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Ehefrau klagt über ihren Mann, daß er sie Ohne
Ursache mißhandelt und das Geld vertrinkt, mit
dem sie hätten Zins zahlen sollen. Da die Leute
schon öfters vorgeladen und auch schon beim
Amt gewesen waren und immer wieder in ihr
unfreundliches Leben zurückgefallen sind, so beschloß
man: Wenn die Frau noch länger auf
ihrem Entschluß beharre, von ihrem Mann getrennt
zu werden, ihr zu willfahren und den
Meldschein an das Großherzogliche Oberamt (in
Durlach) zu erteilen. Sievert, Pfarrvikar".
Inzwischen war Pfarrer Mylius über sein
Ansuchen vom 10. 1. 1831 vom Dekanat in Durlach
von der Führung der Kirchenbücher enthoben
worden und gleichzeitig wurde Vikar
August Sievert mit der Führung derselben ermächtigt
. Die letzte Unterschrift von Pfarrer
Mylius erscheint im Protokollbuch am 10. November
1832. Mylius übersiedelte aber erst 1835 von
Grünwettersbach nach Karlsruhe. So hatte nun
Veronika Rohrer ihren bisherigen väterlichen
Beschützer nicht mehr nahe und der von ihr
hochverehrte Hebel segnete schon 1826 das Zeitliche
. Im Jahre 1836 starb auch ihr Mann und so
wurde eine amtsgerichtliche Scheidung nicht
mehr notwendig. Die diesbezügliche Eintragung
im Totenbuch lautet wörtlich: „Am 10. März 1836
morgens 10 Uhr (starb) und wurde am 12. desselben
Monats begraben: Wilhelm Friedrich Rohrer
, hiesiger Bürger und Küfermeister, ein Ehe-
mami, alt 40 Jahre, 6 Monate, 11 Tage. Vater
weil. Georg Jakob Rohrer von hier, Mutter Luise
Margarete geb. Maier. Seine Ehefrau ist Verene,
geb. Ellrichshausen; Zeugen: Valentin Höger und
Rudolf Gräßl, hiesige Bürger. A. Sievert, Pfarrer".
Nun stand Verene als 57jährige Witwe allein
in der Welt, die ihr im Dorfe nicht immer freundlich
gegenüberstand, denn sie galt hier als
Fremdling und zugewanderter Eindringling. Dies
um so mehr, da sie ihrer heimischen, Mark-
gräfler Kleidertracht lebenslang treu blieb und
sich damit gegenüber der Ortsbevölkerung auffallend
abhob. Sie verfügte über keinerlei Vermögen
, wohnte in Miete und führte ein ärmliches
Leben. Am 11. September 1841 starb ihr Wohltäter
Pfarrer Mylius in Karlsruhe.
Interessant ist da eine Eintragung über sie in
der Chronik der Freiherrlich Schilling'schen Familie
in Hohenwettersbach, die wörtlich lautet:
„Im Hohenwettersbacher Schloß verkehrte damals
(zur Zeit Wilhelms Friedrichs, Freiherr von
Schilling - Cannstadt (1825—1888) eine interessante
, allgemein bekannte Figur, es war die des
schwäbischen Dichters J. P. Hebel Verenele. Sie
wohnte im benachbarten Grünwettersbach. Wenn
sie aufs Gut kam, erhielt sie ihren Kaffee und
erzählte dafür Geschichten mit und ohne Verantwortung
".
Im Frühjahr 1856 wurde auf diese arme, bereits
77 Jahre alte Frau ein Herr Emil Groß aus
Karlsruhe bei einem Morgenspaziergang in der
Stadtnähe aufmerksam, als sie mit einem Korb
voll Gemüse auf dem Kopfe zum Verkauf in die
Stadt ging. Sie erzählte ihm ihr Schicksal. In
Herr Groß regte sich Mitleid und Ehrfurcht, und
er veranlaßte am 10. Mai 1856 einen Aufruf in
der „Karlsruher Zeitung" zur Durchfühnmg einer
Sammlung zu Gunsten der noch lebenden
Zeitgenossin und begeisterten Verehrerin Hebels.
