten" in regelmäßiger Folge erscheint
, geht es hochpolitisch zu, denn Zittler

kämpft für Fortschritt und Pressefreiheit und
legt seinen Kannegießern manch lobendes Wort
über den mutigen Herrn Mathy in den Mund.
Das „Kinderstübchen" bringt Belehrung für die
Kleinen, etwa die Entwicklung des Hühnchens
im Ei mit Zeichnungen, und sicher wurde die
Ankunft des „Götten" ungeduldig genug erwartet
. Bertold Auerbach schickte zur gleichen Zeit
seinen „Gevattersmann" in die Bürgerstuben,
Alban Stolz gibt seinem Kalender mehr religiösen
Charakter. Emil Gött, Hermine Villinger,
Albert Bürklin schreiben für den „Lahrer Hinkenden
Boten", der im „Wanderer am Rhein",
im „Rastatter Hinkenden Boten", im „Freiburger
Boten" sinnesverwandte Vettern bekommt. Hans
Thoma fabuliert im „immerwährenden Bildkalender
", und so ist das Kalenderbuch zu einer
volkstümlichen Lektüre ersten Ranges geworden,
besonders auf dem flachen Lande, wo es oft die
einzige Orientierungs- und Bildungsquelle darstellt
.

Leider verflachen die Kalender nach und
nach. Das Gemütvolle gleitet ab in Sentimentalität
, die Spannung wird durch billige Raubauzerei
erzeugt. Liest man in den Kalendern um die
Jahrhundertwende Bildunterschriften wie etwa:
„Christel", sprach er mit tiefbewegter Stimme
„deine Rose soll an meinem Herzen verwelken"

oder „____die noch alle Spuren des stattgehabten

Kampfes an sich tragend, dem furchtbaren Morden
entronnen waren", so erkennt man nach
Inhalt und Stil unschwer die Ahnen der heutigen
„Heftie".

Mehr ein Nachschlagewerk, aber aufschlußreich
und unterhaltend, ist der „Hochfürstlich
Markgräfliche Badische Hof- und Staatskalender
". Der pyramidenförmige Aufbau eines Hofstaates
von etwa 1771 steckt voller Merkwürdigkeiten
. Vom Oberhofmarschall bis zur Silber-
spülerin und Küchenmagd wird alles namentlich
aufgeführt. Und was tummelt sich da alles im
Schloß: neben den Kammerjunkern und -Herren
die Medici, Bibliothekare, die Exercitien-, Hof-
und Tanzmeister, die Verwalter von „Hofmeu-
bles" und „Garderobbe", die Angestellten von
Kellerey, Gärtnerey, Küche, die Fourriers, La-
quaien, Husaren, Trompeter, Läufer und Hei-
duken. Die Militärs und Herren der Ministerien
schließen sich an, und der Reigen beginnt bei der
Frau Markgräfin und den Prinzen noch einmal
von vorne. Dafür vereinheitlicht man die Leitung
von Zucht- und Waisenhaus zu einer gemeinsamen
Direktion. Auf den letzten Seiten
werden dem Leser die ankommenden und abgehenden
„Posten" mitgeteilt. Der „ordinäre
Both von Pforzheim" logierte in der „Rose". Ein
Gasthof dieses Namens steht heute noch in
Karlsruhe. Bei den Kutschen hat man sich
„prompte Bedienung und alle Accuratesse zu
versprechen", es wird allerdings empfohlen „auf
die bei sich habenden Hardes selbst Achtung zu
haben, indem man für diese nicht responsabel
ist".

Zuletzt noch ein kleiner Hinweis für Leute,
die sich am Silvesterabend langweilen und nicht
wissen, was sie tun sollen bis es zwölf Uhr

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