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Marga Vogel:
kleine öbyfle am öbecrtjefn
Der Dichter H. Burte schrieb über das Haus
am Oberrhein, von dem der folgende Bericht
ausgeht, den Vierzeiler:
Es steht ein Herrenhaus am Oberrhein
Das sendet grüßend von der Giebelmauer
Sein altes Mahnen: Ehre, Treue, Dauer
Ins Alemannenland ein Wappenstein.
„Schloß Rheinweiler" 1929, vom Rhein aus gesehen.
In den Jahren 1938/39 glich es — neben seinem
eigentlichen Auftrag: alten, pflegebedürftigen
Menschen eine Heimstätte zu sein — einem
Verbandplatz. Aus allen deutschen Gauen verpflichtete
Westwall - Arbeitskräfte wurden hier
ambulant und stationär verarztet. Die wenigsten
davon standen, wie sich im Umgang mit ihnen
leicht herausfinden ließ, mit Begeisterung in diesem
Arbeitseinsatz. Ein fröhlicher Schiffer von
der Wasserkante verstand es zum Beispiel vorzüglich
, mit sachkundigem Spiel auf seinem
Schifferklavier sich dem Tragen und Verarbeiten
des hochwertigen Zements „melodisch" zu entziehen
. „Wir halten zusammen wie der Wind und
das Meer" und andere Seemannslieder leiteten
sowohl den Arbeitsbeginn wie auch ihr Ende ein.
Kam einer schwerbeladen schweißtriefend in der
sommerlichen Hitze vorüber, intonierte er:
„Mensch, mach dir doch das Leben nicht so
schwer!" Tag und Nacht wurde gearbeitet, lärmten
die Betonmaschinen, und man sehnte sich
drinnen und draußen nach Ruhe.
Doch danach sah es gar nicht aus. Es war an
einem unvergleichlich schönen Herbstsonntag,
dem 3. September 1939. Die Sonne sank hinter
den Vogesen hinab, noch einmal Strom und
Landschaft in ihr Gold tauchend, als der Ortsdiener
der kleinen Rheintalgemeinde das Haus
mit der Meldung betrat: „Innerhalb zwei Stunden
muß alles für den Räumungs - Abtransport
bereit sein". Wie gut war es, daß die Autobusse
mit mehr als drei Stunden Verspätung eintrafen
und dadurch Zeit gewonnen war, noch einiges
mehr an Kleidung und Verpflegung vorzubereiten
.
Eben rezitierte noch auf der Rheinterrasse der
90jährige Großvater St. mit laut vernehmbarer
Stimme: Es stand vor alten Zeiten ein Schloß...
Seine patriarchalische Greisengestalt mit ihrem
weißwallenden Haar, in dem von ihm unzertrennlichen
Gehrock, mochte den beiden mit
Feldstechern vom französischen Ufer herüberspähenden
Offizieren die Erkundung nicht schwer
gemacht haben. Auf die Aufforderung: „Großvater
, kommen Sie herein, wir müssen uns reisebereit
machen, wir haben Krieg im Land",
meinte er resolut: „Was, Krieg, davon müßte ich
ja auch schon etwas gehört haben!" Sein armer
skleroser Denkapparat vermochte das Grausige
dieses Wortes Krieg nicht mehr zu erfassen. Er
lebte in einer glücklicheren Zeit, in der sich sein
unerschöpflicher Rezitationsvorrat in ihm aufgespeichert
hatte. Sie umgab ihn wie eine
schützende Hülle, an der aller Wahn und Widersinn
der kommenden Zeit abfloß.
Endlich war die menschliche Fracht und alle
mitzunehmende Habe verladen. Gegen Mitternacht
liefen unter prasselndem Gießen, begleitet
von Blitz und Donnerschlägen, die Busse in
Schloß Hausbaden ein, wo sich aus dem gesamten
Markgräflerland Kranke, Alte und Gebrechliche
zusammenfanden und notdürftig Unterkunft
fanden. Den neuen Zuwachs mußte man
erst beim Durchgehen der Räume kennen lernen
und registrieren. Es ergaben sich mitunter seltsame
und tragisch-komische Bilder: Da lagen in
einem schmalen Bett zwei sehr betagte Mütterchen
zusammen, in ihren blendend weißen Schlafhäubchen
als ein unwirkliches Bild eines märchenhaft
gewordenen Friedens. Es fehlte an Betten
und Liegestühlen, so hatte ihr Transportleiter
die beiden Alten mit ordnender Hand zusammengefügt
. Sie schauten mit nichtbegreifen-
den Augen vergnügt ob der warmen Geborgenheit
und Gemeinsamkeit in diese bewegte Zeit.
Erst nach längerem Befragen und Suchen nach
Wäschezeichen oder Papieren konnten Herkunft
und Namen ermittelt werden.
Frühmorgens 5 Uhr klopfte es an die Zimmertüre
der Leiterin. Eine männliche Stimme gab
bekannt, daß die hier Gesammelten dem um
7 Uhr in Müllheim auslaufenden Transportzug
zuzuführen seien. So hatte der Aufenthalt auf
der friedlichen Insel Hausbaden nur wenige
Stunden gedauert. Viel lieber wäre man in der
Heimatnähe geblieben, und es gab allerlei zu
trösten. Die Busse hatten den Bahnof erreicht.
Die Selbständigen strebten eilends dem Transportzug
zu, um einen Sitzplatz zu gewinnen. Da
verkündete ein Lautsprecher die Zurücknahme
der irrtümlichen Anordnung. Die glücklichen
Platzinhaber im Transportzug wurden wieder
eingesammelt, und es ging wieder zurück nach
Hausbaden.
Nun war der Leiterin genügend Zeit gegeben,
aus dem verlassenen Haus am Oberrhein für den
bevorstehenden Winter noch Kleidung, Wolldecken
und sonstige lebenswichtige Dinge zu
holen. Die beiden verwaisten Schafe und das
Federvieh wurden zur Bereicherung des Speisezettels
in Hausbaden geschlachtet.
Leider konnte man nie erfahren, wie der
Braten geschmeckt hat, denn schon am folgenden
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