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Veronika Rohrer, „Hebels Vreneli", in ihrem Alter (um 1860)
Foto: H. Konstantin, Grünwettersbadi
Efringen-Kirchen übersiedelte, soll Hebel seinen
Freund in Kardien noch im gleichen Jahre besucht
haben. Bei dieser Gelegenheit wird Verene
— die Haushälterin — ihren berühmten und verehrten
Landsmann Hebel vielleicht zum erstenmal
in Person gesehen haben. Sie war damals
23 Jahre, Hebel 42 Jahre alt. Nim soll nach feiner
unglaubwürdigen Version bei diesem Zusammentreffen
Hebel von der Schönheit des Mädchens
angeregt worden sein, ihr zu gefallen „unter
dem Mittagessen" das Gedicht „Hans und Verene"
niederzuschreiben.
Dies wird mit Recht angezweifelt; denn
erstlich läßt sich ein so langes, fünfundfünfzig-
versiges, feinsinnig durchdachtes Gedicht nicht
in so kurzer Zeit („unter dem Mittagessen")
aus dem Ärmel schütteln, auch nicht von einem
begabten Dichter. Zweitens konnte Hebel
bei seiner Reise ins Oberland im Jahre 1801
(von der er am 18. Oktober 1801 wieder in
Karlsruhe eintraf) seinen Freund Mylius in Kirchen
noch gar nicht aufgesucht haben, denn dieser
wurde 1801 erst nach Kirchen versetzt und
dürfte erst Ende dieses Jahres oder Anfang 1802
nach Kirchen übergesiedelt sein. In einem Brief
Hebels an Hitzig vom 18. Juli 1801 heißt es:
„Mylius wünscht vom Gymnasium (in Karlsruhe)
weg nach Brombach zu kommen", dazu die Anmerkung
: „Die Pfarrei Brombach wurde 1801
frei. Im selben Jahre wurde auch Chr. Fr. Mylius,
seit 1794 Lehrer am Karlsruher Gymnasium, nach
Kirchen als Pfarrer versetzt". (Siehe „Briefe J.P.
Hebels" von Karl Obser). Ein Vermerk von
Pfarrer Maler in Kirchen — dem Vorgänger des
Mylius — im Kirchener Totenbuch besagt folgendes
: „Am 22. April 1802 bin ich nach Blan-
singen abgezogen". Sein Nachfolger Mylius beginnt
das Taufbuch in Kirchen erst am 24. April
1802. Ob Hebel nach dem Herbstbesuch 1801 im
Oberland gleich wieder im Jahre darauf zu seinem
Freund Mylius reiste, ist bei den Schwierigkeiten
einer damaligen Reise und bei den vielen
amtlichen Bindungen Hebels in Karlsruhe
sehr zweifelhaft. Die Dichtung von „Hans und
Verene" unter dem Mittagessen gehört daher
wohl ins Reich der Fabel.
Nach einer anderen Version soll Hebel das
Gedicht „Hans und Verene" schon in seiner
Studentenzeit verfaßt haben. Nach 1803 schrieb
Hebel keine Dichtungen mehr in alemannischer
Mundart. Der genaue Zeitpunkt der Entstehung
des Gedichtes „Hans und Verene" ist nicht bekannt
.
Hebel verwendete in seinen Dichtungen den
Namen Vererbe noch in zwei anderen Gedichten
und zwar in „Der Statthalter von Schopf heim"
und in „Riedligers Tochter". Das Gedicht „Hans
und Verene" dürfte er also nicht unserer Verene
gewidmet haben. Dies scheint bloß eine fixe Idee
der Verene gewesen zu sein.
Vielleicht hat Pfarrer Mylius sich den Scherz
erlaubt, der Verene glaubhaft zu machen, daß
Hebel das Gedicht „Hans und Verene" ihr zu
Ehren geschrieben habe. Tatsache jedoch ist, daß
Verene voll stolzer Rührung dieses Glaubens
war und sich selbst im späten Alter als
Hebels Vereneli bezeichnete. Sie lernte das lange
Gedicht auswendig und sagte es noch im hohen
Alter bei passenden und unpassenden Gelegenheiten
für sich selbst und vor Zuhörern auf. Dies
wurde ihr dann auch zum materiellen Nutzen in
Alter und Not.
Im Jahre 1817 wurde Pfarrer Mylius an die
Pfarrei Grünwettersbach bei Karlsruhe versetzt.
Seine erste Unterschrift in den Grünwettersbacher
Kirchenbüchern erfolgte im Trauungsbuch
am 16. Dezember 1817. Verene (damals 38 Jahre
alt) war ihrem Herrn hierher gefolgt und betreute
seinen Haushalt wie früher noch etwa
sieben Jahre. Nun dürfte Hebel seinen jetzt
näher wohnenden Freund Mylius von Karlsruhe
aus öfters in Grünwettersbach besucht haben.
1817 stand Hebel bereits im 57. Lebensjahr und
bekleidete in Karlsruhe hohe und einflußreiche
Ämter. Er war unverheiratet geblieben und bewahrte
treu seine in Lörrach begründete Freundschaft
zu Gustave Fecht in Weil, mit der er bis
zu seinem Tode in ständigem Briefwechsel stand.
Bei dieser in der Jugend begonnenen Verbundenheit
, und in der Gebundenheit mit hohen Würden
und Ämtern und seinem gesetzten Alter ist
es nicht anzunehmen, daß er nun mit Verene bei
seinen Besuchen von Pfarrer Mylius in Grünwettersbadi
engere Beziehungen pflegte, als es
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