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mer numme eini" (das ist das Gedicht „Hans und
Verene", das die Greisin selbst noch auswendig
konnte), „Loset, was i Euch will sage" und
,,Z' Mülle uf der Post". Dabei wurde sie noch
mit gutem Wein bewirtet und sie sprach „dene
guete Herre von Karlisruh" gerührt ihren Dank
aus". Den freudigsten Höhepunkt ihres Lebens
erlebte Veronika Röhrer aber im Jahre 1860 als
81jähriges Mütterchen, da der 100. Geburtstag
Hebels in Karlsruhe feierlich begangen wurde.
Die Frau stand dabei fast im Vordergrund der
Feierlichkeiten im Museum sowie im großherzoglichen
Hoftheater am 10. Mai 1860, woselbst ihr
ein Ehrenplatz angewiesen worden war. Die
„Badische Landeszeitung" brachte weiterhin am
12. Mai 1860 folgende Anmerkung: „Wie in allen
hiesigen Lehranstalten wurde auch in der höheren
Töchterschule gestern die Hebelfeier (zum
100. Geburtstag) würdig begangen, die durch die
Anwesenheit des von der Anstalt eingeladenen
„Vreneli" eine besondere Weihe erhielt. Die
Schülerinnen machten derselben ein Geldgeschenk
von 12 Gulden."
Aber auf Sonnenschein folgt Regen. So verblaßte
auch wieder Vreneles Bild in den menschlichen
Herzen. Eine Eintragimg im Protokollbuch
des Kirchenrates in Grünwettersbach bringt
dieses auch zum Ausdruck. Sie lautet wörtlich:
„Geschehen den 12. Okt. 1866. Kirchenrat Bürgermeister
Rentschier trägt vor, daß Veronika
Rohr er, gewöhnlich „Hebels Vreneli" genannt,
seither im Diakonissenhaus von Verehrern Hebels
unterhalten worden sei, daß aber diese
Quelle, da die Unterstützungen schon so lange
dauern, nunmehr zu fließen aufgehört habe und
die Verwaltung des Diakonissenhauses Zahlung
der Pflegekosten von der Gemeinde verlange. Da
diese aber mit Armenunterstützung schwer angelegt
ist, so wurde für zweckmäßig befunden,
eine Bitte in dieser Richtung ins „Karlsruher
Tagblatt" und den „Oberländer Boten" einrücken
zu lassen und bei Erfolglosigkeit das Almosen
an den entstehenden jährlichen Kosten zu Vs teilnehmen
zu lassen, wenn die Gemeinde dies verlange
."
Veronika Rohrer war also in ihrem Alter
wegen Armut, Altersschwäche und Augenschwäche
auf Pflegeversorgung angewiesen und dafür
mußte die Gemeinde aufkommen. In den Gemeinderechnungen
von Grünwettersbach wird
nun ausgewiesen, daß die Gemeinde für die
arme und kranke V. R. vom 8. Juni 1866 bis zu
ihrem Sterbetag am 8. Januar 1869 dem Diakonissenhaus
in Karlsruhe an Verpflegungskosten
2. Klasse (die letzten acht Tage 3. Klasse) täglich
18 Kreuzer zahlte, das machte für zwei
Jahre sieben Monate (942 Tage) insgesamt 282 fl
36 kr (1 Gulden = 60 Kreuzer), dazu 3 fl an
Vergütung für das Bett.
Veronika Rohrer starb also am 8. Jan. 1869
(nach anderen Angaben am 6. Januar) im Diakonissenheim
in Karlsruhe und wurde auf dem
jetzt bereits aufgelassenen städtischen Friedhof
an der Kapellenstraße beigesetzt. Zum Geleit in
die Ewigkeit sang ihr der „Karlsruher Ldeder-
kranz" am offenen Grabe einen Trauerchor und
ließ ihr später einen Grabstein setzen, der heute
noch an der Mauer des ehem. Wandelganges des
Restfriedhofes ein fast vergessenes Dasein fristet.
