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Gerhard Geiger:
fletec T^umbö Wttf im Wünftertal
Es gibt in ganz Mitteleuropa keine schärfere
Kulturgrenze als den Arlberg, der das Land Vorarlberg
von den übrigen österreichischen Bundesländern
trennt. Es war eine Grenze für nahezu
alle Bereiche und ist es zum großen Teil auch
heute noch. In den Mundarten und im Wesen der
Menschen bestehen große Unterschiede gegenüber
den Landen jenseits des Arlbergs. Dagegen
knüpfen sich von diesem Land, das kirchlich
früher teilweise zum Bistum Chur gehörte,
tausendfältige Beziehungen nach Graubünden,
seiner rätoromanischen Bevölkerung und dem
schwäbisch-alemannischen Raum. Vorarlberg war
früher das Verbindungsglied zwischen den österreichischen
Vorlanden und der Hauptmasse der
österreichischen Lande.
Landsknechte und Baumeister
Trotz des großen Fleißes der Bevölkerung
konnte das Land kaum ein Drittel seiner Bewohner
ernähren. Die jungen Leute mußten sich
nach weiteren Verdienstmöglichkeiten umsehen.
Viele wurden Landsknechte in den Söldnerheeren
der benachbarten Staaten, andere wiederum
wanderten als Bauhandwerker in den
Frühjahrsmonaten in die Täler hinunter, an den
Oberrhein und in die Donauländer. Der Bregen-
zer Wald war die Heimat von Franz Beer, Ferdinand
Beer, der Gebrüder Caspar und Johannes
Moosbrugger, Michael und Christian Thumb,
Peter Thumb, Johannes Braun u. a., die von der
Mitte des 17. Jahrhunderts an über ein Jahrhundert
lang die führenden Klosterbaumeister
im Gebiet des alten Bistums Konstanz, im Elsaß,
in der Schweiz und im Schwarzwald wurden
und in ihren Bauten das Bild des katholischen
Barockstils in diesem Raum einschneidend mitformten
. Hatten die älteren Vorarlberger Baumeister
— Michael Beer, Michael Thumb und
Hans Georg Kuen aus Bregenz — auf die oberdeutschen
Jesuitenkirchen zurückgegriffen, so
suchte Kaspar Moosbrugger, der Baumeister der
Klöster Weingarten und Einsiedeln, italienische
Raumprobleme auf, indem er sie nachgestaltend
in sein Schaffen miteinbezog.
Aus den einsamen Tälern und Waldbergen —
noch bis 1785 war der hintere Bregenzer Wald,
aus dem die Bauleute kamen, nur durch Saumpfade
zu erreichen — trat nach dem Dreißigjährigen
Krieg die deutsche Kunst wieder
„tastend aus ihrer Verlassenheit vor". In der
Einsamkeit der abgelegenen, weltfernen Täler
hatte sich auch während des Krieges ein lebensstarkes
Deutschtum in der Baukunst behauptet.
„Schüchtern erscheint es nun wieder, schüchtern
entfaltet es sich in katholischen Landen zu eigenem
Schaffen, neben die Bauten der Jesuiten
und Italiener seine eigenen Versuche stellend, um
dann plötzlich zur Anerkennung zu gelangen".
Das „Vorarlberger Münsterschema"
In einer geistvollen Grundrißgestaltung, dem
„Vorarlberger Münsterschema", lag die Stärke
dieser Baumeister, ihr künstlerisches Ausdrucksvermögen
. Es war eine Schar tatkräftiger Baumeister
, „die wohl neben den glänzenden italienischen
Meistern in ihrer geringeren Handfertigkeit
, ihrer tastenden, von innen heraus wirkenden
Schaffensart, ihrer unbeholfenen Tiefsinnigkeit
eine wenig glückliche Figur gebildet haben
mögen, aber doch an kernhafter Künstlerschaft
und großen Gedanken weit über den allzeit
f ertigen Raschmachern vom Südhange der Alpen
stehen". Diese erste klare Charakterisierung der
Vorarlberger Baumeister durch den Kunsthistoriker
Cornelius Gurlitt ist bis heute unbestritten
geblieben.
Ein Mitglied der aus Bezau stammenden Familie
, Michael Thumb, hatte in seinem Hauptwerk
, der Prämonstratenserkirche in Obermarchtal
an der Donau, erstmals eindeutig klar das
„Vorarlberger Münsterschema", diese dem Zentralbau
völlig fernstehende Planbildung, verwirklicht
. An diesem Schema der Grundrißgestaltung
hielten die „Bregentzwälder" Baumeister
ein Menschenalter hindurch fest, bis
dann später auch hier der ungebundene, freie
Gestaltungswille der Baumeister aus der strengen
konstruktiven Gesetzmäßigkeit des Schemas
ausbricht. Auch den Bauten der beiden stärksten
künstlerischen Exponenten dieser Bauschule, den
Kloster- und Kirchenbauten Franz Beers in Irse6
bei Kaufbeuren und in der unterhalb Schaffhausen
gelegenen Benediktinerabtei Rheinau wie
auch in St. Peter im Schwarzwald, einem Werk
Peter Thumbs, liegt diese kirchenbauerische
Leitform zu Grunde.
Peter Thumb
Aufn.: Jeannine Le Brun, Konstanz
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