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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1961-08/0016
ihn aber doch noch mit einem besseren aus.
Müller ist unzufrieden damit, und will die Zeichnung
selber stechen." Dies tat Müller denn auch,
und zwar vermutlich gegen Ende des Jahres
181410). Nach ihm benutzte zwischen 1814 und
1817 der Zürcher Kupferstecher Joh. Heinrich
Lips die Müller'sche Zeichnung zu einem dritten
Porträtstich"). Müllers Zeichnung selbst aber
galt nach Angabe des Hebel - Ikonographen Karl
Obser als verschollen12).

Dies war umso bedauerlicher, als man über
die Umstände der Entstehung der Zeichnung
durch Äußerungen des württembergischen Gesandtschaftssekretärs
Christoph Fr. Karl Kölle,
des aus dem „Rheinländischen Hausfreund" bekannten
„Adjunkten", bestens unterrichtet war.
Kölle, der in seiner Karlsruher Zeit mit Hebel
bekannt wurde und befreundet war, berichtet in
seinen „Erinnerungen an Hebel", die als Ergänzung
des Bähr'schen Nekrologs in der „Allgemeinen
Zeitung" gedacht waren, im Jahre 1827 im
..Morgenblatt für gebildete Stände" folgendes13):

„ ... der zu früh verstorbene Kupferstecher Müller,
der Sohn, zeichnete 1810 in Karlsruhe Hebels Bild
ausnehmend ähnlich. Es verdiente einer Herausgabe
seiner Werke beigefügt zu werden..."

Der gleiche Kölle gab der Einleitung zur Ausgabe
von Hebels Werken aus dem Jahre 1843
einen Anhang bei mit dem Titel „Zu Hebels
Ehrengedächtniß", in dem er wiederum und
genauer auf jene Zeichnung eingeht14):

„In jenen Tagen fertigte Friedrich Müller.... die
treffliche Zeichnung von Hebel, welche aber in den
Schultern deßhalb verzeichnet ist, weil die Zeit nur
und kaum zum Kopf reichte. Sie gibt den Mann
wieder, wie er freudig aufgeregt am meisten Er
selbst war..."

Mit „in jenen Tagen" ist der Sommer 1810 gemeint
, in dem auch Ludwig Tieck in Karlsruhe
war und in der gleichen Gesellschaft wie Hebel
verkehrte; Ort und Gelegenheit dieses geselligen
Verkehrs bildete die Wirtstafel im Gasthof „Zum
Erbprinzen", wo man das Mahl durch Anekdotenerzählen
und Rätselerfinden würzte.

Die Vermutung, es handle sich bei der von
der Universitätsbibliothek Freiburg erworbenen
Zeichnung um jene von Kölle gemeinte und bisher
verschollene Handzeichnung Friedr. Müllers,
liegt sehr nahe. Vergleiche mit anderen Zeichnungen
Müllers hinsichtlich Stil, Technik und
Signierung wurden angestellt; ihre Ergebnisse
konnten die genannte Vermutung nicht durchaus
erhärten, doch widersprachen sie ihr auch keineswegs
. Es handelt sich bei dem erreichbaren Vergleichsmaterial
aus der Staatsgalerie Stuttgart,
wo ein „größerer Bestand" 15) von Zeichnungen
Müllers liegt, „ausschließlich um akademische
Akte und Akademie-Studien sowie Kopien in
Kreide""), die für Müllers „Handschrift sehr
wenig charakteristisch"17) sind. Die von der
Staatsgalerie in Stuttgart freundlicherweise in
Nachzeichnungen vermittelten Signaturen Müllers
sind derjenigen der Freiburger Zeichnung
nicht ähnlich "); doch scheint der Künstler in der
Art der Signierung sehr variiert zu haben.

Indessen läßt sich die Annahme der Identität
der Freiburger Zeichnung mit der verschollenen

Handzeichnung Müllers noch auf andere Weise
stützen. Einmal ist eine spätere, der Neuzeit
angehörende Fälschung, die sich des Müller'schen
oder eines anderen Stiches bedient haben könnte,
dadurch ausgeschlossen, daß Material und Technik
der Freiburger Porträtzeichnung zweifellos
die des frühen 19. Jahrhunderts sind. Die zweite
Möglichkeit, daß es sich um eine annähernd
gleichzeitige Nachzeichnung eines der obengenannten
, nach Müllers Zeichnung gefertigten
Stiches handeln könnte, schließt sich aus folgenden
Gründen ebenfalls aus: Selbst beim Vergleich
des Müller'schen Stichs, der den Zeugnissen
nach wohl der dem Dargestellten ähnlichste
gewesen sein dürfte und der tatsächlich
auch mit der Freiburger Zeichnung das meiste
Gemeinsame besitzt, ergibt sich, daß die künstlerische
Qualität ebenso wie die lebendige
Sprache des Freiburger Bildnisses vom Stich
nicht erreicht werden. Das Freiburger Porträt ist
ungemein frisch und von Leben erfüllt, physio-
gnomisch wie psychologisch außerordentlich
durchgearbeitet und zusammenstimmend, von
beseeltem Ausdruck und unmittelbarer Ansprache
, — der Stich wirkt daneben unlebendig
und starr, ja fast etwas zu sorgfältig und ängstlich
den Linien eines Vorbilds nachgezogen. Nun
verraten sich aber getreue Kopien einer ästhetischen
Betrachtung gerade durch ihren Anflug
von Unfreiheit und Seelenlosigkeit. Mit anderen
Worten: Ästhetisch gesehen erweist sich der Stich
als das auch zeitlich Sekundäre, das heißt als
Kopie, — und die Zeichnung als das Primäre,
das heißt als zuerst vorhandenes Original.

Das gleiche Verhältnis ist — nur in noch
überzeugenderem Grad — festzustellen, wenn
der Stich Riepenhausens19) oder der von Lips20)
mit der Freiburger Zeichnung verglichen werden
. Riepenhausens Stich hat zwar in Gesamtanlage
und Einzelheiten unverkennbar Gemeinsames
mit den Stichen von Müller und Lips bzw.
mit der Freiburger Zeichnung. Indessen hat sich
Riepenhausen nicht einmal die Mühe gemacht,
die doch wohl zu seinem Stich spiegelbildliche
— dies erschlossen aus der Blickrichtung auf den
Stichen von Müller und Lips — Vorzeichnung zu
kontern, und ging auch sonst mit seiner Vorlage
reichlich achtlos um: Er gibt ein kleineres, glatteres
Gesicht unter noch vollerem, dunklem
Haarwuchs, was dem Dargestellten ein etwas
jugendliches Aussehen verleiht; die Technik ist
manieriert und kleinlich, die Linienführung steif
und die Gesamtwirkung durch die Anwendung
von Stich im Körper und Punktstich im Gesicht
uneinheitlich. Dem in der Auffassung naiven
Bildnds fehlt eigentliche Individualität. Es kann
niemals als Vorlage für die Freiburger Zeichnung
gedient haben, während das Umgekehrte wahrscheinlich
ist.

Auch Lips hat sich in der Gesamtanlage des
Porträts offenbar an die Vorzeichnung gehalten;
die Verwandtschaft mit dem Müller'schen Stich
und mit der Freiburger Zeichnung ist sicher. In
den Details der Kleidung zum Beispiel stimmt
Lips mit ihnen überein. Die Physiognomie ist ins
Hölzerne, Grobe verändert; das Kinn ist verscho-

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