Ein hierzu vom damaligen Grünwettersbacher
Pfarrer Müller ausgestelltes lobendes und veröffentlichtes
Zeugnis begünstigte diese Sammlung
. Es lautete wörtlich: „Die Verhältnisse dieser
Frau sind derart, daß ihr eine Unterstützung
und jede Unterstützung höchst erwünscht sein
muß. Sie ist über 70 Jahre alt und seit 1836
Witwe, ohne Kinder und Vermögen. Die zwölf
Jahre ihrer Ehe waren eine ununterbrochene
Reihe von Bekümmernissen, Leiden und Mißhandlungen
bei einem unholdigen und dem
Trunk ergebenen Manne, bei dessen Tod ihr von
früher erspartem Vermögen nichts übrig war als
eine verschuldete Wohnimg. Mit ihrem Lebensunterhalt
war sie daher, wie zum Teil schon bis
dahin, auf ihrer Hände Arbeit angewiesen und
dann auf die Teilnahme edler Menschenfreunde.
Und da sie so glücklich war, deren eine ziemliche
Anzahl zu finden, so brachte sie sich ziemlich
ordentlich fort. Nachdem sie jedoch seit des Eintritt
ins höhere Alter, obgleich noch so schön und
gut wie früher aber nicht mehr so andauernd
spinnen kann, so ging es ihr in der letzten Zeit
etwas kümmerlicher, zumal da ihr auch im letzten
Herbst auf Betrieb des Gläubigers ihre Wohnung
verkauft wurde. Sie hatte mit der Zinszahlung
nicht zurecht kommen können und muß
nun Hauszins zahlen. So sticht denn freilich ihr
jetziges Los recht gegen die Jahre ab, von welchen
sie Ihnen gewiß auch eine interessante
Beschreibung gemacht hat, und erweckt unwillkürlich
Mitleid. Von ihrem Betragen aber kann
nichts anderes gesagt werden, als daß es lobenswert
sei, wie in ihrem ganzen Wesen der Einfluß
der Umstände sich zeigt, unter welchen sie
früher bis zu ihrer Verheiratung gelebt hat. Insbesondere
ist sie voll Dankbarkeit und Anhänglichkeit
an ihre Wohltäter und Wohltäterinnen;
und wenn Sie sich daher derselben in irgend
einer Weise anzunehmen die Güte haben wollen,
so können Sie versichert sein, daß Ihre freundliche
Bemühung einer alten Frau zugute kommet,
die der Teilnahme und Unterstützung ebenso
würdig als bedürftig ist."
Dieser Aufruf hatte einen guten Erfolg, wirkte
vielleicht sensationell, und bei der „Karlsruher
Zeitimg" liefen zahlreiche Spenden ein, die der
Frau Veronika Rohrer übergeben wurden und
ihr nun eine Zeitlang das Leben erleichterten.
Der Aufruf hatte die Aufmerksamkeit der Karlsruher
auf die noch lebende Zeitgenossin, alemannische
Landsmännin und Verehrerin Hebels geweckt
und dies gerade in dem Jahre 1856, in dem
man seines 30. Todestages gedachte. Auch der
Gesangverein „Karlsruher Liederkranz" nahm
sich der Frau an. Darüber verzeichnet dessen
Chronik folgenden Eintrag: „Am 5. Oktober 1856
ging ein Quartett des ,Karlsruher Gesangverein
Liederkranz' nach Grünwettersbach, wo Hebels
Vreneli (Veronika Rohrer) noch als 77jähriges
altes Mütterchen lebt, und es wurden ihr im
Gasthaus „Lamm" einige von Spohn komponierte
Hebel-Lieder vorgetragen, und zwar „Es gfallt
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