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Hubert Baum:
X ober ,U'
Es wurde schon viel darüber geschrieben, wie
sehr die Mundart die Hochsprache befruchte,
neu belebe und immer wieder mit neuer Nahrung
versorge. Darauf sind wir Mundartsprecher
stolz, wir wollen dabei aber unsere Augen nicht
davor verschließen, daß auch umgekehrt der
Einfluß des Hochdeutschen im Alemannischen
spürbar wird, heute mehr denn je. Wo dies in
echter Weise und aus den Zeitumständen heraus
geschieht, wollen wir deswegen nicht gleich
traurig sein, oder gar leichthin vom „Verfall des
Alemannischen" reden. Denn jede Sprache lebt
in und von ihren sprechenden Trägern und wird
durch die täglichen Einflüsse gemodelt und
gewandelt, paßt sich an oder behauptet sich, je
nach der Lebendigkeit um sie her. Wir wissen
als Beispiel — und die Sprachforscher sagen es
immer wieder — daß unser Alemannisch ein
noch fast rein erhaltenes Mittelhochdeutsch ist;
„fast"!! sagen sie, daran sehen wir eben, daß
das Mittelhochdeutsche allmählich zum heutigen
Alemannischen umgeformt wurde, und wenn die
eigensinnigen, am Alten festhaltenden Alemannen
noch so beharrlich über Jahrhunderte hinweg
Mittelhochdeutsch gesprochen haben. Ich
glaube nicht, daß man zu Zeiten Walters von
der Vogelweide vom Verfall seiner Sprache
redete, auch als man sah, wie seine Verse langsam
vom gesprochenen Wort abwichen.
Wenn also heute ein Kaiserstühler Geschäftsführer
der Winzergenossenschaft vom „Erfolg"
der Bauern spricht, so ist dies ein Beispiel eines
neu aufgekommenen Begriffs, der sich aus der
Entwicklung im Weinbau ergeben hat. Dieses
Wort ist nicht mehr gleichzusetzen dem früheren
„Gwinnschd". Wo echte Mundart gesprochen
wird und wo sich die Sprecher der Kraft ihrer
Sprache bewußt sind, da besteht gar keine Gefahr
des „Zerfalls". In das ewig frische, lebendige
Tönen und Rauschen des Dialekts werden
die neuen Wörter auf eine ganz natürliche
Weise aufgenommen: zum Goal wart sagten wir
noch „Goli", heute heißt er „Torwart", das
„Fazenettli", das man „subtil" in die Hand
nahm, kannte schon Hebel; es gäbe da unzählige
Beispiele. Und loosen wir doch mal den Flüchtlingskindern
auf der Dorfstraße zu, so hören wir
meist ein unverfälschtes Alemannisch. Welch
eine Kraft dieser Sprache eignet, erlebte ich am
Beispiel der Entwicklung eines Schulkameraden,
der aus Berlin gebürtig, als Sechsjähriger zu
uns ins Dorf kam. Zunächst wurde ein sehr
norddeutsch klingender Name in „Brandi" umgewandelt
, also mit der liebevollen Verkleinerungsendung
auf „i". Als wir uns nach etwa
dreißig Jahren wieder trafen, war er einer der
Urchigsten, Gemütvollsten. Er sprach ein reines
Alemannisch, wie es nur die daheim gebliebenen
Kameraden noch sprachen: langsam, bedächtig,
in feinen Tönen ausmalend, wie es Brauch im
Lande ist. Sein „Gschnabbeldütsch" — wie wir
sein ursprüngliches Reden genannt — war ganz
und gar verschwunden, und neben seiner Aussprache
, war es das Erstaunliche, wie ihn die
Sprache des Landes geformt hatte. Es mag sein,
daß dieses Beispiel einmalig dasteht, aber gibt
es uns nicht zu denken?
Wir nehmen es also getrost hin, wenn äußere
Einflüsse auf unsere Sprache einwirken. Auf
was wir aber achten sollten, das ist die Reinhaltung
des Alemannischen, wo wir dies merken.
Da gibt es neuerdings die netten „Bächle-
putzer", welche in Freiburg als Andenken an die
Stadt der Bächlein gekauft werden. Welch eine
originelle Idee! — aber leider schreibt man das
Wort falsch. Fragen Sie mal einen Freiburger
und er wird sagen „Bächliputzer", also mit „i",
„le" ist schwäbisch. Und wenn wir in der Zeitung
von den „ Trachtenmaidle" lesen, so ist dibs
ebenso falsch geschrieben, denn landauf, landab,
überall wo diese Zeitung gelesen wird, sagt man
„Trachtemaidli", also auch mit „Ii". Es ist merkwürdig
, aber typisch, daß die vielen, vielen
Tausend Leser solche Dinge hinnehmen, ohne
etwas zu sagen. Denn es liegt im Wesen des
Alemannen, dem andern entgegenzukommen,
ihn freundlich und mit Geduld anzuhören, ehe
er selbst in seinem schweren und breiten Dialekt
redet. Und dann ist er eifrig bemüht, sich verständlich
zu machen, er geht „ehnen duren" und
zeigt beim Arzt seine „Bladeren" (Bloodere =
Blasen). Und so meint er wohl auch mit dem
„Zytigschriiber", dieses „le" klinge eher zum
Hochdeutschen hin und sei damit dem Leser
verständlicher. Aber da hilft nun nichts, es ist
falsch und muß „Ii" heißen. Beim „Chalbele"
stimmt es allerdings, eine Ausnahme; so heißt
das junge, erstmals tragende Rind. Der „Hänsele"
der Villinger Fasnet ist mit seinem Namen vom
nahen Schwaben her beeinflußt.
Es ist uns lieb und wert, dieses „Ii", dieses
kleine Anhängsel, das wir tagtäglich viele Male
sagen, denn wir verkleinern ja so gerne. Bleiben
wir ihm also treu und schreiben wir es so wie
wir sprechen, es ist ja auch nur bei uns zulande
daheim.
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