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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1961-01/0004
Heinrich Hansjakob:

Am Vorabend vor Dreikönigstag erschienen
die „heiligen drei Könige mit ihrem Stern". Und
wer waren die drei Weisen? Drei Singknaben
vom Kirchenchor, angetan mit Kronen und einem
schneeweißen Hemdlein über ihrem „Sonntags-
häs". Der Stern aber war gebildet aus in Öl
getränktem weißem Papier, hatte vier mächtige
„Zinken", in seinem Herzen einen „Lichtstumpen
" aus der Kirche, ward von einem Nachtwächter
getragen an einer großen Stange und
mit einer Schnur in planetenmäßige Bewegung
gesetzt. Das war die Gesellschaft, auf die jedes
Kind in freudiger Erwartung sein Herz lenkte.
Am äußersten Hause der Altstadt ward nun angefangen
; der Stern, leuchtend in stiller Nacht,
drehte sich um seine eigene Achse, der Nachtwächter
, zu unserer Zeit der „Jägermurer",
dampfte dazu aus seiner Tabakspfeife, und die
„heiligen Dreikönige" fingen an zu singen. Und
was sie sangen, klang so wunderbar aus Kindermund
zu Kinderherzen, daß wir nicht genug
horchen konnten. Und die alten Leute schauten
aus den Fenstern, und in ihrer Seele tönten
wieder aus der Jugendzeit die alten Dreikönigslieder
, und mancher Greis ward wieder jung im
Herzen und fing drinnen mit zu singen an.

Das lieblichste dieser Lieder setze ich ganz
her:

O Jesulein!
Die Liebe hat fürwahr
Dich bunden ganz und gar!

O Kindelein!
Sie in der Tat
Dich g'fesselt hat,
Gelegt in die Krippe dich
Unter das arme Viech,

O Jesulein!

O Jesulein!
Wir zwar bedauern all',
Daß liegen mußt im Stall,

O Kindelein!
Doch ungemein
Wir fröhlich sein,
Daß uns abg'nommen hast
Des Adams Sündenlast,

O Jesulein!

O Jesulein!
Wir jetzund fertig sein,
So schlaf denn wieder ein,

O Kindelein!
O Herzelein schlaf,
Schlaf ach schlaf,
Doch schlaf nicht, wenn wir
Klopfen an der Himmelstür,

O Jesulein!

Fürwahr, Friedrich von Spee, der fromme
Dichter, hat in seiner „Trutznachtigäll" kaum
ein lieblicheres und naiveres Lied, als dieses
Dreikönigslied meiner Jugendzeit!

Es war im Jahre 1849, da mich, der ich auf
dem Kirchenchor Sopran sang, die Reihe traf,
unter die heiligen Dreikönige einzutreten, ein

Los, auf das ich um keinen Preis der Welt verzichtet
hätte. Und als die Mutter mich zum alten
Buchbinder Gottlieb Hinterskirch führte, damit
er mir die „Krone anmesse", da war ich glücklicher
und stolzer denn ein römischer Dichter,
der auf dem Kapitol gekrönt wird.

Jeden Abend von Weihnachten ab hielten
wir Singprobe, wobei ich den Sopran und die
zwei Mitkönige die Altstimme vertraten und des
„Schmied-Balden-Louis", ein vormaliger Dreikönig
, der jung sterben mußte, den Instruktor
spielte. Den Baß übernahm der Sternenträger,
wenn er es nicht vorzog zu rauchen. Dann ward
auch der „Sternen" in Reparatur genommen,
geflickt, gepappt und frisch eingeölt. All das mit
einem seligen Eifer, als ob es gälte, ein Schauspiel
für Menschen und Engel, für Himmel und
Erde aufzuführen. Am Abend des längst ersehnten
Tages aber kam der „Louis", der mich aus
besonderer Gunst zum „Schwarzen" unter den
drei Heiligen bestimmt hatte, beizeiten, um mir
das Gesicht zu färben. Keine Königsbraut, die
vom ersten Maler ihres Jahrhunderts porträtiert
werden soll, kann mit größerem Behagen sich in
Positur setzen, als ich getan, da Louis einen
Korkstöpsel in öl tauchte, ihn am Licht einer
Talgkerze schwarz machte und mir das Gesicht
übermalte. Was tut der Mensch nicht aus Eigenliebe
! Der schwarze Dreikönig, Kaspar, war von
uns Kindern von jeher am meisten bewundert
worden, und deshalb war ich nicht wenig stolz
auf seine Rolle und das schwarze Gesicht. Auch
schritt der Kaspar stets in der Mitte seiner beiden
Kollegen hinter dem „Sternen" her.

Beim unteren Tor wurde abends sieben Uhr
angefangen, und vor jedem Haus ein Lied, und
wenn im zweiten Stock eine zweite Familie
wohnte, ein zweiter Sang losgelassen. Aus dem
untern Stockwerk brachten die Kinder des Hauses
in einem Papier eingewickelt die Sängergabe
, und das war der innerste Kern des ganzen
Königtums und der Sternendreherei — die
Leute im obern Stock brannten das Papier an
und warfen die Kreuzer und Groschen wie
Leuchtkugeln zu den Füßen der „heiligen Dreikönige
". Der „Schwarze" aber, als der vornehmste
, hob nie „ein Geld auf", das besorgte
einer der andern, entweder der Melchior oder
der Balthasar. Wenn Könige und Stern den
halben Lauf der Altstadt durchzogen hatten,
kamen sie an das Haus meines Vetters Bosch,
eines reichen Bäckers. Da ward seit alten Zeiten
von den heiligen Dreikönigen und ihrem Stern
Einkehr gehalten. Der letztere wurde in den
Hausgang gestellt und einstweilen gelöscht, den
heiligen Dreikönigen und ihrem Sternenträger
aber am Stubentisch Wein und frisch gebackene
Brezeln serviert. Ich bin überzeugt, daß es den
wirklichen Dreikönigen im Palast des Herodes,
als sie ihn besuchten, nicht so geschmeckt hat
wie uns beim „Boschenvetter", da wir in königlicher
Vertretung bei ihm zu Tische saßen. Dem
Bäckermeister mußten wir jeweils vor seinem

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