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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1961-07/0007
fern die Stadt Karlsruhe zum Wiederaufbau dort
die erforderlichen Arbeitskräfte zur Verfügung
stelle. So wurde fieberhaft gearbeitet, um baldmöglichst
das Haus wieder in Betrieb nehmen zu
können.

Gründonnerstag 1944 erfolgte der Umzug nach
Rheinweiler. Zwei Tage danach rückten die aus
dem Elsaß kommenden beiden Heime in das
noch kaum vollständig mit Betten u. a. versehene
Haus am Oberrhein.

Nun begann aber wieder eine recht unruhige
und gefahrvolle Zeit. Fast ununterbrochen flogen
vom nahen jenseitigen Flugplatz die Tiefflieger
über das Gebiet hinweg, um ihre ratternden Garben
insbesondere auf die von Volkssturm und
weibl. Arbeitseinsatz besetzten Schützengräben
zu entladen. In den Nächten sah man das westliche
Wetterleuchten vom rollenden Donner begleitet
immer näher rücken. — Nach dem Angriff
auf Freiburg zischten die ersten Granaten wieder
ins Dorf, und ein Volltreffer zerstörte im Dachstuhl
des Nordflügels die Heißwasseranlage der
Zentralheizung, so daß das heiße Wasser durchs
Haus strömte. Glücklicherweise konnten die starken
Keller des Südflügels sowie die mit Stroh
bedeckten großen Obsthürden Unterschlupf für
die Nacht bieten, bis erneut die Omnibusse zur
Flucht nach Kandern eintrafen, wo in der Kantine
der Tonwerke notdürftig Schutz gesucht
werden konnte. Äußerste Schwierigkeiten bereitete
es, aus dem Beschußgebiet die so dringend
benötigten Betten und andere Gebrauchsgüter
wieder nach Kandern zu schaffen. Kein privates
Fahrzeug erklärte sich — trotz behördlichem
Fahrtbefehl — bereit, ins Rheinvorland zu fahren
. Doch da rollten, mit Mann und Roß und
Wagen, endlose Rückzugskolonnen, aus dem
Elsaß kommend, landeinwärts durch die Täler.
Auf der Suche nach Fahrzeugen fand sich ein
Kolonnenführer bereit, in Begleitung der Leiterin
und einer Hausgehilfin ins Beschußgebiet
zu fahren, unter der Bedingung, daß er für seine
Leute die Kartoffelversorgung für den Rückzug
decken könne und für seine sichtlich ausgehungerten
Vierbeiner noch etwas Hafer erstehen
könne im Niemandsland.

In den Nächten zogen immer wieder Trupps
mit Handleiterwagen über die Kalte Herberge
ins Vorland, um wichtige Habe herbeizuholen.
Motorisiert konnte man nur mit Vorsicht ins Vorland
einschleichen. An einem solchen „Besuchstag
" erfolgte der Fliegerangriff, bei dem — wie
später zu hören war — versehentlich die Dorfkapelle
zerstört wurde, da infolge der hohen
Bäume das beabsichtigte Bombenziel, das Schloß
selbst, der Sicht entzogen war. Allerdings wurde
das Haus dabei schwer beschädigt. Man hatte den
Eindruck, durch riesige Staubwolken und die
eingestürzten Decken lebendig begraben zu sein.
Ein Teil der gerade geschlachteten Hühner flog
durch den Luftdruck den Abhang hinunter, statt
in die leeren Kochtöpfe in Kandern.

So konnte dann mit Hilfe der herbeigeholten
Betten usw. in der Kinderschule und in Privathäusern
notdürftig Unterkunft geschaffen werden
, während die Kantine als Küche und Verpflegungsraum
diente. Uber den schon hereingebrochenen
Winter mußte die Heilstätte Friedrichsheim
notgedrungen für achtzig Personen
Unterkunft gewähren.

Anfang Mai konnte der erste „Aufräumungs-
besuch" im Haus am Oberrhein vorgenommen
werden. Dorf und Schloß boten ein Bild der Verwüstung
. Da weder Material noch Handwerker
aufzutreiben waren, dauerte der Wiederaufbau
Jahre. Eine Fuhre Ziegel bedurfte außerdem der
Genehmigung der franz. Kommandantur.

Schlimme Wochen verursachten — trotz Waffenruhe
— einige Freischützen, die täglich vom
andern Ufer mit Maschinengewehren herüber-
schossen. Dabei wurde der Ortsdiener, der gerade
die von der Kommandantur verfügte Abgabeverordnung
durch Ausschellen bekanntgab, durch
Bauchschuß getötet, ein Telegraphenbeamter
erlitt eine Schlagaderblutung, die jedoch durch
schnelles Eingreifen zum Stillstand gebracht
werden konnte. Täglich kamen die Freischützen
ins Dorf herüber und requirierten Speck, Eier
und andere Lebensmittel, ganze Fässer Wein in
ihren Schützenstand, bis endlich die Kommandantur
dem Übel ein Ende setzte.

Im Laufe des Frühjahrs 1945 begann die französische
Besatzung Friedrichsheim zu belegen.
Die Flüchtlinge mußten bis Ende Oktober das
Heim räumen. So zogen die beiden inzwischen
auch kleiner gewordenen Karlsruher Heime
landab, und die dem oberbadischen Kreis Zugehörigen
konnten langsam ihren Einzug in das
provisorisch eingerichtete Rheinweiler Heim halten
. — Doch nun rückten die franz. Minensuch-
kommandos — deren Mannschaft meist aus Sudetendeutschen
bestand — heran. Es gab täglich
Schwerverwundete zu versorgen, solange das
Verbandsmaterial ausreichte.

Auch sieben durch Beschuß obdachlos gewordene
Familien des Dorfes mußten auf Jahre
hinaus im Schloß untergebracht werden. Entwurzelt
durch die Ereignisse, konnten und wollten
sie sich jedoch in der Haus- und Schicksalsgemeinschaft
nur schwer zurechtfinden, obwohl
sie die Räume bewohnen durften, in denen vor
eineinhalb Jahrhunderten Napoleon im „fürstlichen
Gemach" genächtigt und seinen Freund
und General Rapp, dessen Gemahlin dem Hause
entstammte, beim Morgenkaffee in den Grafenstand
erhoben hatte. Aber „die Zeiten ändern
sich und wir mit ihnen".

Ein altes Schriftstück erwähnt „unter dem
geranienroten Dach des Schlosses über dreihundert
Fenster". Wie oft mußten sie — da sie
immer wieder den Minen und Bunkersprengungen
zum Opfer fielen — mit Drahtglas oder
Cellophan „verglast" werden! Und dies durchs
eigene Personal, da die Handwerker sehr rar
waren, bis endlich das Haus im Zuge der Renovation
vollständig mit Glas versehen werden
konnte. So war es wieder imstande, seinem
sozialen und geschichtlichen Zweck dienen zu
können.

Verwandeln mög das Geschick nun gütig alles Vergang'ne,
Daß fernere Tage ein helleres Morgenrot grüßt.

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