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Peter Bach:
Schuddigfasnet
Gluckernd und plätschernd zieht sich das
Silberband der Elz durch verschneites Winterland
. Vom Ufergebüsch neigen sich rauhreifüberzuckerte
Zweige dem Wasser zu. Telegrafendrähte
, Zäune und Fuhrwerke glitzern im Feststaat
der Schneekristalle. Die Häuser des kleinen
Schwarzwaldistädtchens Elzach blinzeln unter
der Last ihrer schneebedeckten Dächer in den
noch nebelverhangenen Januarmorgen. Grauen
Ungetümen gleich erheben sich die Höhenrücken
des Schwarzwalds im Frühdunst.
Dampfende Tierleiber ziehen eine schwere
Fuhre über frostklirrenden Boden. Der Bauer
stapft durch den Schnee. Alltagsgeräusche eines
Handwerker- und Bauernstädtchens steigen in
den Morgen. Vom kurzbehelmten, etwas gedrungenen
Kirchturm der Ortschaft ruft die
Glocke. Die Hauptstraße zieht sich durch den
Ort und bildet einen Teil der Bundesstraße 294
von Freiburg nach Freudenstadt.
Unweit des Rathauses erhebt sich ein steinerner
Brunnen. Auf einer Säule thronend
herrscht über ihm eine dämonische Gestalt. Halb
Tier, halb Mensch, in ein Zottelgewand gehüllt,
blickt es unter einer riesigen dreispitzähnlichen
Kopfbedeckung auf das Treiben der Menschen
zu seinen Füßen. Dicker weißer Schnee liegt auf
Hut, Schultern und Armen des Wesens. Es steigert
durch seine Verbindung zum grauen, kalten
Stein den Eindruck zu einem nur schwer erklär-
Foto: Peter Bach, Benediktbeuren
im Schwarzwald
baren, erbarmungslosen Grauen. Doch nur für
denjenigen, welcher um die Vorgänge im Ort
nicht weiß und sich kaum vorstellen kann, was
es mit dieser Figur auf sich hat. Für die alteingesessenen
Elzacher aber ist sie ein liebes und
vertrautes Wahrzeichen. So etwas, wie ein Symbol
: die Schuddiggestalt.
Die einstmals im oberen Elztal von den Einwirkungen
der Außenwelt abgeschlossene Lage
des Ortes hat bewirkt, daß sich uraltes, jahrhundertelang
von Generation zu Generation
überliefertes Brauchtum bis in die Gegenwart
erhalten hat. So gilt Elzach heute als das
Schwarzwaldstädtchen, in welchem noch zur
Fasnet — wie man es hier nennt —, also in der
Karnevals-, Faschings- oder Fasnachtszeit, die
ausgeprägtesten und mannigfaltigsten Gebräuche
anzutreffen sind.
In einem der zweistöckigen Bauern- und
Bürgerhäuser, abseits der Hauptstraße in einem
Seitengäßchen, lebt der 78jährige Maskenschnitzer
D i s c h. Ein Leben lang hat er an der
Erhaltung und Pflege alter Uberlieferung aktiv
mitgewirkt. An seiner Werkbank sind viele
hundert dämonische Fasnetmasken entstanden.
Natürlich ist es nicht gerade geschickt, wenn
man ihn noch in den Wochen nach dem Dreikönigstag
oder gar kurz vor den Fasnachtstagen
besucht. Das wird die energische Hausfrau jedem
Besucher unverblümt zu verstehen geben, bevor
er dann doch zur Werkstatt vorgelassen wird.
Aber dann gelangt man über eine Stiege in den
kleinen, niederen, durch zwei winzige Fenster
nur spärlich beleuchteten Werkraum und ist
recht froh, daß man gerade die Zeit nach dem
6. Januar zu einem Besuch in der Werkstatt des
Maskenschnitzers gewählt hat. Denn in diesen
Tagen geben sich in großer Zahl handgeschnittene
Larven — eine gruseliger als die andere —
ihr Stelldichein. Kreuz und quer hängen sie an
den Wänden, stapeln sich in Regalen oder warten
auf den Werktischen auf letzte Feinheiten.
Schablonen, getrocknete Hölzer, Zeichnungen,
Entwürfe, allerlei Werkzeug — von der Säge
angefangen bis zur sehr umfangreichen Sammlung
an Schnitzmessern, vom großen Handbohrer
bis zur Feile — sind die weiteren Requisiten
. Natürlich darf zu allem nicht das Ticken
der Schwarzwälder Kuckucksuhr fehlen.
Inmitten all dieser Schnitzwerke "und Utensilien
schafft Meister Disch. Hager, mittelgroß
und schnauzbärtig ist er ganz in seine Arbeit
vertieft. Grad' setzt er das Eisen an, um der
überdimensionalen Nase einer Schuddigmaske
noch etwas mehr Betonung zu verleihen. Er
läßt sich gar nicht stören und ist ganz auf seine
Arbeit konzentriert. Seine Gesichtszüge spiegeln
die Ausgeglichenheit eines schaffensreichen Lebens
in der bodenständigen Tradition bäuerlichen
Kunsthandwerks wieder.
Wie er zum Maskenschnitzen gekommen sei?
Ganz einfach: der Vater hatte schon Masken
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