Ein zweites Erinnerungsstück an Hebels Vrenele
ist die Marmortafel an ihrem ehem. Wohnhause
in Grünwettersbach, Hauptstraße 24, das von
Hebelfreunden seinerzeit gestiftet worden sein
dürfte. In früheren Jahren kamen des öfteren
Karlsruher Schulklassen mit ihren Lehrern nach
Grünwettersbach herauf und gedachten vor der
Tafel Hebels und des Vreneli. Die Inschrift lautet
: „In diesem Hause wohnte Johann Peters
Vreneli bis zu ihrem Tode. Es war so flink, so
dundersnett."
In der Hebel-Biographie von Wilhelm Alt-
wegg (Verlag Huber & Co. in Frauenfeld und
Leipzig 1935) heißt es im Anhang S. 277: „Hans
und Verene: Eine Veronika Rohrer gab sich ihr
Leben lang aus als das „Vorbild" der Verene,
ließ sich als solche feiern und auf ihrem Grabstein
steht „Hebels Vrenele". Das Gedicht sei
entstanden, als Hebel sie als Mädchen (etwa
22jährig, Anm. d. H.) bei einem Besuch im Hause
des befreundeten Pfarrers Mylius gesehen habe,
und zwar während des Mittagessens. Wenn nicht
alles nur Ergebnis ihrer Phantasie ist, oder ein
Scherz, den sich der Pfarrherr mit dem Mädchen
erlaubte, so könnte das nur gewesen sein anläßlich
des Herbstbesuches im Oberland 1801, damals
war Mylius eben von Karlsruhe nach Kirchen
im Rebland versetzt worden (Mylius übersiedelte
erst 1802 von Karlsruhe nach Kirchen
(Anm. d. V.) und Hebel sicher in Hügelheim (bei
Freund Schmitt) nicht allzuweit von Kirchen
angekehrt."
In der Hebel-Ausgabe von W. Zentner findet
sich zu „Hebels Vreneli" folgende Anmerkung:
„Die Gestalt des Vreneli ist von der Legende
umrankt worden. Man glaubte in Veronika Rohrer
, die Haushälterin des Pfarrers Mylius war
und mit diesem im Jahre 1820 (richtig ist 1817,
Anm. d. V.) aus dem Oberlande nach Grünwettersbach
übersiedelte, das Urbild der Hebeischen
Gestalt vor sich zu haben. Das ist allerdings
nicht richtig. Aber ist dem harmlosen Menschenkinde
in seinen alten Tagen zu verargen, wenn
es der Ansicht nicht widersprach, die dahin ging,
sie sei Hebels Vreneli."
Anm. d. V.: Veronika Rohrer scheint den Ausdruck
„Ich bin Hebels Vreneli" selbst geprägt zu
haben, und sie bestärkte alle in diesem Glauben,
nicht ohne die verständliche und entschuldbare
Absicht, daraus in ihrer Notlage Nutzen zu ziehen
. Wenn ein Mensch dem Ertrinken nahe ist,
greift er nach jedem Strohhalm.
Quellen -Nachweis :
A) Gemeindearchiv Grünwettersbach, Pfarrarchiv Grünwettersbach
(Sterbe- u. Trauungsbuch, Kirchenprotokoll).
Städtisches Archiv Karlsruhe, Städt. Bücherei Karlsruhe.
„Karlsruher Liederkranz" (Gesangverein). Pfarramt Kirchen
(Pfarrchronik). Pfarramt Hasel. Universitäts-Archiv
Heidelberg. XJniversitäts - Archiv Basel. Schloß - Archiv
Hohenwettersbach.
B) Karlsruher Zeitung 1856. Gartenlaube 1869. Karlsruher
Zeitung 1869. Baron Schilling'sehe Familienchronik
um 1860. Längins Hebelbiographie 1875. Karlsruher Tagblatt
1926. Basler Nachrichten 1926. Hebels Briefe und
Werke u. a.
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